Der Flohmarkt der aufgelassenen Slogans

Clemens Fabry
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Manche Dinge sagt man heute einfach nicht mehr, sag ich einmal.

Manche Dinge sagt man heute einfach nicht mehr, sag ich einmal. „Sag ich einmal“, zum Beispiel. Und auch in einem Gespräch ein „Schade, eigentlich“ fallen zu lassen, zeugt davon, dass der Sprecher seinen Phrasenschatz langsam einem Update zuführen sollte. Über die hyperinflationäre Verwendung des „sozusagen“ zu klagen, dessen Auswüchse zunehmend unseren Magen plagen (wow, vielleicht wird das doch noch was mit der Karriere als Rapper), kommt mittlerweile sozusagen fast schon so häufig vor wie das „sozusagen“ selbst. Vom inhaltsleeren „gar nicht zu reden“ gar nicht zu reden. Oft scheint es, dass der Sprachschatz ganzer Generationen sich ausschließlich aus einem Flohmarkt für aufgelassene Slogans speist. Wo das „Kömma das nicht anders regeln“ zum Spottpreis feilgeboten wird. Wo man das „Kein Kommentar“ immer noch ganz offen auf dem Ladentisch präsentieren darf. Wo man sich zahlreiche „Das wird man sich genau anschauen müssen“ in verschiedensten Variationen ganz genau anschauen kann – und wo am Ende des Tages sogar die restlichen „am Ende des Tages“ ausverkauft sind.

Dass der Flohmarkt trotz des reißenden Absatzes seiner Ware nie verlustig geht, legt nahe, dass wohl irgendwo in einer chinesischen Fabrik sozusagen billigst alte Phrasen kopiert, in großer Stückzahl produziert und neu auf den Markt geworfen werden, sag ich einmal. Dort dürfte auch noch regelmäßig der Klassiker des slapstickhaften Beziehungslebens über das Fließband gejagt werden. Die Antwort nämlich auf eine Frage, die man meist dann stellt, wenn man sich gerade unglaublich lächerlich gemacht hat, sich zum Beispiel gerade einen Viertelliter Spaghettisauce vom weißen Hemd kratzt – und das Gegenüber diesen Mund macht, den man macht, wenn man sein Amüsement nicht ganz offen zur Schau stellen sollte. „Lachst du über mich?“ „Ich lache nicht über dich, ich lache mit dir.“

So etwas sagt man heute sozusagen einfach nicht mehr, sag ich einmal. Schade, eigentlich.

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2014)

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