Gerard Mortier: Verführer und Aufreger

Gerard Mortier Oper- und Theaterintendant Mortier mit 70 gestorben
Gerard Mortier Oper- und Theaterintendant Mortier mit 70 gestorben(c) APA/EFE/Paco Campos (Paco Campos)
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Der streitbare Opernmanager aus Belgien starb 70-jährig an einem Krebsleiden. In Salzburg sorgte er in den Neunzigerjahren für eine Neuorientierung der Sommerfestspiele nach der legendären Ära Herbert von Karajans.

An ihm schieden sich die Musiktheater-Geister. Gerard Mortier hat wie kein zweiter Intendant seiner Generation ästhetische Vorstellungen zu prägen verstanden. Denn zuallererst war er ein Verführer. Einer, der rhetorisch – und das in vier Sprachen – sein Gegenüber von der Wahrheit seiner Thesen überzeugen konnte. Jedenfalls konnte man ab einem bestimmten Zeitpunkt seiner Karriere in nahezu sämtlichen deutschen Feuilletons Argumentationsketten des Mortier'schen intellektuellen Gedankengebäudes nachlesen.

Das kam so: Die 1968er-Wende vollzog sich in den Sprechtheatern mit einer Radikalität, die in den Opernhäusern nicht ihresgleichen fand. Wo gesungen wurde, ging es langsamer mit dem sogenannten Fortschritt. Sprechtexte kann man umschreiben, kürzen, zerdehnen. In der Oper gibt es die Partitur, die schlechterdings unüberwindlich die Zeit vorgibt, innerhalb derer sich der Musiktheaterabend abzuspielen hat.

Doch wollte man auf szenische Innovation nicht verzichten. Und wie das zu bewerkstelligen war, das wusste der findige Bäckerssohn aus Belgien. Als man ihm im heimatlichen Théâtre de la Monnaie freie Hand ließ, brach er eine veritable Opernrevolution vom Zaun. Er tat es, Ästhet der er war, mit raffiniertesten Verführungsmitteln, verpflichtete Regisseure wie Patrice Chéreau oder Luc Bondy, die auch poetische Bildwelten auf die Bühne zu zaubern verstanden.

Die Verführung zum optischen Genuss

Das wirkte. Produktionen wie „Lucio Silla“, „La finta giardiniera“ oder, bleiben wir nur bei Mozart, „Così fan tutte“ traten Reisen an und wurden allenthalben als frische Statements zur Sache verstanden und akklamiert. Die Kritik, dass bei all diesen viel gelobten Aufführungen die optischen Aspekte doch stark die Frage nach der musikalischen Qualität übertünchten, war rasch weggewischt.

Das Feuilleton hatte seinen Helden. Und wo immer ein neuer Intendant gesucht wurde, das Ruder herumzureißen, einem Haus, einem Festival neuen Geist einzuhauchen: Der Name Gerard Mortier wurde als allererster genannt. Bis heute ist man in Salzburger Politikerkreisen überzeugt, mit der Bestellung dieses Intendanten zum Festspiel-Chef die ideale Entscheidung für eine gedeihliche Entwicklung der Festspiele gefällt zu haben. Der „Karajan-Mief“, so kann man es in den Kommentaren bis heute nachlesen, sei durch eine Persönlichkeit wie Mortier am konsequentesten zu vertreiben gewesen.

In gewisser Hinsicht stimmte das ja auch. Jedenfalls ist seit der Amtsübernahme durch Mortier, Anfang der Neunzigerjahre, vom elitären Festspiel-Gedanken der Nachkiegsjahrzehnte vor allem die Höhe der Eintrittspreise geblieben. Im Übrigen triumphierte Mortiers kulturpolitisches Konzept einer Neuausrichtung der Bühnenästhetik – ob man das nun schätzte oder den Zeiten der Dominanz musikalischer Spitzenqualität nachtrauerte: Dass Salzburg zur Sommerzeit ab sofort vorrangig nicht mehr den Stempel elitärer Künstlerpersönlichkeiten, sondern den des alles ordnenden Intendanten trug, war nicht zu leugnen.

Wie man in Brüssel Mortiers Oper bestaunte, diskutierte man in Salzburg fürderhin die „Mortier-Festspiele“. Konsequenterweise war Gerard Mortier der erste Intendant, der es aufs Titelblatt von Kunst- und Kulturmagazinen schaffte, weißer Schal inbegriffen. Wo sonst Pavarotti oder die Gruberova lächelten, tat es ab sofort ahnungsvoll der Intendant. Es gab zuvor keinen Operndirektor, dem das auch nur andeutungsweise gelungen wäre. Die eminente Leistung Gerard Mortiers bestand darin, durch eine kontroversielle Interviewkultur sich selbst und damit auch die Kunst, ihre Aufgabe, ihren Stellenwert in Diskussion zu bringen; und dort zu halten.

Begleitmusik als „großes Theater“

Die Produktionen, die unter seiner Führung herauskamen, die konnte man mögen oder ablehnen. Doch selbst wenn sie einen kaltgelassen hätten: Die kunsttheoretische Begleitmusik, die Gerard Mortier immer zu dirigieren wusste, taugte für „großes Theater“. Wenn es dann der Durchsetzung von Meisterwerken wie etwa Olivier Messiaens „St. Francois d'Assise“ galt, die aufgrund des eminenten Aufwands nach ihren Uraufführungen ohne tätliche Zuwendung durch einen Festspielbetrieb kaum Chancen auf eine Wiederaufführung gehabt hätten, dann kamen Ideologie und Festspiel-Gedanke, Theorie und praktischer Anspruch des Kunstwerks zur Deckung.

Das waren die Glanzpunkte im Wirken dieses Mannes, deshalb belohnten ihn seine stets hoch motivierten Mitarbeiter, aber auch seine streitbaren Widersacher: Auseinandersetzungen um die ästhetischen Fragen trugen zuweilen ja doch reiche Früchte. Und im Übrigen: Wo so viel gestritten wird erweist sich auch für den prinzipiell desinteressierten Zeitgenossen: Im Kunstbetrieb gibt es wohl manches, was noch aufregend sein muss. In diesem Sinn bleibt Gerard Mortier bis zuletzt, nachdem er – im Streit, wie denn auch anders – aus seinem Amt als Opernchef von Madrid geschieden war und über seinen Tod hinaus, der ihn im Alter von 70 Jahren nach schwerem Krebsleiden abberief, aktiv: Michael Hanekes von Mortier lancierte „Così“-Produktion ist heuer bei den Wiener Festwochen zu sehen . . .

ZUR PERSON

Gerard Mortier wurde am 25. November 1943 in Gent geboren. Er absolvierte ein Jesuiten-Kolleg, studierte Jura und Kommunikationswissenschaften. Mortier arbeitete für Christoph von Dohnányi und Rolf Liebermann. 1981 übernahm er für zehn Jahre die Brüsseler Oper. 1991 wurde er zum Intendanten der Salzburger Festspiele berufen. 2002–2005 programmierte Mortier die Ruhr-Triennale. 2004–2009 leitete er die Pariser Oper. Engagements in Bayreuth und New York scheiterten. 2010 wurde Mortier Direktor des Teatro Real in Madrid.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2014)

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