Bauernaufstand in der Volkspartei

Andrä Rupprechter
Andrä RupprechterDie Presse
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Andrä Rupprechter ist nicht der erste Landwirtschaftsminister, der sich dem ÖVP-Mainstream widersetzt. Wie kann es sein, dass ausgerechnet der konservative Bauernbund die liberalsten Köpfe hervorbringt?

Gut möglich, dass Michael Spindelegger seit einigen Tagen so etwas wie Reue verspürt. Vielleicht hätte er Nikolaus Berlakovich nach der Nationalratswahl im Herbst doch nicht ablösen sollen. Als reformfreudigen und populären Landwirtschaftsminister wird man den Burgenländer zwar nicht in Erinnerung behalten. Aber wenigstens war er immer linientreu.

Von seinem Nachfolger lässt sich das nicht gerade behaupten. Obwohl er erst seit drei Monaten im Amt ist, hat Andrä Rupprechter schon mehrmals bewiesen, dass er ein äußerst situationselastischer Politiker ist. Seit einer Woche weiß man auch, dass ihm seine Partei gesellschaftspolitisch zu konservativ ist. Man möge homosexuellen Paaren doch endlich das Adoptionsrecht zugestehen, regte der Tiroler in einem „Standard“-Interview an.

Dass er den traditionellen Spindelegger damit in Erklärungsnot brachte, aus der sich der ÖVP-Obmann bis heute nicht befreien konnte, nahm Rupprechter bewusst in Kauf. Wobei sein Motiv nicht ganz eindeutig ist: Ging es ihm wirklich nur um die Sache? Wollte er sich auf Kosten seiner Partei als Liberaler profilieren? Oder beides?

Vielleicht begreift sich Rupprechter ja in der Tradition mancher seiner Vorgänger. Denn er ist nicht der erste Landwirtschaftsminister, der intern mit einer anderen Meinung oder einem programmatischen Vorschlag unangenehm auffällt. Ein Josef Riegler stieß auf breite Skepsis, als er in den Achtzigern die ökosoziale Marktwirtschaft postulierte. Ein Franz Fischler ärgerte regelmäßig die Landeshauptleute der ÖVP, indem er den Föderalismus infrage stellte. Ein Josef Pröll wollte die Partei öffnen und setzte nach dem Perspektivenprozess, den er geleitet hatte, immerhin die Homo-Partnerschaft durch.

Mit Abstrichen gehört auch Wilhelm Molterer in diese Reihe, zumindest der junge Molterer, der reformfreudig war und Rieglers Ideen umsetzte, ehe er zunehmend „verschüsselte“, um es mit den Worten eines Parteifreundes zu sagen. Also wie Wolfgang Schüssel zum Wertkonservativen wurde.

Kein Hort des Liberalismus.
Besonders Fischler und Josef Pröll hätten sich mit Offenheit und neuen Ansätzen von der Masse der Partei abgehoben, sagt der Meinungsforscher Peter Ulram. Fischler teilt diese Meinung nicht ganz: Im Gegensatz zum durchaus visionären Riegler sei Josef Prölls Politik „mehr Mainstream“ gewesen. Eine gewisse Reformbereitschaft gesteht er ihm aber zu.

Er selbst habe den Mainstream, also die Parteilinie, eher kritisiert, erinnert sich Fischler, der heute Präsident des Forums Alpbach ist: „Ich habe mich nie als Vordenker der ÖVP gefühlt. Ich hatte immer meine eigenen Positionen zu den unterschiedlichsten Themen.“

Wie Riegler, Pröll, Molterer und Rupprechter ist auch Fischler im Bauernbund, einer der großen Vorfeldorganisationen der Volkspartei, politisch sozialisiert worden. Doch der landwirtschaftliche Flügel der ÖVP mit seinen mehr als 300.000 Mitgliedern gilt nicht gerade als Hort des Liberalismus und wird von weniger Wohlmeinenden bisweilen auf eine Stufe mit der Lehrergewerkschaft gestellt. Dass ausgerechnet der Bauernbund in den vergangenen Jahrzehnten die progressivsten Köpfe der Partei hervorgebracht hat, passt nicht ganz ins Bild. War das Zufall, oder gibt es dafür eine plausible Erklärung?

Den Führungsleuten werde mehr Freiheit gelassen, es gebe nicht „so enge Bande“ wie in den anderen Teilorganisationen, dem Wirtschaftsbund oder dem Arbeitnehmerbund ÖAAB, meint Fischler. Dafür hat er zwei mögliche Erklärungen: die christlich-soziale Tradition, in der sich der Bauernbund sieht, und die Schwierigkeiten, mit denen die Bauern seit jeher konfrontiert seien. „Da ist man gezwungen, nach neuen Wegen zu suchen.“ Es stimme allerdings nicht, dass die Mutigen nur aus dem Bauernbund kämen, sagt Fischler. Man denke an Erhard Busek oder Heinrich Neisser, die anderen Teilen der Partei entstammten.

Gute Personalauswahl. In der ÖVP gibt es auch psychologische Deutungsversuche, die wenig bis gar nichts mit dem Bauernbund zu tun haben: „Das sind alles Leute, die vom Land kommen und der ländlichen Enge entfliehen wollten, sonst wären sie daheim auf dem Hof geblieben. Das setzt eine gewisse Offenheit und Neugier voraus. Gleichzeitig bleiben sie aber im bäuerlichen Milieu verwurzelt“, sagt ein ÖVP-Kenner. Außerdem sei es an der Zeit, mit einem Mythos aufzuräumen: Die Landwirtschaft sei fortschrittlicher, als es die „Ja, natürlich“-Werbung vermuten lasse. „Die Bauern haben eine gewisse Lebensnähe.“ Was man vom Bauernbund nicht unbedingt behaupten könne.

Peter Ulram gesteht ihm immerhin „eine gute Personalauswahl“ zu. ÖVP-intern erzählt man sich Ähnliches: Junge Mitarbeiter würden im Bauernbund früher als anderswo mit Verantwortung betraut. Fritz Kaltenegger etwa, heute bei der Agrana-Gruppe, war 34 Jahre alt, als er im September 2005 Bauernbund-Direktor wurde. 2008 holte ihn Josef Pröll als Generalsekretär in die Bundespartei. Wie Pröll und Fischler hat auch Kaltenegger an der Universität für Bodenkultur studiert, wo linke Studenten auf ländlich-konservative treffen. Mit wechselseitigen Einflüssen.

Zur Pröll-Kaltenegger-Clique gehört auch Stephan Pernkopf, obwohl er nicht an der Boku, sondern Jus studiert hat. Er war Prölls Kabinettchef im Landwirtschaftsministerium und im Finanzministerium. 2009 ging er als Agrarlandesrat nach Niederösterreich zurück.

Pernkopf war wesentlich in den Perspektivenprozess eingebunden und zählt wie Pröll zum wertliberalen Flügel der ÖVP. Seit 2012 ist er auch Präsident des Ökosozialen Forums, das sich Rieglers Vision von einer nachhaltigen Wirtschaft zur Aufgabe gemacht hat. Wenn die ÖVP wieder einmal hohe Ämter besetzen darf, fällt stets der Name Pernkopf. Als Minister war er schon mehrmals im Gespräch. Manche glauben auch, dass er eines Tages Erwin Pröll als Landeshauptmann beerben wird.

Querdenker machen Karriere.
Andrä Rupprechters Karrierepläne sind bisher nicht bekannt. Doch die ÖVP-Vergangenheit hat gezeigt, dass sich alternative und neue Sichtweisen langfristig als nützlich erweisen können: Fischler, der Querdenkerei und Querschießerei manchmal auch vermischte, wurde nach seiner Ministerzeit EU-Kommissar für Landwirtschaft und blieb es neun Jahre lang. Riegler, Molterer und Pröll wurden das, was Spindelegger jetzt ist: Vizekanzler und Parteiobmann.

VORDENKER

Josef Riegler war von 1987 bis 1989 Landwirtschaftsminister, danach Vizekanzler, Föderalismus-Minister und ÖVP-Obmann (von 1989 bis 1991). Riegler prägte den Begriff der ökosozialen Marktwirtschaft, die den Umweltschutz in die soziale Marktwirtschaft integriert. APA


Franz Fischler leitete das Agrarministerium von 1989 bis 1994. Danach wechselte der als kritischer Geist bekannte Tiroler in die EU-Kommission. Seit 2012 leitet er das Forum Alpbach. Fabry


Wilhelm Moltererwar von 1994 bis 2003 Landwirtschaftsminister, danach Klubobmann, Finanzminister und Vizekanzler bzw. ÖVP-Chef (2007 bis 2008). Molterer mutierte im Lauf seiner Karriere vom Progressiven zum Wertkonservativen. Seit 2011 ist er Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank. APA


Josef Pröll leitete das Agrarressort von 2003 bis 2008 und zwischenzeitlich die Perspektivengruppe, die 2007 Vorschläge für eine Neuausrichtung der ÖVP machte. Nach der Wahl 2008 wurde Pröll Parteichef, Vizekanzler und Finanzminister. 2011 zog er sich aus der Politik zurück und übergab die Partei an Michael Spindelegger. Heute ist er Vorstandschef beim Raiffeisen-Konzern Leipnik-Lundenburger. Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2014)

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