Laufend werden neue Quellen entdeckt, über die Plastikteilchen zum Menschen gelangen, sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter. Er fordert ein Umdenken.
Die Presse: Ein großer Teil des Plastiks, das zuletzt in der Donau gefunden wurde, setzt sich zusammen aus Pellets, Flocken oder Kügelchen aus der Industrie. Wie problematisch ist das für die Umwelt?
Hans-Peter Hutter: Angeblich bestehen diese Teilchen aus reinen inerten Kunststoffen wie Polyethylen und enthalten keine toxischen Stoffe. Es wird oft davon ausgegangen, dass solch „supersauberes“ Plastik verschluckt und einfach wieder ausgeschieden wird – zumindest, was Menschen angeht. Das ist eine sehr optimistische Annahme. Es gibt diese Teilchen in verschiedensten Größen und Materialien. Davon hängen Folgen für Ökosysteme ab. Welche Lebewesen nehmen das zu sich? Was ist ihre Funktion? Wie sieht eine Anreicherung über die Nahrungskette aus? Da gibt es noch vieles zu bedenken und erforschen.
Dass diese reinen Kunststoffe harmlos sind, kann man also nicht sagen.
Nein, im Gegenteil: Untersuchungen mit industriellen Polyethylenteilchen haben bei Muscheln beispielsweise erhöhte Immunreaktionen hervorgerufen.
Wie sieht es mit den anderen Plastikpartikeln aus: mit jenen, die aus dem Abfall stammen und irgendwann in kleinsten Teilchen im Wasser landen?
An diese Plastikteilchen können schwer abbaubare organische Schadstoffe gebunden sein, die auf diese Weise in die Umwelt gelangen. Bei Bioindikatoren wie bestimmten Würmern können diese Teilchen Schaden anrichten, sie können etwa Immunzellen beeinträchtigen. Jetzt kann man sagen: Das sind doch niedrige Lebewesen – und das ist doch egal, vor allem hinsichtlich eines Gesundheitsrisikos. Aber sie haben eine Funktion im Ökosystem. Und es geht vorerst einmal um die ökologischen Probleme, die sich hier abzeichnen. Diese Organismen sind ein Frühwarnsystem: Wenn es dort Probleme gibt, könnte das natürlich irgendwann auch den Menschen betreffen.
Welche Risken bergen diese Plastikpartikel für den Menschen?
Es ist davon auszugehen, dass diese Stoffe über die Nahrungskette auch einmal zu uns auf den Tisch kommen – in Form von Fisch. Insofern liegt ein gewisses Risikopotenzial vor. Wir wissen auch, dass an sekundären Partikeln – an denen aus dem Abfall – etwa Weichmacher, Flammschutzmittel oder Pestizide anhaften können. Etliche Substanzen können hormonell wirksam sein, andere wirken auf das Nervensystem, manche gelten als krebserregend.
Wenn man beim Schwimmen in der Donau Wasser schluckt – ist das gefährlich?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Da gibt es wahrscheinlich Bakterien, die einem eher zu schaffen machen.
Wenn man einen Fisch isst, der sein Leben in diesem Wasser verbracht hat?
Ein einzelner Fisch ist sicher kein Problem. Was die Teilchen und damit verbundenen Stoffe betrifft, ist die einzelne Quelle mengenmäßig mit großer Wahrscheinlichkeit unproblematisch. Das Problem ist: Es werden laufend neue Quellen entdeckt. Jetzt wurde Plastik in der Donau gefunden, zuletzt im Honig. Wenn man die Summe der Produkte zusammenzählt, kommt man eventuell auf eine Menge, die dann möglicherweise ein gewisses Gesundheitsrisiko darstellt. Derzeit kann man dazu noch wenig sagen.
Das eigentliche Problem ist also die schiere Menge: dass wir schlicht umgeben sind von Plastikprodukten und -abfällen.
Ja. Wir müssen darangehen, mögliche Quellen dieser Kunststoffteilchen zu orten, um danach auch abschätzen zu können, wie viel davon wir wirklich aufnehmen. Das wissen wir ja derzeit nicht. Davon – und von den Inhaltsstoffen und den abgelagerten Stoffen – ist es abhängig, wie groß die Gefahr ist.
Was sind die Konsequenzen, die man nun ziehen müsste?
Man muss sich die Kunststoffe und ihre Metamorphose sehr genau anschauen. Wir wissen, dass es eine völlig unkontrollierte Freisetzung von Kunststoffen gibt. Daher muss man die maßlose Verwendung von Plastik überprüfen und auch die Sinnfrage stellen – ob man Plastikprodukte nicht einsparen und durch ein anderes Material ersetzen kann, das nicht diese Probleme mit sich bringt. Außerdem muss man sich darüber Gedanken machen, wie die Entsorgung hier in kontrollierter Art und Weise vollzogen werden kann. Und zwar global gesehen.
ZUR PERSON
Hans-Peter Hutter (*1963) ist Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie mit Schwerpunkt Umwelt- und Päventivmedizin und derzeit Oberarzt am Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien. Im Zentrum seiner Arbeit stehen wissenschaftliche Risikoabschätzungen und die Vermittlung von Umweltrisiken.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2014)