Staatsschuld: Im Herbst droht eine Schuldenexplosion

Rauchende Frau mit einer Zigarette
Rauchende Frau mit einer Zigarette(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com
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Warum die Staatsschuld im kommenden September um mehr als 30 Milliarden Euro oder sagenhafte zehn BIP-Prozentpunkte hochspringt und wie Drogenhandel, Zigarettenschmuggel und Prostitution die Staatsschuldenquote senken.

Wien. Wenn die Abbaugesellschaft der Hypo Alpe Adria zeitgerecht gegründet wird, kommt es im September dieses Jahres zu einer enormen Staatsschuldenexplosion: Dann fallen nicht nur die 17,8 Mrd. Euro aus der Hypo-Bad-Bank in die Staatsschuld, auch die Schulden der ÖBB, der Bundesimmobiliengesellschaft und vieler ausgelagerter Gemeindeeinrichtungen im Ausmaß von rund 15 Mrd. Euro müssen dann nach Eurostat-Vorgaben in die offizielle Staatsschuld eingerechnet werden. Mit anderen Worten: Die Staatsverschuldung schnellt dann um fast 33 Mrd. Euro oder rund zehn Prozent des BIPs auf rund 270 Mrd. Euro hoch, die Staatsschuldenquote springt dann auf einen Schlag von derzeit 74 auf rund 84Prozent des BIPs.

Aber nur theoretisch. Denn gleichzeitig tritt, wie berichtet, praktischerweise europaweit eine Änderung der BIP-Berechnung in Kraft. Die wird das Bruttoinlandsprodukt der EU-Länder zwischen null und fünf Prozent aufblasen, in Österreich werden es laut Eurostat drei bis vier Prozent sein. Die per volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung ermittelte „Wirtschaftsleistung“ erhöht sich also rein durch Änderung des Berechnungsmodus um bis zu zwölf Mrd. Euro im Jahr. Einen „Wachstumsschub“ wird das zwar nicht auslösen, weil die Vergleichswerte der vergangenen Jahre auf Basis der neuen Methode rückgerechnet werden. Aber: Je höher das BIP, desto niedriger die am BIP gemessene Staatsschuldenquote. Die wird dann, ohne dass ein Euro mehr Wirtschaftsleistung erbracht oder auch nur ein Euro Staatsschuld abgebaut wird, rein rechnerisch um zwei bis drei Prozentpunkte auf dann 81 bis 82Prozent zurückgehen. Sehr praktisch.

„Kiffen für die Konjunktur“

Nicht nur bei uns. Auch in den übrigen EU-Ländern und in der Schweiz werden die Schuldenquoten auf diese Weise im September um ein paar Prozentpunkte heruntergerechnet. In Deutschland hat die EU-Vorgabe, wonach künftig in den Bereich Schattenwirtschaft (der dort mit 15Prozent des BIPs angenommen wird) auch Schätzungen über den Drogenhandel und den Zigarettenschmuggel BIP-steigernd einzurechnen sind, zuletzt zu süffisanten Kommentaren geführt: „Kiffen für die Konjunktur“ titelte die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrem Onlineportal.

In Österreich hatte man solche Vorbehalte schon bisher nicht: Da sind Drogenhandel, Schmuggel, illegales Glücksspiel und Prostitution bereits jetzt Teil der Wertschöpfung der Schattenwirtschaft, die hierzulande allerdings nur mit acht Prozent BIP-wirksam angenommen wird. Geschätzt wird, dass die österreichischen Haushalte an die zwei Mrd. Euro im Jahr für illegales Glücksspiel, Drogen und Prostitution ausgeben. Scheint wenig zu sein, aber die Statistiker geben ja selbst zu, dass solche Daten schwer zu erheben sind. Die Haushaltsausgaben werden zwar regelmäßig abgefragt. Das hat zuletzt aber nur 225 Mio. Euro für solche Ausgaben ergeben. Die Haushalte neigen bei diesen Angaben eben zu starken Untertreibungen, stellen die Statistiker dazu lakonisch fest.

Der größte Teil des neu errechneten „Wohlstands“ (das BIP pro Kopf gilt ja allgemein als Wohlstandsindikator) kommt freilich nicht aus zwielichtigen Quellen, sondern davon, dass Forschung und Entwicklung künftig BIP-wirksam als Investition verbucht werden. Rund drei Viertel des neu errechneten BIP-Zuwachses kommen aus diesem Bereich. Deshalb auch die großen Unterschiede bei der Auswirkung auf die BIPs der verschiedenen Länder: Für Staaten mit hohen Forschungsausgaben errechnen sich relativ hohe BIP-Steigerungen, bei Ländern wie Rumänien, Ungarn oder Litauen wird der BIP-Effekt dagegen unter einem Prozent bleiben.

Neu in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist auch, dass nun Rüstungsausgaben BIP-erhöhend verbucht werden können. Das spielt in der EU freilich keine so große Rolle. Insgesamt dürfte das EU-BIP durch die Einbeziehung der Waffengeschäfte um 0,1Prozent steigen, in Österreich wird der Effekt wohl deutlich tiefer liegen. In den USA, wo die neue Berechnungsart schon im Vorjahr eingeführt worden ist, haben die Militärausgaben freilich einen nicht geringen Anteil an der dortigen 3,4-prozentigen BIP-„Steigerung“ durch Neuberechnung.

Was die neue Rechenmethode jedenfalls erreicht: Die Angaben der einzelnen Länder werden besser vergleichbar. An der absoluten Höhe der BIP-Werte sollte man sich ohnehin nicht festbeißen: Gut ein Drittel der Werte beruht auf bloßen Schätzungen und fiktiven Annahmen (Schattenwirtschaft, imputierte Mieten etc.). Die realen BIP-Veränderungen werden noch dazu durch von Inflationsraten abweichende „Deflatoren“ geschönt. Ein größerer Teil des Wirtschaftswachstums dürfte also bloß errechnet sein.

AUF EINEN BLICK

Schuldenexplosion. Durch die Einbeziehung der Hypo-Bad-Bank und der ausgelagerten Schulden von ÖBB, Bundesimmobiliengesellschaft und Gemeinden in die Staatsschuld wird der Staatsschuldenstand im September um mehr als 30 Milliarden Euro hochschnellen. Die am Bruttoinlandsprodukt bemessene Staatsschuldenquote wird aber nicht im selben Ausmaß steigen, weil gleichzeitig neue Vorschriften für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung das BIP aller Euroländer rein rechnerisch zunehmen lassen. In Österreich wird das BIP auf diese Weise um drei bis vier Prozent „hochgerechnet“. Dass die „Wertschöpfung“ von Drogenhandel und Schmuggel ins Bruttoinlandsprodukt eingerechnet werden soll, sorgt in Deutschland für Diskussionen. In Österreich wird das jetzt schon so gehandhabt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2014)

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