Der Besuch der alten Damen

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Es ist eine besondere Beziehung: jene von älteren Damen zu ihrer Lieblingskonditorei. Für viele ist diese ihr zweites Wohnzimmer. Ein Besuch.

Es ist einer jener Orte, an denen man sein Handy instinktiv auf lautlos stellt. Das Klingeln, es würde die Ruhe durchdringen, wäre störend und unpassend. Ein Zeichen des modernen Lebens, das so gar nicht hierherpasst, in den kleinen Gastraum des Cafesalon in der Wiener Josefstadt.

Kaffee-Konditoreien wie der Cafesalon sind mit ihrer Stammkundschaft älter geworden ist: Drei ältere Damen sitzen an diesem Nachmittag hier, jede in einer Ecke des kleinen Raumes. Wahrscheinlich kennt man einander seit Langem vom Sehen, beobachtet sich vielleicht fast jeden Tag beim Kaffeetrinken, grüßt beim Kommen und Gehen. Sonst aber: Ruhe.

Das einzige Geräusch ist das permanente Surren der Vitrine, in der Pariser Spitz, Punschkrapfen und Esterhazyschnitten gekühlt werden. Ab und zu dringen Stimmen aus dem vorderen Bereich, der Theke, in den Gastraum, wenn die Inhaber Sigrid und Paul Hofmann mit den Kunden reden, die hier Brötchen abholen oder ein schnelles Bier im Stehen trinken.

Denn es sind durchaus zwei Welten, die hier im Cafesalon aufeinandertreffen – oder eben gerade nicht: vorn die Laufkundschaft, die sich Brötchen mit nach Hause nimmt, abends vor der Vorstellung im benachbarten Theater an der Josefstadt sieht man hier auch Theaterbesucher, die auf ein Glas Sekt vorbeikommen. Von ihnen verirrt sich selten jemand in den kleinen Gastraum hinten, der meist ganz ihnen gehört: den älteren Damen. Eine, mit sichtlich frischer Dauerwelle, liest die „Krone“, die Dame hinten auf der Eckbank gönnt sich ein Achterl Roten und schaut ein wenig müde vor sich hin.

Die meisten Kundinnen, sagt Inhaberin Sigrid Hofmann, kommen allein. Nur manchmal treffen sie sich hier mit einer Freundin, ab und zu bedient sie auch Jüngere. „Größtenteils leben wir aber von älteren Damen.“ Das war hier immer schon so. Vor 20, 25 Jahren, erzählt Hofmann, kamen hier im Herzen der gutbürgerlichen Josefstadt auch noch viele Hofratswitwen, für die der Besuch einer Konditorei mit dem Dresscode Spitzenhandschuhe und Hut verbunden war. Auch heute tragen viele Kundinnen Hut (der selbstverständlich aufgelassen wird), und selbst ohne Hut wirkt die ältere Konditorei-Kundschaft Wiens fast immer gepflegt, führt ihre Seidentücher, goldenen Ohrringe und Ketten aus.


Die Damen sitzen, Herren stehen. Herausgeputzt für ein Ritual, mit dem sie ihre Nachmittage füllen. Blickt man in die typischen Wiener Konditoreien, scheinen ältere Damen (und, deutlich weniger oft, auch Herren) tatsächlich die Hauptklientel der Zuckerbäcker zu sein. In der kleinen Aida-Filiale in der Wollzeile im Ersten etwa sieht man fast immer ältere Frauen. Die Herren in den Anzügen, die an den Stehtischen in der Mitte des Lokals einen schnellen Espresso trinken, stören dabei fast die Ruhe, die von den älteren Frauen ausgeht, die neben- (aber auch hier oft nicht mit-)einander auf den roten Lederbänken Platz genommen haben.

Einige wenige sind zu zweit gekommen, die meisten aber sind allein hier. Auch in der Aida ist es ruhig, das Licht dunkelgelb und irgendwie gemütlich. Das laute Zischen der Espressomaschine übertönt zwischendurch die (wenigen) Gespräche, in denen es – es ist die Woche des Opernballs – um den Lugner geht, um Ballkleider. Gemeinsam lachen zwei ältere Damen über eine Bekannte, die sich früher den Opernball daheim vor dem Fernseher in Abendkleidung angeschaut hat. Nebenan löffelt eine Frau mit grauem Haar unter der braunen Baskenmütze das Schlagobers aus der Aida-typischen dunkelbraunen Kaffeetasse, ein Ritual, das sie zu zelebrieren scheint, ehe sie den Pariser Spitz isst, langsam, Stück für Stück. Cholesterinwerte, Fett, Zucker, Kalorien: Das alles spielt in diesem Momenten keine Rolle. „Jetzt dürfen wir drei Wochen nichts mehr essen“, sagt ein paar Tische weiter eine Frau lachend zu ihrer Begleitung. Wissend, dass sie vielleicht schon morgen wieder einen Punschkrapfen bestellt.


Pariser Spitz und Punschkrapfen.
Auch die Frau ein paar Tische weiter hat ihren Pariser Spitz mittlerweile aufgegessen. Wie die anderen Frauen ist sie nicht auf eine schnelle Melange nach dem Einkaufen hergekommen, will hier keine Freundin treffen oder einen Blick in eine Tageszeitung zu werfen. Damen wie sie kommen hierher, um ganz bewusst eine Zeit lang hier – und nicht allein daheim – zu sein. „Vier Euro 80“, sagt die Kellnerin beim Kassieren. Vier Euro achtzig gegen das Alleinsein. Nach dem Zahlen bleibt die Frau noch eine Weile sitzen. Sie sieht nicht auf ihr Handy (falls sie überhaupt eines hat), sie sucht keinen Kontakt zu den anderen Frauen, zwischendurch blickt sie durch die großen Auslagenscheiben hinaus auf die Wollzeile.

Eine ganze, lange Weile lang: Die Grundausrichtung der Aida – die in den 1950er-Jahren vom Architekten Rudolf Vorderegger als eine Art Espresso-Bar für den schnellen Konsum bei kurzer Aufenthaltsdauer neu konzipiert wurde, unterläuft die heutige Pensionistenkundschaft mit ihrer vielen Freizeit. Dagegen hat man bei der Aida aber nichts, im Gegenteil. Auf der Website wirbt man unter „Stammkunden“ sogar mit durchwegs älteren Gästen. „An gewissen Standorten sind natürlich ältere Damen und Herren unsere Kernklientel“, sagt Unternehmenssprecher Stefan Ratzenberger. In den prominent gelegenen Filialen wie jener beim Stephansplatz gebe es sehr wohl eine Durchmischung, in den nicht so zentral gelegenen Standorten dominieren meist die älteren Stammkunden.

Seit 60 Jahren Kunde.
Wieso vor allem die Damen die Konditorei im Allgemeinen und die zuckerlrosa Aida-Filialen im Speziellen schätzen, dafür gibt es keine echte Erklärung. Aber mehrere Erklärungsversuche. „Bei uns schwingt eben viel Tradition mit“, sagt Ratzenberger. „Die Aida gibt es seit 101 Jahren und gewisse Grundrezepturen haben sich nie geändert. Wir haben einen 90-jährigen Stammkunden, der seit 60 Jahren fast jeden Tag kommt, weil die Cremeschnitte noch genauso schmeckt wie damals, als er als 30-Jähriger nach Wien gekommen ist.“

Auch das unverwechselbare Design der Geschäfte hat man seit den 1950ern kaum verändert, die dunkle Holzvertäfelung an den Wänden, die zweckdienlichen, aber wenig charmanten Linoleumböden, die übersichtliche, hübsch angerichtete Vitrine mit den ewigen Klassikern Strudel, Punschkrapfen, Cremeschnitte. Dass der Kaffee in einem (geheimen) Mischverhältnis besonders mild geröstet wird und daher als magenfreundlich gilt, darf man durchaus als Good Will den Senioren gegenüber verbuchen.

Der hohe Wiedererkennungswert und die Reise in eine frühere Zeit sind weitere Gründe für die Beliebtheit unter Älteren. Oder, wie es eine Aida-Mitarbeiterin in der Kaiserstraße formuliert: „Die Konditorei war eben immer schon da und sieht immer noch so aus.“ Zudem würden die älteren Herrschaften laute Musik und Lärm ablehnen, beides ist in der Aida nicht zu erwarten. „Man wächst mit dem Alter wieder in die Aida hinein“, sagt Ratzenberger. Als Kind habe man sie mit der Großmutter kennengelernt, „als Jugendlicher lässt man los, und später findet man wieder zurück.“

Die Wahrscheinlichkeit, dass es dann noch so aussieht wie damals, ist hoch: Eine moderne Neugestaltung ist nicht geplant, zumindest nicht in Wien. Während die neuen Filialen im Ausland – etwa im saudiarabischen Dschidda – modern und luxuriöser gestaltet sind, bleiben die Wiener Filialen vor allem an den nicht ganz zentralen Standorten weitgehend unverändert.

Als „soziale Aufenthaltsräume“ bezeichnet Berndt Querfeld, Obmann der Wiener Kaffeesieder (zu denen auch die Kaffee-Konditoreien zählen), die Funktion der Konditoreien. Wieso der Frauenanteil an vielen Standorten deutlich über dem der Männer liegt? „Vielleicht gehen die älteren Frauen eher außer Haus und sind organisierter“, sagt Querfeld. Und „die Männer sterben einfach früher“, sagt Paul Hofmann vom Cafesalon. Oder gehen vielleicht lieber in ein klassisches Kaffeehaus. Wobei es auch in Querfelds Landtmann Tische gibt, „an denen fast nur Frauen sitzen“.

Mag sein, dass sich ältere Frauen in einer hellen, ruhigen und beschaulichen Konditorei mit meist weiblichem Personal wohler fühlen als in einem lauteren und größeren Kaffeehaus, in dem bis vor wenigen Jahren noch geraucht wurde. Und ums Wohlfühlen geht es, schließlich bleiben die Damen gern länger. Ein wenig beneidet man sie als arbeitender Mensch für die Zeit. Andererseits – ja, das klingt pathetisch – erzählen ihre stillen Besuche bei Kaffee und Kuchen auch von der Einsamkeit bei ihnen zu Hause, gleichzeitig scheinen sie die vertraute, heimelige Atmosphäre in den Konditoreien zu schätzen.

Fast wie bei der Oma zu Hause.
Wenn also Sigrid Hofmann sagt, dass ihr Cafesalon für Stammkundinnen „ein zweites Wohnzimmer“ sei, bestätigt das nur den Eindruck, den man von dem kleinen Raum hat: bequeme braune Bänke, altrosa Tischdecken, angenehmes Licht. Würde hier ein Hans-Moser-Film laufen, es wäre fast so wie damals bei der Oma zu Hause. Überraschenderweise läutet plötzlich doch ein Handy am Nebentisch. Die Dame mit der Dauerwelle hebt ab. „Wie geht es dir?“ fragt sie. Pause. „O je.“ Pause. „Nein, bei mir nichts Besonderes.“ Nur wieder einmal eine Stunde in der Konditorei gewesen.

„Glück“, steht auf einem Plakat in der Aida. „kann man nicht kaufen. Unsere Aida-Krapfen schon.“ Und dazu ein wenig Gesellschaft in Zuckerlrosa.

Frauen, Café, Konditorei

Die typischen Wiener Kaffeehäuser waren lange Zeit den Männern vorbehalten. Die Begründung: Man wolle Frauen vor Spielen, Rauch und Alkohol bewahren. Frauen wurden nur in Form der Sitzkassiererin geduldet. Erst 1856 durften Frauen in die Wiener Cafés. Parallel dazu blühte in Wien die (meist weibliche) Salonkultur in Privatwohnungen.

Konditoreien haben in Wien ebenfalls eine lange Geschichte und zählten seit jeher Frauen zu ihren Kunden. Heute gibt es in Wien etwa 150 von Zuckerbäckern geführte kleine Konditoreien und 108, die als Kaffee-Konditoreien zu den Kaffeesiedern zählen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2014)

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