Hochqualifizierte verlassen das Land

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Neue Zahlen zeigen: Vor allem junge und gut ausgebildete Österreicher wandern ab. Bis zu 10.000 Personen verliert das Land pro Jahr. Die Wirtschaft prophezeit "böses Erwachen".

Wien. Österreich ist ein „qualifikatorischer Durchlauferhitzer“: Die gut qualifizierten Staatsbürger wandern in großer Zahl ab. Und auch Ausländer, die in Österreich ihr Studium absolvieren, bleiben häufig nicht hier. Das zeigen neue Zahlen, die Heinz Faßmann, Migrationsexperte und Vizerektor an der Uni Wien, gestern präsentiert hat.

Die Lage ist alarmierend: In den vergangenen zehn Jahren sind im Schnitt zwischen 20.000 und 25.000 Österreicher pro Jahr weggezogen. Zurückgekehrt sind aber lediglich 15.000 pro Jahr. Unter dem Strich verliert Österreich jährlich also zwischen 5000 und 10.000 Bürger.

Dass es mehr als eine Vermutung ist, dass gerade die Hochqualifizierten abwandern, zeigt Faßmann nun anhand einer Spezialauswertung der Statistik Austria: Demnach ist die Wegzugsrate bei Universitäts- und Fachhochschulabsolventen mit Abstand am höchsten. Sie liegt bei 5,3 Promille. Am höchsten ist die Abwanderung ausgerechnet in einem Bereich, der in Österreich besonders nachgefragt ist: in den Naturwissenschaften (siehe Grafik). Auch Absolventen der Geisteswissenschaften und der Künste wandern häufig aus.

Es zieht aber nicht nur inländische Studienabsolventen weg aus Österreich, sondern auch ausländische. Weniger als 20 Prozent der Nicht-EU-Bürger bleiben nach ihrem Abschluss im Land. Im internationalen Vergleich zählt Österreich damit zu den am wenigsten erfolgreichen Ländern im Halten von internationalen Studenten.

Männer wandern öfter aus

Generell verlassen vor allem junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren das Land, meist also jene, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben bzw. am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen. Die Abwanderer zieht es vorwiegend nach Deutschland und in die Schweiz, nach Nordamerika, Großbritannien, aber auch in die Türkei. Männer gehen laut Statistik öfter ins Ausland als Frauen. Auffallend ist dabei, dass Männer häufig auch noch später abwandern. Vor allem bei Facharbeitern gibt es im Alter zwischen 40 und 45 Jahren nochmals einen Abwanderungsschub.

Auch, wenn der Anteil der Auswanderer bei den gut ausgebildeten am höchsten ist, verlassen in absoluten Zahlen vor allem Fachkräfte mit Berufsausbildung das Land: Während im Jahr 2012 rund 3100 Hochschulabsolventen und 2900 AHS-Maturanten ins Ausland gingen, waren es 6700 Personen mit Lehre oder einem Abschluss an einer berufsbildenden mittleren Schule. Weitere 5700 Abwanderer verfügten lediglich über einen Pflichtschulabschluss.

Die Entwicklung bereitet auch der Wirtschaft Sorge: „Der Braindrain bringt uns im internationalen Wettbewerb der führenden Industrienationen in eine dramatisch kritische Situation“, sagt Wolfgang Eder, Chef der Voestalpine bei der Pressekonferenz an der Uni Wien. „Wenn nicht rasch eine Veränderung eintritt, werden wir in fünf Jahren ein böses Erwachen erleben.“

Zur Rückkehr motivieren

Auch Heinz Engl, Rektor der Universität Wien, warnt vor einem „Braindrain-Problem“: Grundsätzlich sei es gut, wenn Menschen Erfahrungen im Ausland sammeln, man dürfe sie aber nicht auf Dauer in so großer Menge verlieren. Die Uni Wien wolle jedenfalls dazu beitragen, dass aus dem Braindrain eine „Brain Circulation“ werde – dass also jene, die ins Ausland gehen, irgendwann auch wieder zurückkehren. Voraussetzungen dafür seien attraktive Rückkehrmöglichkeiten. Dabei müsse auch der Staat ordentlich mithelfen.

An Österreichs Vorgehen übte Vizerektor Faßmann auch in einem anderen Punkt Kritik: in Bezug auf die Rot-Weiß-Rot-Karte für Studienabsolventen aus dem Nicht-EU-Raum, die aktuellen Zahlen zufolge kaum angenommen wird. 2013 wurden nur 214 solche Karten ausgestellt. Die Hürden für einen Verbleib in Österreich nach dem Studium seien zu hoch: So müsse etwa die erlaubte Jobsuchdauer von sechs Monaten ausgedehnt werden. Außerdem seien die Einkommensgrenzen zu hoch: „2000 Euro für den Erstjob ist schon eine ordentliche Hürde“, so Faßmann.

AUF EINEN BLICK

Brain Drain. Vor allem junge Österreicher – zwischen 25 und 35 Jahren – und gut ausgebildete verlassen das Land. Die höchsten Wegzugsraten gibt es bei Hochschulabsolventen und bei AHS-Maturanten. Nach Fachrichtung sind es vor allem Naturwissenschaftler, gefolgt von den Geisteswissenschaftlern. Insgesamt gehen mehr Männer ins Ausland als Frauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2014)

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