Das Twitter-Verbot zeigt: Der türkische Premier hat wenig Verständnis für die Regeln des Rechtsstaates.
Er wollte ein Vorbild geben für die ganze Region – mit einer prosperierenden Türkei, in der mehr Meinungsfreiheit herrscht als je zuvor in der türkischen Geschichte. Recep Tayyip Erdoğan wollte beweisen, dass die islamisch-konservative Ausrichtung seiner Partei keineswegs ein Hindernis für Fortschritt und politische Reformen darstellt. Und er fuhr damit zunächst durchaus Erfolge ein, erwarb sich Respekt in der EU und auch bei vielen Türken, die mit dem religiös gefärbten Weltbild Erdoğans so gar nichts am Hut haben.
Das Militär wurde dorthin zurückgeschickt, wo es in jeder Demokratie hingehört: in die Kasernen. Die Politik gegenüber den Kurden wurde offener. Und zugleich boomte die Wirtschaft.
Doch sein eigenes Monument, an dem Erdoğan seit Jahren so eifrig baut, bekommt noch vor der Fertigstellung immer tiefere Risse. Immer offener zeigt der aufbrausende Premier, wie wenig er mit Kritik umgehen kann. Und der Machtkampf mit dem einst mit Erdoğan verbündeten Prediger Fethullah Gülen enttarnt, wie sehr die türkischen Sicherheitsstrukturen von Netzwerken durchsetzt sind, die auch nicht zögern, den Staatsapparat gegeneinander als Waffe einzusetzen.
Wie auf Befehl reagierten die Behörden nun auf die Befindlichkeiten des Premiers und sperrten den Nachrichtendienst Twitter. Mittlerweile scheint sich Erdoğan selbst nach Vorbildern in der Region umzusehen: Was die Unterdrückung sozialer Netzwerke betrifft, wurde er offenbar fündig: und zwar im Iran.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2014)