Klima: Braucht Europa neue Ziele?

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Die EU entscheidet über strengere Klimaziele, die laut einer Studie billiger kämen als gedacht. Doch den Bürgern ist eine bessere wirtschaftliche Lage inzwischen ein wichtigeres Ziel als der Klimaschutz.

Wien. In Europa weicht sogar der Kampf um die Krim dem Kampf um das Klima. Zumindest teilweise. Wenn sich die 28 Regierungschefs der EU heute und morgen versammeln, wird es vor allem um ein Thema gehen: Braucht die EU härtere Klimaziele bis 2030 – und sollen sie gleich beschlossen werden?

Die Stoßrichtung der Kommission ist klar: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen der EU um 40 Prozent (auf Basis 1990) gesenkt werden. Bisher galt die Richtschnur von minus 20 Prozent bis 2020. Die Unternehmen laufen gegen die Pläne Sturm. Schon jetzt seien sie durch den Alleingang der Europäer in Sachen Klimaschutz im globalen Wettbewerb benachteiligt. Bei einer weiteren Verschärfung würden Abwanderungen folgen.

Mitten in die Unruhe platzt nun eine Studie, die von unverdächtiger Seite „Futter“ für die Befürworter von strengen Klimazielen liefert. Just die britische Regierung, bisher nicht als Bollwerk für den Ausbau von Ökostrom bekannt, hat eine Studie beauftragt, die besagt: Das 40-Prozent-Ziel der EU ist zu schaffen, und zwar „zu moderaten Kosten“.

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Klimaziele kosten 570 Millionen Euro

„Moderat“, das heißt in den Augen der Studienautoren von Enerdata, dass die Investitionen in Energieerzeugung und -effizienz in der EU kumuliert 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung von 2030 oder 30 Milliarden Euro kosten würden. Auf Österreich kämen zusätzliche Kosten von etwa 570 Millionen Euro zu.

Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Denn Europa könnte dadurch auch die Energierechnung bei seinen Erdgas- und Erdöllieferanten kräftig reduzieren, was in der angespannten Situation mit Moskau besonders interessant ist. Konkret würden die Importkosten für Öl und Gas bis 2030 um 72 Milliarden Euro sinken. Österreich würde sich 1,7 Milliarden ersparen. Unter dem Strich wären ambitionierte Klimaschutzziele also ein Geschäft. Voraussetzung: Es kommen keine nationalen Vorgaben für den Ausbau von Ökostrom. Diese würden zu Fehlallokationen führen und die Kosten drastisch erhöhen, so die Autoren.

War die Aufregung der vergangenen Wochen und Monate also umsonst? Irren Angela Merkels Berater, die darum flehen, das deutsche Ökostromgesetz so rasch wie möglich abzuschaffen, weil es zu viel koste und kaum etwas bringe? Irrt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, wenn er davor warnt, sich zu früh auf neue CO2-Ziele festzulegen?

Vermutlich nicht. Doch um das zu verstehen, hilft es zu wissen, aus welcher Ecke die Studie kommt. London ist zwar kein Vorreiter in Sachen Ökostrom, wohl aber bei Atomstrom. Und dieser ist, wie wir seit den Imagekampagnen der 1970er wissen, auch ein Weg, um den CO2-Ausstoß zu drücken.

So bleiben im Wesentlichen zwei Punkte offen. Erstens: Selbst wenn sich die EU das 40-Prozent-Ziel leisten kann, hat es auch einen Effekt? Die EU hat ihre CO2-Emissionen mit strengen Selbstverpflichtungen seit 1990 um 18 Prozent reduziert. Da Europa aber nur für zehn Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich ist, kommt es, dass die Treibhausgase global seit 1990 trotzdem um fast 50Prozent stiegen. Der direkte Effekt ist also überschaubar, die Kosten sind teilweise sehr hoch.

Das bringt uns zu Punkt zwei: die Verteilung von Kosten und Nutzen. Während beim Verkehr und in der Raumwärme bisher nicht viel passiert ist, musste die Industrie einen überwiegenden Anteil der Kosten des Klimaschutzes tragen – und das zeigt Wirkung. Energieintensive Unternehmen klagen über Wettbewerbsnachteile gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Der Stahlkonzern Voestalpine hat eben erst ein 900 Millionen Euro schweres Sparpaket geschnürt. Hauptgrund: Die Kosten für CO2-Zertifikate in Europa fressen den halben Gewinn. Tendenz steigend. Voest-Chef Wolfgang Eder ist nicht der Einzige, der darum gern und laut über den Exodus seiner Firma aus der EU nachdenkt.

Umfrage: Langfristig ernstes Problem

Nun sollen Europas Politiker erneut zwischen Wirtschaft und Umwelt entscheiden. Vielleicht wäre es klug, auf die Bürger zu hören. Sie haben sich schon eine Meinung gebildet, wie die Kommission im „Eurobarometer Klimawandel“ ausgewiesen hat. 28.000 Europäer wurden befragt, das Ergebnis ist eindeutig: Für neun von zehn ist der Klimawandel langfristig ein ernstes Problem. Doch es gibt drängendere Themen. 2011 lag der Kampf gegen den Klimawandel auf der Prioritätenliste noch auf dem zweiten Platz hinter dem Kampf gegen Hunger und Armut. Heute sagen die Europäer klar: Wichtiger als Klimaschutz ist der Kampf für eine bessere wirtschaftliche Lage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2014)

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