Zu laut, zu gefährlich, nicht lebenswert: In Meidling sprachen sich Politiker, Behörden und Anrainer gegen ein großes Wohnprojekt im Gleisdreieck aus. Gebaut wird trotzdem.
Wien. Der Prospekt wirbt mit einem Pool auf dem Dach und der Erlebnisqualität der angrenzenden Naherholungsgebiete.
Was die künftigen Mieter von 196 Wohnungen und über 100 Heimplätzen nicht erfahren: Ihr künftiges Zuhause ist rundherum von zum Teil stark befahren Bahngleisen umgeben. Quer durch das Gelände führt eine Hochspannungsleitung mit 380 kV. Die gesamte Meidlinger Bezirkspolitik, von der Vorsteherin bis zum Bezirksparlament, sprach sich deshalb gegen das Projekt aus. MA22 (Umwelt) und Umweltanwaltschaft gaben negative Stellungnahmen ab: zu laut für neue Bewohner und Anrainer, die zu Hunderten protestierten. Trotzdem wird im sogenannten Gleisdreieck gleich neben dem Meidlinger Kabelwerk inzwischen gebaut. Mit öffentlichen Förderungen in Millionenhöhe. Nun fragen sich vor Ort viele: Wie ist das möglich?
Vorweg: Der Teil des Projekts, der seit Herbst 2013 in Bau ist, hat eine Baubewilligung. Der zweite Teil ist nach Auskünften aus dem Magistrat kurz davor, eine solche zu bekommen. Nach den Buchstaben der Bauordnung ist alles in Ordnung. Und trotzdem bleibt offen, warum um jeden Preis an einem Ort gebaut werden muss, der sich denkbar schlecht dazu eignet.
Eng verflochten mit der Stadt
Der Bau könnte exemplarisch für eine häufig kritisierte Facette der Wiener Wohnbaupolitik sein: Wohnbauträger, die einmal mehr, einmal weniger eng mit Stadt oder Partei verflochten sind, bekommen fast alles bewilligt und erhalten obendrein üppige Fördergelder. Im Fall Gleisdreieck Meidling liegt die Sache so:
Vergeben werden die Wohnungen von den Bauträgern Migra und Wien-Süd. Letzterer wird seit jeher eine Nähe zur SPÖ nachgesagt. Migra vertritt die Interessen von gleich mehreren einflussreichen Eigentümern. Haupteigentümer ist– über den Zuwandererfonds – die Stadt selbst. Über Zwischengesellschaften haben jedoch noch weitere prominente Firmen und Personen Einfluss. Etwa Bank Austria und Erste Bank, die Vienna Insurance Group und die – ebenfalls städtische – Wien Holding. Nicht zuletzt gehören auch einer von Hannes Androsch angeführten Unternehmergruppe Anteile.
Franz Schodl war das Projekt schon immer verdächtig. Er sitzt für die Bürgerliste Pro Hetzendorf im Bezirksparlament und glaubt, dass „einflussreiche Personen“ Druck auf Beamte der Baupolizei ausgeübt haben. Namen nennt er nicht, die Verdachtslage bleibt vage.
Gräbt man tiefer, kommt Bemerkenswertes ans Licht. Am 15.Oktober 2013 bewarb das städtische Wohnservice Wien das Projekt und namentlich die beiden Bauträger auf einem doppelseitigen Inserat in der Wiener Gratistageszeitung „Heute“. Mit dem Hinweis, dass sich interessierte Mieter ab sofort für beide Projekte bewerben könnten. In dem Inserat sind auch detaillierte Computermodelle der Wohnanlage zu sehen. Seltsam daran ist: Für die Hälfte des Projekts gibt es bis heute keine Baugenehmigung. Wie war es also möglich, dass eine Einrichtung des Rathauses für tausende Euro ein Projekt bewirbt, von dem noch nicht einmal klar ist, ob es so überhaupt entstehen darf?
Nach Angaben des Wohnbauressorts (Leitung: Stadtrat Michael Ludwig) ist das gesamte Verfahren nach Vorschrift verlaufen. Die Vorgaben von Widmung, Bebauungsplan und Bauordnung wurden erfüllt, die Bedingungen für eine Förderung ebenso. Tritt dieser Fall ein, hat die Baupolizei gar keine andere Wahl, als eine Genehmigung zu erteilen.
„Es stimmt schon, rein rechtlich und von der Stadtverfassung her ist das alles gedeckt“, sagt Gabriele Votava, SPÖ-Bezirksvorsteherin in Meidling. Ob es klug ist, um jeden Preis Wohnbau zuzulassen, bezweifelt sie aber. „Rundherum fahren Züge, das Gelände ist nur über eine Brücke und Aufzüge zu erreichen, und Wien selbst ist längst davon abgekommen, in unmittelbarer Nähe von Hochspannungsleitungen Kindergärten und Schulen zu errichten. Warum also Wohnbauten?“
Während das Wohnbauressort für Wien keinen Wohnungsmangel sieht, nennt Votava eben diesen als Grund dafür, warum „jetzt und in Zukunft“ auf allen möglichen und auch unmöglichen Bauplätzen Wohnungen entstehen würden – auf Kosten der Bewohner.
Nutzen für Baufirmen
Die Baufirmen wiederum ziehen daraus einen Nutzen. Das Grundstück in Meidling hat nämlich eine Geschichte: Einst gehörte es der Porr, jenem Baukonzern, an dem Wien über die Stadtwerke auch Anteile hält. Da die Widmung damals nur Büros zuließ und der Markt dafür schlecht war, verkaufte der Konzern die Liegenschaft an die heutigen Bauträger. Gänzlich verabschiedet hat sich das Unternehmen vom Standort jedoch bis heute nicht: Die Kräne und Baumaschinen, die jetzt dort den ersten Teil des Wohnprojekts errichten, tragen alle das Logo der Porr.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2014)