Russlands imitierter „Kampf gegen Faschismus“

Karikatur: Peter Kufner
Karikatur: Peter Kufner www.peterkufner.com
  • Drucken

Wie die russische Führung unter Wladimir Putin die Eroberung der Ukraine militärisch und propagandistisch vorantreibt.

Eines der wichtigsten Wesensmerkmale der sozialen und politischen Ordnung in Russland ist die Imitation. Imitiert werden unabhängige Medien, autonome Gerichtsbarkeit, Wahlen und ein Parlament, aber auch wirtschaftliche und soziale Reformen sowie eine Modernisierung. Nichts davon gibt es wirklich. Man hantiert aber durchaus selbstbewusst mit den entsprechenden Bezeichnungen und meint, damit genug für den Anschluss an die „zivilisierte Welt“ getan zu haben.

Damit einher gehen systematische Verzerrungen und Umdeutungen von Begriffen, was in der Praxis dazu führt, dass sich kritische Initiativen, alternative Denker, die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien, politisch tätige Exponenten der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsaktivisten als „Extremisten“ verfolgt sehen. Oder – wie dieser Tage bei Protestaktionen gegen Wladimir Putins Ukraine-Politik in Moskau der Fall – völlig friedliche Demonstranten mit Plakaten, auf denen Slogans wie „Nein zum Krieg!“ stehen, als Sicherheitsbedrohung wahrgenommen und verhaftet werden.

Systematische Manipulation

Putins Staatsmacht besetzt vermeintlich eindeutige Begriffe ausschließlich nach Kriterien ihrer „Zweckmäßigkeit“. Das führt regelmäßig dazu, dass die russische Öffentlichkeit nicht nur systematisch hinters Licht geführt, sondern auch – und zwar ziemlich erfolgreich – manipuliert und kontrolliert wird.

Diese Methode wendet Russland nun auch auf der von ihm okkupierten ukrainischen Halbinsel Krim an. Dazu gehört nicht nur, dass ein in Anwesenheit von rund 22.000 russischen Soldaten und zahlreichen paramilitärischen Verbänden inszeniertes „Referendum“ eine „freie und zu respektierende Willensäußerung des Volkes“ genannt wird. Noch interessanter ist nämlich, worum es nach Darstellung der Kreml-Ideologen bei dieser „Abstimmung“ ging.

So riefen Demonstranten auf prorussischen Kundgebungen Slogans wie: „Kampf dem Faschismus, Nazismus und der Nato! Nein zum Euro-Reich (Hinweis auf das Dritte Reich) und zum Euro-Sodom!“

In der Tat schaffte es Russland mit einer intensiven Propagandakampagne innerhalb weniger Wochen, die Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim davon zu überzeugen, dass sie einer existenziellen „faschistischen Gefahr“ durch die neue, von der EU und den USA unterstützte Führung in Kiew ausgesetzt sei, der nur zusammen mit Russland begegnet werden könne.

Für das Deutungsmuster „Faschismus“ bietet sich Sewastopol geradezu als Projektionsfläche an. Diese Hafenstadt war während des Zweiten Weltkrieges Schauplatz erbitterter Kämpfe. Zahlreiche Denkmäler erinnern an die Opfer des Krieges und die Heldentaten der sowjetischen Soldaten. Und genau diese Stadt wurde nun im Zuge der Vorbereitungen auf das „Referendum“ mit großen Plakaten „geschmückt“, auf denen eine blutrot gefärbte Karte der Krim mit einem großen schwarzen Hakenkreuz zu sehen ist und die Bevölkerung aufgerufen wird, sich unter die Fahnen Russlands zu begeben, um den „Faschismus auf der Krim zu bekämpfen“.

So krude das auch sein mag – es wirkt, und zwar nicht nur auf der Krim, sondern auch in Russland selbst. Die vom Kreml unterhaltenen Medien haben in den letzten Wochen nichts unversucht gelassen, um den Eindruck zu erwecken, dass in Kiew „Faschisten, Antisemiten und Extremisten“ an der Macht seien und dass in großen Teilen der Ukraine Chaos und Anarchie herrschten. Mit der Realität hat das wenig bis nichts zu tun.

In der russischen Machtelite hat man den Medien zudem die Aufgabe zugewiesen, die russische Öffentlichkeit für einen möglichen Einmarsch der eigenen Armee in andere Regionen der Ukraine zu konditionieren.

Applaus von allen Seiten

Als Folge davon ist Putin in Russland derzeit so populär wie schon lange nicht mehr. Nicht nur einfache Bürger, sondern auch bekannte Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Sportler applaudieren der Zerschlagung der territorialen Integrität der Ukraine im „Kampf gegen den Faschismus“.

Die Verwendung des Begriffes „Faschismus“ im gegebenen Kontext soll die völkerrechtswidrige militärische Okkupation der Krim legitimieren und zudem eine Assoziation mit der seinerzeitigen Stärke und Größe der UdSSR bewirken, die Hitlers Wehrmacht besiegt hat.

Der Triumph von 1945 ist wohl das einzige positive historische Ereignis im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung des postsowjetischen Russland, das sonst einem riesigen blinden Fleck gleicht, da die Aufarbeitung der Verbrechen der Sowjetzeit in Ansätzen steckengeblieben ist. Ein echter Bruch mit der Sowjetzeit fand ungeachtet des Zerfalls der UdSSR 1991 jedenfalls in Russland nie statt. Der Sieg im Zweiten Weltkrieg trägt praktisch allein die Last des Bedürfnisses nach einer positiv besetzten historischen Identität und wird seit Jahren für alle möglichen politischen Zwecke systematisch missbraucht.

Salonfähiger Chauvinismus

Spätestens seit Theodor W. Adorno wissen wir, dass sich nicht aufgearbeitete Verbrechen und kollektive Gewalterfahrungen an den späteren Generationen rächen. So nimmt denn auch die Fremdenfeindlichkeit in Russland kontinuierlich zu. Chauvinistische, ja rassistische Äußerungen sind nicht „nur“ salonfähig, sondern längst fester Bestandteil des öffentlichen und politischen Lebens. Dazu zählen die im slawischen Bevölkerungsteil oft anzutreffenden ablehnenden bis aggressiven Einstellungen gegenüber Kaukasiern, („Schwarze“), Homosexuellen oder auch Menschenrechtsaktivisten („alle ausländische Agenten“).

Die Ukrainer aber werden in Russland oft als Teil der „russischen Welt“, wenn nicht sogar des „russischen Volkes“ angesehen. Selbst viele durchaus „liberale“ Russen können den Wunsch der Ukrainer, in einem eigenen Staat – also unabhängig von Russland – zu leben, nicht nachvollziehen.

Es ist in Russland sowohl in den Eliten als auch in der Öffentlichkeit sehr verbreitet, die Welt strikt in „Unsere“ und „Nichtunsere“ einzuteilen. Letztere sind, da potenzielle oder schon manifeste Verräter, Gegner. Die Wiederbelebung dieses einst sowjetischen Deutungsmusters hat mit der Etablierung von Putins Regime ab 1999 eine neue Qualität gewonnen.

Diffuse Worthülsen

Die soziologische Forschung konnte immer wieder belegen, dass die meisten Menschen in Russland nicht wirklich wissen, wer diese „Unseren“ und „Nichtunseren“ konkret sind; dafür ist umso klarer, dass es gefährlich sein kann, als ein „Nichtunserer“ identifiziert zu werden. Solche inhaltlich diffusen, doch emotional hoch aufgeladenen Worthülsen eignen sich hervorragend für politische Manipulationen.

Der staatliche Propagandaapparat nimmt „die Amerikaner“, Homosexuelle, Menschenrechtler, die Punkband Pussy Riot oder auch eben das Euro-Reich ins Visier. Vor diesem Hintergrund erscheinen weiten Teilen der Öffentlichkeit staatliche Maßnahmen bis hin zu offener Gewalt gegen die „Nichtunseren“ als möglich, wünschenswert oder sogar zwingend.

Die Autorin

E-Mails an:debatte@diepresse.com



Anna Schor-
Tschudnowskaja
(*1974 in Kiew) ist Soziologin und Psychologin. Derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien, Mitglied der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial. Zahlreiche Publikationen, zuletzt Mitherausgeberin des Sammelbandes „Der Zerfall der Sowjetunion“ (Nomos).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.