Keine Angst vor polternden Euroskeptikern

Der in jeder Demokratie notwendigen Skepsis sollte auch auf europäischer Ebene mit Mut zur Debatte begegnet werden. Durch den offenen Diskurs über Europas Zukunft kann der Euroskeptizismus entdämonisiert werden.

Die am 25. Mai stattfindende Wahl zum Europäischen Parlament wirft ihre Schatten voraus. Die Parteien bringen sich in Stellung. Und wie alle fünf Jahre zittern proeuropäische Eliten auch diesmal wieder vor den sogenannten Euroskeptikern. Deren Siegeszug scheint unter dem Eindruck der noch immer nicht überstandenen Finanz- und Wirtschaftskrise fast vorprogrammiert.

Manche Regierungspolitiker der EU-Mitgliedstaaten tun sich mit dem Phänomen des Euroskeptizismus schwer. Während sie üblicherweise so manche unpopuläre Maßnahme, die sie selbst beschließen, den Brüsseler Institutionen in die Schuhe schieben, müssen sie ihren Bürgern vor den Wahlen plötzlich erklären, warum die EU doch keine so schlechte Sache sei. Den Euroskeptizismus, den sie über Jahre hinweg selbst geschürt haben, stellen sie nun für die Dauer des Wahlkampfs als gefährliches Schreckgespenst dar.

Inhaltsleere Europa-Debatten

Diese Strategie beschert den Bürgern seit Jahren inhaltsleere Europadebatten, die diesen Ausdruck kaum verdienen. Dabei wäre eine differenzierte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen der EU-Kritik dringend nötig. Denn was unter dem diffusen Schlagwort „Euroskeptizismus“ zusammengefasst wird, ist facettenreich und zumindest in Teilen sogar funktional für eine Demokratisierung der EU.

Zu unterscheiden sind in der europäischen Parteienlandschaft mindestens fünf Spielarten der EU-Kritik, die sich überschneiden und nicht immer scharf voneinander getrennt werden können: Der harte Anti-Europäismus lehnt die Idee eines gemeinsamen Europas grundsätzlich ab. Seine Proponenten, zu denen etwa die ungarische Partei Jobbik gehören, sind offen nationalistisch und plädieren für einen Austritt aus der EU.

Der nationale Euroskeptizismus, den Parteien wie der Front National oder die FPÖ vertreten, richtet sich gegen eine vertiefte europäische Integration aufgrund der Sorge vor dem Verlust nationalstaatlicher Souveränität und Identität. Im Unterschied zum harten Anti-Europäismus wird ein „Europa der Vaterländer“ als möglich erachtet, solange dies zum Vorteil des eigenen Landes ist. Gegenüber dem Status quo wird ein Rückbau europäischer Kompetenzen gefordert. Die EU gilt als undemokratischer und bürgerferner Machtapparat.

Im Vordergrund des pragmatischen Euroskeptizismus stehen hingegen Effizienz- und Output-Fragen. Die Abwägung von Kosten und Nutzen, Vor- und Nachteilen bestimmt den Grad der Zustimmung oder Ablehnung gegenüber der Union. Ideologische oder grundsätzliche Bedenken spielen keine Rolle. Ob eine Kompetenz auf europäischer oder nationalstaatlicher Ebene angesiedelt ist, entscheidet sich einzig und allein auf Basis des zu erwartenden Outputs.

Diese Form des Euroskeptizismus ist weit verbreitet, kann aber keiner konkreten politischen Partei zugeordnet werden. Sie ist pragmatisch und nicht ideologisch orientiert.

Treiber der Demokratisierung

Demgegenüber beruht der durch die Krise erstarkte linke Euroskeptizismus auf einer Globalisierungs- und Kapitalismuskritik, die den Integrationsprozess als neoliberales Unterfangen betrachtet. Vertreten wird diese Position von der europäischen Linken und ihrem Spitzenkandidaten Alexis Tsipras.

Und schließlich ist der europäische Euroskeptizismus mit der derzeitigen EU unzufrieden, weil sie ihm nicht „europäisch“ genug ist. Die paradoxe Bezeichnung erklärt sich durch die Widersprüchlichkeit zwischen der föderalistischen Idee Europas und der derzeitigen Ausprägung der Union als Mischung zwischen Staatenbund und Bundesstaat.

Die Skepsis bezieht sich daher in erster Linie auf die verbliebene Macht der Mitgliedstaaten. Diese sollten in allen Politikbereichen auf ein Vetorecht verzichten, sich eine gemeinsame europäische Verfassung geben und die Vereinigten Staaten von Europa gründen.

Die genannten Varianten des Euroskeptizismus haben sich seit dem Vertrag von Maastricht zu einem Treiber für die Demokratisierung der EU entwickelt. Dennoch wurden sie von den europäischen Eliten nicht in ihrer ganzen Heterogenität erkannt, sondern immer wieder als Anti-Europäismus politischer Außenseiter abgestempelt. Einer Debatte im Rahmen einer kritischen europäischen Öffentlichkeit stellte man sich kaum, auch wenn die Notwendigkeit dafür seit den 1990er-Jahren immer wieder von führenden EU-Experten betont wird.

Keine Zeit für Bürgerkontakte

Doch die Belebung einer europäischen Öffentlichkeit wurde immer wieder hintangestellt, weil vermeintlich wichtigere Probleme zu lösen waren: von der Einführung des Euro, der großen EU-Erweiterung 2004 über das Scheitern des Verfassungsvertrages 2005 und die darauf folgende Durchsetzung des Lissabon-Vertrages 2007 bis hin zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008. Für den Kontakt mit den Bürgern blieb da wenig Zeit. Ein Faktum, das nicht ohne Folgen blieb.

Das Vertrauen der Menschen in die EU und ihre Institutionen ist gering. Bei den letzten EU-Wahlen verzichtete die Hälfte der wahlberechtigten Europäer freiwillig auf eine Stimmabgabe und die Umfragen für den diesjährigen Urnengang lassen keine nennenswerte Verbesserung erwarten. Die Kluft zwischen EU-Politik und Bürgern weitet sich aus.

Wie Langzeitanalysen von Eurobarometer-Umfragen zeigen, sind immer größere Teile der europäischen Bevölkerung dem pragmatischen Euroskeptizismus zuzuordnen, der parteipolitisch nicht eindeutig besetzt ist. Die Mobilisierung dieses Potenzials gelingt den politischen Parteien am rechten Rand des Spektrums am besten. Das bringt Regierungsparteien in vielen Staaten in Bedrängnis. Deren halbherziges und nur vor Wahlen geäußertes Bekenntnis zur EU wirkt unglaubwürdig und kann Skeptiker nicht mehr überzeugen.

Abkehr vom Elitenprojekt

Wenn Europa vom Elitenprojekt zur res publica werden soll, ist die Auseinandersetzung mit Kritik unumgänglich. Dann braucht es eine Entdämonisierung des Euroskeptizismus durch einen offenen Diskurs über Europas Zukunft. Dann muss man über nachhaltige institutionelle Reformen sprechen, die das Vertrauen der Bürger genießen und die sie stärker mit einbinden.

EU-Politik kann dann nicht länger als Außenpolitik behandelt werden, sondern muss Teil der Innenpolitik eines gemeinsamen Europas sein. Dies würde bedeuten, dass sowohl Kommissionsmitglieder als auch EU-Parlamentarier anderer Staaten ein Gesicht in nationalen Öffentlichkeiten bekämen und sich kritischen Bürgern stellen müssten. Und dies nicht nur alle fünf Jahre vor den EU-Wahlen.

Der in jeder Demokratie notwendigen Skepsis sollte auch auf europäischer Ebene mit Mut zur Debatte begegnet werden.

Dieser Kommentar entstand in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik; er ist Teil der Serie „Policy Briefs“: www.oegfe.at/policybriefs

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR


Markus Pausch
studierte Politikwissenschaft an den Universitäten Salzburg und Lyon. Er ist Leiter des Zentrums für Zukunftsstudien der FH Salzburg sowie Vortragender an verschiedenen nationalen und internationalen Hochschulen. Er forscht und lehrt zu den Themen Demokratie, politische Partizipation und Zukunft der EU (www.markuspausch.eu). [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2014)

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