Frank Castorf: "Ich habe Angst vor dem Altern!"

Frank Castorf
Frank CastorfDie Presse
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Ein reiches Land wie Österreich sollte genug Geld für das Burgtheater erübrigen, sagt der deutsche Regisseur und Intendant Frank Castorf.

Sie haben eine 30-jährige Freundin, mit der Sie zum Heurigen gehen. Es geht Ihnen gut, oder? Mögen Sie es, in Wien zu arbeiten?

Frank Castorf: Ja, es geht mir gut. Aber wenn ich das sage, ist es dumm. Als Künstler muss man undankbar sein und behaupten, was man bekommt, reicht nie. Das habe ich von Claus Peymann gelernt. Ich bin gerne in Wien. Die Leute unterhalten sich über Theater und Kunst, hören Ambros, Danzer, aber auch Bob Dylan. Ich war mit meiner israelischen Freundin beim Heurigen in Grinzing. Wir kamen mit zwei 80-Jährigen ins Gespräch, die zur Schrammel-Musik sangen. Das war ein wunderbares Gefühl von Gemeinschaft, anders als in diesem kalten, pseudoamerikanischen Berlin.

Der Altersunterschied zu Ihrer Freundin, ist das kein Problem?

Es ist nicht nur gut. Sie meint, dass wir zusammengehören. Ich versuche es ihr auszureden. Wir trennen uns alle 14 Tage. Dann kommen wir wieder zusammen, und das Versöhnen ist sehr schön und leidenschaftlich. Sie ist Musikerin und auch nicht ganz einfach.

Sind Sie mit Schauspielern wie Sophie Rois oder Martin Wuttke, mit denen Sie seit Langem zusammenarbeiten, befreundet?

Ich bin mit keinem befreundet – außer mit meinen sechs Kindern von verschiedenen Frauen, mit meinen Liebschaften und mit meiner 90-jährigen Mutter. Mit anderen Menschen teile ich bestimmte Kampfabschnitte, man hat Verständnis füreinander.

Das Burgtheater ist in einer Krise. Sie sind seit Langem Intendant der Berliner Volksbühne. Was soll passieren mit der Burg?

Normalerweise würde ich erwarten, dass eine reiche Gesellschaft wie die österreichische in einem derartigen Ausnahmezustand der königlichen Burg, die ein anachronistisch theatralisches Großreich ist – das ist auch etwas Schönes – das nötige Geld gibt. Natürlich hat ein Intendant Verantwortung. Da möchte ich kein Urteil abgeben, ich weiß zu wenig. Bestimmte Dinge muss man sich leisten. Matthias Hartmann hat sich engagiert, er wurde umworben, es ist ungerecht, ihn so zu attackieren. Ich finde dieses Verhalten politisch und nicht dem Theater angemessen. Auch das Impresario-Gebaren von Silvia Stantejsky ist mir sympathischer als die Manager-Typen, die mittlerweile fast alle deutschen Theater übernommen haben. Ein subversiver jüdischer Geist wie Peter Zadek, der in Hamburg verjagt wurde, hat viel für die deutsche Demokratie getan. Solche Leute sind meist keine großen Manager, aber große Künstler.

Sie inszenieren im Burgtheater „Die Krönung Richards III.“ von Hans Henny Jahnn, ein grausames Stück, in dem Knaben geschlachtet werden. Wie wird das Burgtheater-Publikum reagieren?

Das weiß ich nicht. Jahnn ist gräuslich, das Grauen ist eins der Worte, die häufig bei ihm auftauchen, aber auch in Filmen wie z. B. „Apokalypse now“. Theater ist ein Abbild der Wirklichkeit. Ich mache viele Stoffe, die einem die gute Nachtruhe verderben. Gleichzeitig, man darf nicht immer gut schlafen. Wenn man schlecht schläft, ist die Sehnsucht nach Leben, Liebe, Lachen besonders groß. Man muss immer das Schöne und die Pest im Theater zusammen denken, beide haben die merkwürdige Strahlkraft einer schwarzen Sonne. Theater hat sich nicht im Brechtschen Sinne politisiert. Es ist nur noch eine Befindlichkeitsanstalt und ein Teil des Life Style.

Was ist der Unterschied zwischen „Richard III.“ von Hans Henny Jahnn (1894–1959) und Shakespeares Tragödie? Wer war Richard?

Ich habe wieder den ersten Band von Karl Marx' „Das Kapital“ gelesen über die ursprüngliche Agglomeration des Kapitals. Das war genau die Richard-Zeit. Richard machte Geschenke. Er war ein Ausgleicher zwischen den alten Clan-Interessen und jenen der freien Bauern, die es in England anders als im übrigen Europa gab. Die Tuchindustrie in Flandern aber brauchte Wolle, so fraßen, wie Thomas Morus schreibt, die Schafe die Menschen, die gezwungen wurden, bevor sie Arbeit fanden, ihr Land zu verlassen.

Richard III. ist der grausamste König, der je im Theater gewütet hat, auch bei Jahnn.

Jahnn schrieb sein Stück im norwegischen Exil als endlosen musikalischen Monolog über menschliche Gewalt am Ende des I. Weltkriegs, als Millionen in den Schützengräben starben. Shakespeare beschreibt Richard aus der Perspektive der Tudors und hat Richards Ansehen völlig verstümmelt. Das ist Siegerjustiz. Richard hinkt, er ist ein schlechter Mensch, er verführt Frauen, mordet Kinder und hat auch noch einen Buckel. Tatsächlich hatte er eine überstrapazierte rechte Schulter von der Kampftechnik. Jahnns Richard hat auch etwas vom anarchischen König Ubu und den fratzenhaften Figuren des Vor-Surrealismus.

Sind Sie noch Kommunist?

Wieder. Ich habe Kommunismus immer nur in der kleinbürgerlichen Art wie z.B. in der DDR erlebt. Ich war nie Kommunist im parteipolitischen Sinne. Aber ich bin ein materialistischer Regisseur. Ich gehe nicht davon aus, dass sich Schauspieler in Figuren hineindenken, sondern es gibt Beziehungen zwischen Menschen und aus denen entsteht die Sprache. Die Situation prägt das Denken und damit auch die Sprache. Wir denken, wir sind frei, leben in einer Demokratie. Aber wir sind keine handelnden Subjekte.

Was finden Sie persönlich an unserer Welt grauenhaft oder bedrohlich?

Wir leben mit der Schmerztablette. Wir sind völlig überrascht, wenn Verrat, Krankheit kommt oder Tod oder sonst etwas, das alle unsere Gewissheiten erschüttert. Dann nehmen wir Aspirin. Die Selbstgewissheit der Mittelklasse, zu der wir alle gehören, hat kein Gefühl mehr für das Unaussprechliche.

Künstler zählen sich zur Mittelklasse?

Ja. Wir sind alle eine große Kaste von Verdrängern geworden. Auch das, was Theater interessant gemacht hat, der Aufbruch, die Anarchie, in Hörspielen Antonin Artauds wurde geschrien, das sind Partituren der Unmöglichkeit, die nicht mit unserem hedonistischen Begriff von Schönheit korrespondieren.

Trotzdem marschiert das bürgerliche Publikum seit Jahren durchaus mit Begeisterung in Ihre Inszenierungen in Berlin oder in Wien, die alles andere als hübsch und bequem sind und viele Stunden dauern, während sich die meisten Regisseure mit 90 Minuten Filmlänge begnügen.

Ich glaube, es ist nur eine Minderheit, die das mag. Aber „Die Krönung Richards III.“ wird wieder vier, fünf Stunden dauern. Da kann ich nur sagen, hier stehe ich, ich kann nicht anders. Ich glaube, das ist auch schön, das Publikum merkt, ob man eine Seele hat.

Sie haben eine Seele?

Ja. Wenn die Seele in Verwirrung ist, wünscht man sich wieder ein Theater, das das Format Fernsehen konterkariert, das heute samt dieser kurzen Längen der Aufführungen in die Unendlichkeit wächst. Man möchte auf den uralten Kampfstand Theater zurückkehren. Theater ist thesenhaft, wenn man zu viel bebildert, wird es langweilig. Es muss so überzeugend heucheln, dass die Menschen aus ihrer Selbstgenügsamkeit kommen.

Sie waren einer der ersten, der Kameras auf der Bühne hatte, auch diesmal?

Nein. In Bayreuth habe ich die Gegengeschichte zum „Ring“ mit der Kamera erzählt. Die Kamera ist für mich ein Mittel der Vivisektion. Ich kann damit etwas für heutige Begriffe genauer zeigen. Wir sind ja sehr filmisch geprägt.

Sind Sie ein guter Vater?

Nein. Liebevoll, aber nicht gut.

Was geben Sie Ihren Kindern mit?

Ich habe mich mit meinem Freund Hanno Pöschl unterhalten, der ein sehr guter Koch und ein interessanter Darsteller des Wiener Milieus ist. Er hat, was es in Österreich mehr gibt als in Deutschland, Großzügigkeit. Die Sozialisten sind ja generell ausgesprochene Geizhälse. Großzügigkeit ist in dieser linken, demokratischen Gesellschaft verloren gegangen. Pöschl sagt: Ich verschenke was. Das ist auch meine Haltung, und die versuche ich meinen Kindern mitzugeben.

Glauben Sie an Gott? Sind Sie religiös?

Ich habe viel Machtbewusstsein. In Österreich wäre ich Jesuit geworden. Ja, ich bin religiös. Ich glaube, dass wir uns nach dem Tod in einer Endlosigkeit des Raums befinden. Jedoch ist die Frage, wie viel Glück gibt's in der Hölle.

Warum sollten Sie in die Hölle kommen?

Weil ich viele Menschen verletzt habe.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein. Aber vor dem Altern.

Steckbrief

1951
Frank Castorf wird am 17. Juli in Berlin geboren.

1976
Nach einer Facharbeiterausbildung Studium. Danach: Dramaturg am Bergarbeitertheater Senftenberg.

1984
Fristlose Entlassung am Theater Anklam auf Druck der SED wegen einer Brecht-Inszenierung. Castorf beginnt im Westen zu inszenieren.

1990
Hausregisseur am Deutschen Theater in Berlin. Seine „Borkman“-Inszenierung wird zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

1992
Castorf wird Intendant der Berliner Volksbühne. Sein Vertrag läuft bis 2016.

1998
Castorf inszeniert Nestroy am Burgtheater. Er zeigt viele seiner Inszenierungen bei den Wiener Festwochen (Dostojewski).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2014)

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