Wider den AHS-Kannibalismus! Schaut doch nach – in Alterlaa

Schaffen wir in Österreich die allgemeinbildenden höheren Schulen ruhig ab. Aber schon in ein paar Jahren werden wir sie reumütig wieder einführen.

Gesetzt den Fall, Ihnen würden folgende Fragen gestellt – welche Antwort würden Sie ankreuzen? 1: Welche Kultureinrichtung hat Diskussionen mit dem syrischen Schriftsteller Rafik Schami, dem Literaturnobelpreisträger Vargas Llosa und dem Erfolgsautor T.C. Boyle durchgeführt? A) Die Österreichische Gesellschaft für Literatur B) Das Burgtheater C) Eine AHS.

2: Welches Sprachinstitut führt regelmäßige Spezialkurse in Nizza, Rom, Florenz, Málaga, Cambridge und Dublin durch? A) Die Berlitz School B) Das Sprachenzentrum der Universität Wien C)Eine AHS.

3: Bei welchem Konzertveranstalter kann man Musicals inszenieren, klassische Musik hören und Eigenkompositionen uraufführen? A)Im Wiener Konzerthaus B) In der Kammeroper C) In einer AHS.

Fragen wie diese ließen sich beliebig fortführen: Wo kann ich eine meeresbiologische Woche besuchen, wo ein Gentechniklabor, wo Kurse in moderner Fotografie, utopischer Architektur und Urban Gardening machen? Welche Sportorganisation bereitet auf den Frauenlauf, internationale Schachwettkämpfe und eine Handballmeisterschaft vor? Welche Kulturinstitution kümmert sich um Pflegefälle im St.-Josef-Spital, die Kinderkrebshilfe und die Behindertenorganisation der Caritas?

Natürlich ahnen Sie die Antwort: Es ist eine AHS. Was Sie aber vielleicht überrascht: Es handelt sich nicht um ein exklusives Privatinstitut, nicht um eine sündteure internationale Schule, sondern um eine staatliche AHS in einem Randbezirk der Bundeshauptstadt Wien. Sollte Sie es nicht glauben, werfen Sie doch einen Blick auf die Homepage www.grg23-alterlaa.ac.at.

Dort finden Sie auch das Rezept für erfolgreiche Schulreformen: einen Schulleiter, der den Eltern sagt, dass man an seinem Gymnasium Leistung fordert und Qualität das Gegenteil von Zufall ist. Professorinnen und Professoren, welche die Wiederholungsprüfungen freiwillig in der letzten Ferienwoche abhalten um das Schuljahr mit einem fertigen Stundenplan zu beginnen. Schülerinnen und Schüler, die ungehindert Kritik äußern, aber auch einen Maturanten, der schreibt, er habe an der Schule drei Fremdsprachen, Segeln und Schach gelernt – und: dass er sich vor der Matura einige Wochen lang auf seine vier Buchstaben setzten musste.

In seinem Jahrgang maturierten übrigens 35 von 76 Kandidatinnen und Kandidaten mit Auszeichnung – in einer AHS, deren Niveau je nach österreichweitem Test ein Viertel bis ein Drittel über dem nationalen Durchschnitt liegt.

Eigentlich, denkt man, müssten Parlamentarier in diese Schule pilgern – Alterlaa liegt schließlich näher als Finnland oder Singapur. Stattdessen wird ein ganzer Schultyp mit Vorschlägen und Vorwürfen überhäuft. Die Matura sei verzichtbar – ausgerechnet jetzt, da man sich nach jahrelangen Krämpfen auf Elemente einer Zentralmatura geeinigt hat. Die Noten sollen abgeschafft werden, weil Ziffern die Schülerpersönlichkeit nur unvollständig beschreiben.

Als ich neulich eine Tennispartie mit 4:6, 5:7 verlor, schlug ich meinem Gegner vor, das Resultat zu streichen. Schließlich würden die Ziffern 4, 5, 6 und 7 meine Leistung, die vergebenen Breakchancen und den unglücklichen Netzroller nur unvollständig wiedergeben. Leider schüttelte er den Kopf. Aber zugegeben: Tennis ist sozial exklusiv, genau wie die AHS. Mag sein. Ungesagt bleibt nur, dass die Führungsschichten aller Parteien, die ihre Kinder in eine AHS schicken, zu dieser sozialen Schwerpunktbildung beitragen.

Die AHS ist heute auf der Anklagebank, sie ist Reibebaum und gleichzeitig Objekt der Begierde. Ein Vorschlag: Schaffen wir sie probehalber ganz ab! In ein paar Jahren würden wir sie unter dem Titel „Exzellenzförderung“ wieder einführen. Apropos Exzellenz: Die Schülerinnen und Schüler in Alterlaa diskutierten mit Vargas Llosa auf Spanisch. ¡Naturalmente!, sozusagen.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit
Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2014)

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