"Putin wird an der Ukraine ersticken"

Pro-Russian demonstrators erect a Russian flag outside the regional government building in Donetsk
Pro-Russian demonstrators erect a Russian flag outside the regional government building in Donetsk(c) REUTERS
  • Drucken

Die Politologin Nina Khrushcheva, Enkelin des Sowjetführers, hält den russischen Anschluss der Krim für ein Eigentor des Kreml.

Die Presse: Ist die Machtübernahme auf der Krim Wladimir Putins größter geopolitischer Erfolg – oder ist das der Anfang vom Ende seines Regimes?

Nina Khrushcheva: Zweiteres. Geostrategisch ist das eine desaströse Entscheidung. Die Märkte haben bereits entsetzlich reagiert. Und was soll dieses „Großrussland“ überhaupt bedeuten, das Putin zusammenzubasteln scheint, indem er Territorien aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken herausbeißt? Was bedeutet es für das heutige Russland, das Teil der Weltwirtschaft sein will, wenn Konten eingefroren werden und Russen nicht mehr reisen können, weil sie keine Visa bekommen? Putin wird an der Ukraine ersticken.

Die deutsche Kanzlerin Merkel hat in ihrem Telefonat mit US-Präsident Obama gesagt, Putin habe ihrer Einschätzung nach den Bezug zur Realität verloren und lebe in seiner eigenen Welt. Wie gut ist er noch über das tatsächliche Geschehen informiert?

Ich bin sicher, dass er gut genug informiert ist. Bloß sieht er wie jeder Autokrat die Dinge ganz anders. Und nach 14 Jahren an der Macht ist er ein vollkommener Autokrat, mit einer brillanten Fähigkeit zur Manipulation. Er denkt, dass er unbesiegbar ist und rund um die Welt Schachfiguren herumschieben kann. Mit den Olympischen Spielen in Sotschi hat er gezeigt, dass Russland Dinge bewegen kann. Die Krim ist nun für ihn die Kirsche auf der Torte. Und in dieser Hinsicht unterliegt er einem Wahn. Taktisch gesehen mag es für ihn wie ein Sieg aussehen, dass er dieses begehrte Stück Land für Russland zurückgewonnen hat. Aber wie soll Russland langfristig funktionieren, mit geschlossenen Grenzen und eingefrorenen Bankkonten, dem fallenden Rubel? Insofern hat Angela Merkel wohl recht: Putin glaubt, in der Welt zu leben, die er für sich schafft, so wie er das in Sotschi getan hat. Aber Sotschi hat zwei Wochen gedauert. Das ist nicht die Welt, in der wir leben.

Was bringt es, dass westliche Politiker an Putins Verantwortung als Staatsführer appellieren?

Nichts, weil er eine bombastische Denkweise hat, die ein bisschen jenseitig ist. Sie lässt ihn denken, die Russen hätten ein Anrecht darauf, in der Ukraine zu sein. Er ist ein großartiger Opportunist. Er hat ein ums andere Mal gezeigt, dass er anderer Leute Schwächen perfekt ausnutzen kann. Das war ja sein Job in der DDR, als er für den KGB Spione zu rekrutieren hatte.

Wird sich Putin mit der Krim zufriedengeben? Oder glauben Sie, dass er auch im Osten der Ukraine eingreifen wird?

Das hängt eher von der neuen Regierung in Kiew ab als von ihm. Wenn sich die Situation in Städten wie Donezk oder Dnjepropetrowsk verschärft, könnte er sich gezwungen sehen, seine Truppen einrücken zu lassen. Das hat er schon angedeutet, als er vom Schutz der Russen in der ganzen Ukraine sprach. Ich denke jedenfalls nicht, dass er ohne Zugeständnisse von der Krim abziehen wird.

Was sollte der Westen jetzt tun, um eine Eskalation zu vermeiden und um die Abspaltung der Krim rückgängig zu machen? Ist das überhaupt noch möglich?

Ich weiß nicht, ob es noch möglich ist, Putin von der Krim wegzulocken. Es muss vermutlich eine Art von gemeinsamer Regierung der Ukraine und Russlands auf der Krim geben. Russland aus den G8 zu werfen, wäre eine Möglichkeit, Druck zu erzeugen; das wäre peinlich für Putin. Banksperren, ein Visabann wären besser, um Putin zu bewegen, als bloß an sein Verantwortungsgefühl zu appellieren. Die Nato könnte die russische Schwarzmeerflotte daran hindern, das Schwarze Meer zu verlassen.

Putin spekuliert auf den Nationalismus in weiten Teilen des Volkes. Denken Sie, dass die Stimmung kippen könnte und die Leute dagegen zu demonstrieren beginnen, dass man ein slawisches Brudervolk bekriegt?

Es gibt schon Widerstand, nicht auf dem russischen Land, aber in Moskau und anderen Städten, wo die Leute sagen, dass es Wahnsinn sei, nach Georgien noch ein Land anzugreifen, dass noch dazu ein Bruderstaat ist. Darum denke ich, dass Putin nicht im Osten der Ukraine intervenieren wird, denn die Lage ist dort viel komplizierter als auf der Krim. Viele liberalere Russen finden ja, dass Putins Methoden zwar nicht fein sind, aber dass es schon gut ist, dass er die Krim zurück nach Russland geholt hat. Aber sie halten es auch für keine gute Idee, den Hass der Welt auf Russland zu ziehen.

ZUR PERSON

Nina L. Khrushcheva lehrt Politik an der New School in New York. Sie ist die leibliche Großenkelin des Sowjetführers Chruschtschow und zugleich seine rechtliche Enkelin, nachdem er 1943 ihre verwaiste Mutter adoptiert hatte. [ Internet ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.