Ein Türke, der Wien erklärt

Yusuf Sümbültepe bei einer Führung
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Wie verlief die Türkenbelagerung wirklich? Und wo sind in Wien türkische Spuren zu finden? Yusuf Sümbültepe gibt als Fremdenführer Antworten.

Yusuf Sümbültepe liebt Fragen. Und er liebt Wien. Konsequenterweise gefallen ihm am besten Fragen über Wien. Zum Beispiel: „Wann haben sich die ersten Griechen in Wien niedergelassen?“ Die Frage fällt einem deswegen ein, weil Sümbültepe gerade in die enge Griechengasse – die mit den holprigen Pflastersteinen – im ersten Gemeindebezirk eingebogen ist und an einer alten Holztür rüttelt. Dahinter befindet sich das womöglich älteste muslimische Bethaus der Stadt, sagt der 46-jährige Fremdenführer mit der grellblauen Jacke. Wobei man nicht genau wisse, wann es gegründet wurde. Fest steht nur, dass die Griechengasse in der Frühen Neuzeit ein lebendiges Viertel mit Bewohnern aus dem Osmanischen Reich war. Hier wurde Handel betrieben, die orthodoxe Georgskirche gegründet, und hier traf man sich im Griechenbeisl – in dem Haus am Ende der Gasse, das noch immer einen altertümlichen Charme versprüht. Und die ersten Griechen, die siedelten sich um 1700 in diesem Viertel an.

Manche Daten, die das Osmanische Reich betreffen, wollen Sümbültepes Gäste ganz genau wissen, denn die meiste Zeit des Jahres führt er Touristen aus der Türkei durch Wien – und auch durch die anderen Bundesländer. Sümbültepe ist einer von zwei staatlich geprüften Fremdenführern in Österreich, die Touren auf türkisch anbieten. Und diese werden immer gefragter, zumal die Österreich-Werbung in der Türkei Früchte zeige: Mit knapp 220.000 Nächtigungen türkischer Gäste wurde 2013 ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet.

Dabei ist Österreich für viele von ihnen entweder ein Stopp zwischen Budapest und Prag, wie Sümbültepe erzählt, oder es sind private Gruppen, die sich für die (Kultur-)Geschichte der Stadt interessieren. Diese nimmt der Fremdenführer dann mit auf einen osmanischen Spaziergang, die er im Griechenviertel beginnen lässt. Im Hof des Griechenbeisls, an der Wand einer engen und dämmrigen Wendeltreppe, kann er seinen Gästen dann eine richtige Rarität zeigen: drei Kanonenkugeln, die von der ersten Türkenbelagerung 1529 stammen (die allermeisten Kanonenkugeln in Wien – und derer gibt es nicht wenige – sind von der zweiten Belagerung 1683).


Verklärte Darstellung. Die Crux mit der Geschichte ist, sagt Sümbültepe, als er anschließend den Weg Richtung Stephansdom einschlägt, dass in verschiedenen Ländern dieselbe Geschichte anders erzählt wird. So hätten manche seiner türkischen Gäste eine verklärte Darstellung von den Belagerungen, andere seien falsch informiert und würden geschönte Bilder von Kara Mustafa Pasha zeichnen, dem Oberbefehlshaber während der Zweiten Belagerung Wiens. Umgekehrt ernte er Erstaunen, wenn er auf die historischen Darstellungen in Wien zeige. Da ist etwa die Capistrankanzel an der hinteren Wand des Stephansdomes. Johannes Capistranus, dem die Kanzel gewidmet ist, war ein Wanderprediger, der nach der Eroberung Konstantinopels zu einem Kreuzzug gegen die Türken aufgerufen hatte. Die Kanzel zeigt einen siegreichen Capistranus mit einem sterbenden Janitscharen zu seinen Füßen, der nackt und mit barbarischem Gesichtsausdruck dargestellt wird.

Er selbst vermittle die Geschichte freilich auf neutrale Weise, sagt Sümbültepe: „Im Krieg war niemand barmherzig, weder die Osmanen, noch die Habsburger.“ Aber trotz der Waffenfeindschaft bestanden Handelsbeziehungen zwischen beiden Reichen, diplomatischer und kultureller Austausch wurde gepflegt. Das erzählt Sümbültepe vor dem Mozarthaus in der Domgasse, ein paar Schritte vom Stephansdom entfernt.

Mozart und Kaffeehaus. Mozart hatte mehrere orientalische Sujets in seinen Werken, „er ist sehr beliebt in der Türkei“. Und gleich gegenüber, in der selben Gasse, soll Georg Franz Kolschitzky nach der zweiten Belagerung ein Kaffeehaus eröffnet haben (oder eröffnen haben lassen). Kolschitzky war der türkischen Sprache mächtig – und spionierte im osmanischen Lager für die Habsburger. Als Dank erhielt er das Privileg, Kaffee ausschenken zu dürfen. Dass er der erste Kaffeehausbetreiber der Stadt war, gehört allerdings in das Reich der Legenden. Und gerade mit dem Kaffee lässt sich die Sache mit den historischen Ammenmärchen am besten erklären, sagt Sümbültepe. Etwa wenn Türken glauben, sie haben das Getränk feierlich in die Stadt hineingeführt, und wenn Österreicher glauben, die Türken haben die Kaffeebohnen beim Abzug schlichtweg vergessen.

Mit Kaffeehäusern kennt sich Sümbültepe ebenfalls aus, war er doch jahrelang in der Gastronomie tätig – sowohl in der Türkei, als auch in Wien –, zuletzt im Café Europa in der Zollergasse. Ursprünglich stammt Sümbültepe aus der Provinz Hatay im Süden der Türkei. Mitte der 1970er-Jahre kam sein Vater als „Gastarbeiter“ nach Wien, Jahre später folgte ihm der Sohn als Student der Orientalischen Philologie nach. Dass er nicht viel früher als Fremdenführer angeheuert hat, wundert ihn selbst ein wenig.

Auch Migranten als Zielgruppe. Wien sei eine Stadt, sagt er, die er selbst mit Enthusiasmus jedes Mal neu entdecke, angefangen vom Jugendstil bis hin zu den musikalischen Spuren. Auch seine persönliche Geschichte interessiere manche Touristen, erzählt er. So habe eine deutsche Reisegruppe die Stadt durch seinen Blick als Migrant in Wien entdecken wollen. Genau deswegen wolle er auch Einheimische mit seinen Touren ansprechen, und ganz besonders türkische Migranten: „Viele wissen nicht viel über die Geschichte Österreichs.“ Und einen Vorteil gegenüber den Touristen haben sie auch: Sie wohnen in Wien.

Türken auf Reise

Yusuf Sümbültepe ist einer von zwei Fremdenführern in Österreich, die Touren auf Türkisch anbieten (Austria Guides). Der 46-Jährige kam in den 1980er-Jahren als Student nach Wien.

Mit knapp 220.000 Nächtigungen in Österreich wurden 2013 um sechs Prozent mehr Gäste aus der Türkei verzeichnet als 2012. Insgesamt verbrachten über 7,5 Millionen Türken ihren Urlaub im Ausland – eine Steigerung von 30 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2014)

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