Allein mit den Trugbildern der Erinnerung

Irreführend: Das Buch „Stille“ von Peter Zimmermann ist kein Roman, sondern sprachgewandte Assoziationsprosa.

Der vierte Roman des ORF-Radioredakteurs Peter Zimmermann, „Stille“, hat auf den ersten Blick ein besonderes Kennzeichen,nämlich den optischen und haptischen Charme eines Terminkalenders, weshalb man sich unwillkürlich fragt, was der Verlag dem Autor antun wollte, und sich an die Rätsellösung macht.

Nun hat dieses Buch keine lexikalischen Eigenschaften, aber viel Verwirrendes an sich. Zimmermann reiht eine Begebenheit an die andere, vermengt, nicht ungeschickt, Erinnerung mit Handlung, erzählt viel, bleibt aber trotzdem im Ungefähren. Dieser Roman hat keinen Inhalt, der konsequent (und leserfreundlich) von A nach B führen würde, er kennt keine scharf gezeichneten Figuren, sondern höchstens deren Schatten, und lässt sich logisch nicht wiedergeben; manches kann überhaupt nur vermutet werden.

Weniges ist klar und deutlich. In gröbsten Umrissen kann man nacherzählen, dass in einer morschen Hütte im Nirgendwo seit Jahren ein Mann festgehalten wird, der weder weiß: weshalb, noch: von welcher „Macht“. Die Trugbilder der Erinnerung leisten ihm Gesellschaft. Bewacht wird er von einem „Mann in Pfadfinderuniform“, womit auf die verqueren Gesetzmäßigkeiten dieser Prosa hingewiesen werden kann. Zur selben Zeit existiert an einem anderen namenlosen Ort eine Frau, die versucht, die Stücke ihres zerbrochenen Lebens zusammenzufügen. Die Vergangenheit wehrt sie erfolglos ab.

Der Protagonist Jan und seine langjährige Lebensgefährtin Katharina haben einmal dieses seltsame Paar gebildet, bevor sie einander verlorengingen. Peter Zimmermann zeigt in „Stille“ nicht nur die Trümmerreste der in Brüche gegangenen Liebe, sondern auch die Zerbrechlichkeit von Erinnerungen. Letztlich bleibt offen, ob sie noch einmal zusammenfinden werden.

Sexszenen als Versatzstücke

Im Grunde geht es in diesem Buch nicht nur um ein Pärchen, sondern um insgesamt drei Paare, die keine mehr sind. Damit nicht genug, müssen zwei der drei Frauen lesbisch sein. Eine davon, Katharina, wurde als Kind sexuell missbraucht. Zimmermann greift hier ein diffiziles Thema an, dem er in diesem Roman nicht gerecht werden kann, jedenfalls nicht auf seine Art. Natürlich gehören ein paar jugendfreie Sexszenen zu den Versatzstücken dieses Buches und zu seiner Beliebigkeit.

Ein bisschen prunkt der Autor auch mit seinem Wissen, wenn er den Text mit Zitaten aus Film, Literatur und Songs spickt; wobei gegen diese literarische Manier eigentlich nichts einzuwenden ist, zumal man so auf eine allfällige Tradition und die Lektüre des Urhebers schließen kann.

Streng genommen ist die Gattungsbezeichnung für Peter Zimmermanns 200-Seiten-Buch irreführend. Es handelt sich nicht um einen Roman im klassischen oder literaturwissenschaftlichenSinn, sondern um Assoziationsprosa, der unbedingt ein Gutes nachzusagen ist: Der Autor kann mit der deutschen Sprache umgehen, daran besteht von der ersten bis zur letzten Seite kein Zweifel, nur baut er aus den Wörtern und Sätzen keine nachvollziehbare Story. Will er auch nicht. Und so erkennt man erst nach der Lektüre, dass sich eher der Verlag etwas angetan hat. ■

Peter Zimmermann

Stille
Roman. 212 S., geb., €20,60 (Secession Verlag für Literatur, Zürich)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2014)

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