Von Erdberg aus wird das gesamte Wiener U-Bahn-Netz ferngesteuert – am Dienstag wurde das zum Fluch: Eine fehlerhafte Netzwerkverbindung legte das halbe System lahm.
Steigen Sie nicht mehr ein“, herrscht die Stimme aus dem Lautsprecher die Passagiere in Unter St. Veit an. Ein jugendliches Pärchen hält sich nicht daran und wirft sich in letzter Sekunde durch die Türen der Silberpfeilgarnitur, die gleich darauf stadtauswärts davongleitet.
Am anderen Ende der Stadt, in Erdberg, verfolgen wachsame Augen die Szene: Blaustichige Bildschirme an der Wand zeigen, was sich auf den Bahnsteigen entlang der U4 abspielt. Unter ihnen lässt sich an einer Wandinstallation in Echtzeit verfolgen, wie die U-Bahn-Garnitur, repräsentiert durch einen dicken roten Strich, entlang der Strecke von UV nach OV fährt, wie die Weichen und Ampeln entlang dieser Strecke gestellt sind.
Die Leitstelle der Wiener Linien ist das Nervenzentrum des Wiener U-Bahn-Systems: Hier laufen alle Informationen über Position und Geschwindigkeit der Züge zusammen; hier überwachen 24 Stunden täglich die Stellwerkswärter das Netz, um im Notfall Züge anhalten zu können, sie umzuleiten oder die Fahrgäste über Abweichungen vom Fahrplan zu informieren. Die Leitstelle, die nicht zufällig an einen Flughafenkontrollturm erinnert, habe sich bewährt, sagt Konzernsprecher Dominik Gries: Als zum „Kranensee“-Event in Aspern dreimal so viele Gäste kamen wie erwartet, hätten die Stellwerker kurzerhand schnellere Takte verfügt.
Netzweiche stört Weichen
Nur: Wenn ein Nervenzentrum Probleme hat, spürt man das bis in alle Gliedmaßen. So war es auch am Dienstag, als es zum bisher großflächigsten U-Bahn-Ausfall kam: Zur Abendstoßzeit zwischen 16 und 17 Uhr, wenn 130.000 Menschen im U-Bahn-Netz unterwegs sind, standen U3, U6 und weite Teile der U4 komplett still. Einen Stock unter dem Kontrollraum steht Norbert Heinrich, Leiter der Abteilung Sicherheitstechnik der Wiener Linien, in dem Serverraum, der die Leitstelle mit dem Rest der Stadt verbindet und deutet auf eine Platine. „Dieser Switch ist der Übeltäter.“
Ein Switch, das ist ein Verteilungsknoten, der Daten in einem Computernetzwerk umleitet – eine Art Weiche für Datenpakete. Genau so ein Teil, das in seiner normalen Lebensdauer normalerweise keine Wartung benötigt, fiel am Dienstag aus – und das Back-up dafür ebenso.
Genau dieser Switch verbindet aber die Leitstelle mit den 21 Stellwerken im Wiener U-Bahn-Netz: mehrere Stationen lange Kombinationen aus Weichen, Signalen und Sensoren, deren Abstimmung aufeinander dafür sorgt, dass der Verkehr ungehindert fließen kann.
Die Folge: In der Leitstelle sah man plötzlich nicht mehr, wo sich die Züge befanden, wie die Signale standen. Betroffen waren U3, U4 und U6, deren Stellwerke noch auf Relaistechnik basieren; U1 und U2 waren im Zuge ihrer Erweiterung bereits auf ein neueres, elektronisches System umgestellt worden.
Nun waren die Stellwerke zwar weiter funktionsfähig – aber ohne steuernde Aufsicht. Während alle Züge aus Sicherheitsgründen gestoppt wurden, liefen dort die Telefone heiß: Dutzende Mitarbeiter wurden aus der Freizeit gerufen und mit Blaulicht durch die Stadt gefahren, um die Stellwerke manuell, an lokalen Leitstellen entlang der Strecken, zu bedienen.
Weil für diesen Fall nicht genügend geschulte Mitarbeiter bereitstehen – einer der Vorteile der zentralen Leitstelle ist es ja, nicht jeden Streckenposten einzeln besetzen zu müssen – dauerten die Probleme an der U6 bis nach 18 Uhr. Bis in die Morgenstunden dauerte die Fehlersuche, jetzt ist der Switch ausgewechselt. Eine Wiederholung des Fehlers sei „äußerst unwahrscheinlich“, sagt Heinrich. Hundertprozentig ausschließen könne man sie aber nicht. (s. Interview unten)
Web:diepresse.com/ubahn
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2014)