Deutschland: Wer ohne Jobchance ist, muss gehen

Thomas de Maizière, Deutschland, Job, Sozialmissbrauch
Thomas de Maizière, Deutschland, Job, Sozialmissbrauch(c) Reuters (THOMAS PETER)
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Die deutsche Regierung schaltet bei Sozialmissbrauch durch EU-Zuwanderer auf scharf und plant Wiedereinreisesperren. Österreichs Innenministerium reagiert skeptisch.

Berlin. Ein Rumäne meldet in Deutschland ein Gewerbe an. Er bringt ein Formular mit, das ebenso wie sein Antrag auf Kindergeld fehlerlos ausgefüllt ist. Dabei kann er kein Wort Deutsch. Auch einem Dolmetscher kann er nicht beantworten, was er eigentlich zu arbeiten gedenkt. Ihm fehlen Schulabschluss oder sonstige Qualifikationen. Der Beamte zuckt mit den Schultern und stellt den Gewerbeschein aus – eine reine Formalität.

Mit solch drastischen Beispielen zeigte Innenminister Thomas de Maizière am Mittwoch die Stoßrichtung auf, wie die deutsche Regierung künftig eine Einwanderung ins Sozialsystem verhindern will. Auslöser war die Befürchtung, eine größere Zahl bitterarmer Bulgaren und Rumänen könnten die Freizügigkeit seit Jahresbeginn eben dazu nutzen. Ein Ausschuss hat Maßnahmen erarbeitet, die bis zum Juni noch präzisiert werden.

Mit EU-Recht vereinbar?

Nach deutschem Recht hat jeder eingewanderte EU-Bürger ein Aufenthaltsrecht, wenn er Arbeit hat, auf Sozialhilfen nicht angewiesen ist – oder „Arbeit sucht“. Selbst wenn man ihm dabei Missbrauch nachweisen könnte und ihn ausweist: Sobald er hinter der Grenze ist, lebt seine Freizügigkeit wieder auf. Er darf sofort wieder einreisen.

Hier wollen de Maizière (CDU) und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) ansetzen. Es geht nicht direkt um Sozialhilfen wie das Arbeitslosengeld. Dazu wartet die Große Koalition ein EuGH-Urteil im Sommer ab. Stattdessen will sie Spielräume im EU-Recht nutzen, um Unionsbürger auszuweisen.

Wer „keine realistische Chance auf dem Arbeitsmarkt“ hat, soll nach einer gewissen Zeit – zur Diskussion stehen drei oder sechs Monate – sein Aufenthaltsrecht verlieren. Der EuGH lässt das zu und sieht eine Frist von sechs Monaten als angemessen an. Eine Ausweisung, erklärt de Maizière, bleibe aber ein „stumpfes Schwert“, wenn der Ausgewiesene sofort wieder einreisen kann. Deshalb soll es künftig „befristete Wiedereinreisesperren“ geben – angeblich gedeckt durch EU-Recht.

Im österreichischen Innenministerium hat man da Zweifel. Solche Sperren würden „europarechtlich an Grenzen stoßen“, sagt Sprecher Hermann Muhr der „Presse“. Man werde die weitere Ausfeilung „mit großem Interesse verfolgen“, aber: „Aus unserer Sicht haben wir schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft.“ Österreich hat zwar im Vorjahr 101 Unionsbürger ausgewiesen, man setzt aber viel stärker darauf, mittel- und arbeitslosen EU-Zuwanderern von Anfang an Sozialhilfen zu verweigern. Hier wiederum haben die Deutschen Skrupel; ihre Sozialgerichte halten das mit dem Gleichheitsgrundsatz in der EU für unvereinbar. Eben deshalb wird das EuGH-Urteil mit Spannung erwartet. Allerdings deutet de Maizière an, bei einem negativen Richterspruch müsse man sich eben „neue europarechtliche Regelungen“ überlegen.

Problem „überschaubar“

Hat sich bei der härteren Gangart die CSU durchgesetzt? Sie hat die Diskussion mit der markigen Parole „Wer betrügt, der fliegt“ ausgelöst. Mit trockener Ironie meint der Innenminister nun, die Schwesterpartei habe „auf ihre Weise den Anstoß gegeben“, der Bericht trage zur „Versachlichung“ bei. Denn das Problem sei „überschaubar“.

Das zeigen die Zahlen: Nur 0,7Prozent aller Hartz-IV-Bezieher sind Rumänen oder Bulgaren (absolut: 40.000). Die Arbeitslosigkeit liegt bei den „EU-2“-Zuwanderern mit zehn Prozent deutlich unter dem Ausländerschnitt von 16 Prozent. Die Armutszuwanderung konzentriert sich auf wenige Städte wie Duisburg, Offenbach, Berlin, Mannheim und München. Sie sollen nun über sieben Jahre 200 Mio. Euro bekommen, großteils aus EU-Töpfen. Dass dorthin vor allem Sinti und Roma strömen, ist bekannt: „Ihr Anteil ist hoch, wir wissen aber nicht, wie hoch.“ Man zähle Menschen, Ausländer, nichts anderes – „und das ist gut so“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2014)

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