Wie verwundbar ist Russland?

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Russlands Wirtschaft ist angeschlagen wie lange nicht mehr. Selbst ohne allfällige Sanktionen des Westens leidet sie unter dem Krim-Konflikt. Vermutlich gab sich Präsident Putin deshalb nun konzilianter.

Wien. Unter den Theorien, die Wladimir Putins Vorgehen in der Ukraine zu erklären versuchen, gehört die über ein Ablenkungsmanöver nicht zu den abwegigsten. Noch bis vor zwei Wochen waren die Olympischen Spiele jenes Schauspiel, mit dem der Kreml-Chef von seinem größten Feind, der deplorablen Wirtschaftssituation, ablenken konnte. Mit der Krim-Krise wäre ein neues gegeben.

Die Theorie ist natürlich verkürzt. Und selbst wenn sie im Ansatz stimmte, so ging das Kalkül nicht auf. Denn die Krim-Krise hat die Wirtschaftsprobleme verschärft. Um über zehn Prozent sackten die beiden russischen Leitindizes am schwarzen Montag ab. Der Rubel fiel auf ein Rekordtief. Am Dienstag, als Putin kulantere Töne anschlug, wurde ein Teil der Verluste wieder wettgemacht.

Gegenseitige Abhängigkeit

Die Börse hat die Unsicherheit seismografisch abgebildet und einmal mehr eine Ahnung davon geliefert, wie anfällig Russlands Wirtschaft mittlerweile ist. Am empfindlichsten zeigt sich das beim Gaskonzern Gazprom, der die meisten Geschäfte in der Ukraine macht und zudem vom reibungslosen Transit hin zu seinem lukrativsten Markt Europa abhängt. Gazprom ist außerdem Russlands größter Devisenbringer.

Der Staat braucht das Geld so dringend wie schon lange nicht mehr. Zwar hat Russland im Unterschied zu anderen Schwellenländern einen Leistungsbilanzüberschuss erzielt. Auch ist die Auslandsverschuldung mickrig und das Budget fast ausgeglichen. Allein, jener Teil des Budgets, der nicht aus Öl- und Gaseinnahmen bestritten wird, weist ein Defizit von 10,2 Prozent des BIPs auf, was laut Finanzminister Anton Siluanow hochriskant ist. Zudem stagniert die Wirtschaft de facto mit einem Wachstum von 1,4 Prozent im Vorjahr.



Wenn Putin gestern auf die Frage nach westlichen Sanktionen meinte, „in der modernen Welt, in der alle voneinander abhängig sind, muss man verstehen, welcher Schaden daraus entsteht", so hat er nichts Falsches gesagt: Denn einerseits macht es die gegenseitige Abhängigkeit schwer, einen wirksamen Hebel gegen Russland zu aktivieren. Andererseits verschweigt Putin aber, dass angesichts der Verwundbarkeit auch kleine Maßnahmen schmerzen. Eine solche wäre der Boykott des heurigen G8-Gipfels in Sotschi oder der Ausschluss aus dieser Gruppe, in die sich Russland mühsam hineinreklamiert hat.

Russland braucht Investitionen

Empfindlicher wäre die Sperre des Auslandsvermögens russischer Topbeamter. Dass Moskau schon bei Sanktionen gegen niedrige Beamte tobt, hat sich vor gut einem Jahr gezeigt, als im Gegenzug die Freigabe russischer Kinder zur Adoption in den USA verboten wurde. Im jetzigen Fall würden russische Firmen und Banken einfach Kredite bei US-Banken nicht mehr tilgen, sagte Putins Wirtschaftsberater Sergej Glasew.

Am Abend wurde bekannt, dass die EU 18 Personen auf eine Liste setzt und deren Vermögen in der EU einfrieren wird. Um wen es sich handelt, wurde nicht bekannt - es seien aber keine Russen, sondern Ukrainer.

Es würde das Land treffen, wenn der Westen russischen Anleihen den Zugang zum Kapitalmarkt versperrte und so die Schuldzinsen in die Höhe triebe, wie die Bank Credit Suisse schreibt. Am empfindlichsten spürt Russland alles, was Investitionen in seine Wirtschaft hemmt, zumal die eigenen Unternehmer ihr Geld gern ins Ausland schaffen. Das ist aber kein schneller Hebel.

Zweischneidige Handelssanktionen

Was wirkliche Handelssanktionen angeht, so sind diese grundsätzlich wirksam, in Bezug auf Russland aber ein zweischneidiges Schwert, zumal für Europa, das im Unterschied zu den USA eng mit Russland verflochten ist. Die Hauptausfuhrgüter Öl, Gas, Stahl und Metalle braucht der Westen so dringend wie Russland das Geld dafür. Russische Gasimporte zu reduzieren gelingt seit Jahren nicht. Andererseits: Sich gegen die geplante Pipeline South Stream querzulegen würde Russland schwer vor den Kopf stoßen.

Es braucht nicht einmal Krieg oder Sanktionen, deren Auswirkungen für die russische Wirtschaft noch kaum jemand beziffert. Selbst wenn der Konflikt sich bald legt, wird er nachwirken, meint Jewgeni Gavrilenkov, Chefökonom der Investmentbank Sberbank CIB: „Er wird den Rubel zusätzlich belasten, und die Zuspitzung geopolitischer Risken und der Ungewissheit wird sich negativ auf die Investitionen in Russland auswirken."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2014)

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