Türkei: Erdoğan siegt bei Schicksalswahl

Turkey's Prime Minister Tayyip Erdogan waves hand to supporters during the municipal elections outside a polling station in Istanbul
Turkey's Prime Minister Tayyip Erdogan waves hand to supporters during the municipal elections outside a polling station in IstanbulREUTERS
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Bei den Kommunalwahlen kann die Partei des Ministerpräsidenten ihre Konkurrenten weit hinter sich lassen. Er spricht vom "Hochzeitstag der neuen Türkei". Sein Erfolg kommt für viele Beobachter überraschend.

Istanbul. Der Tag der türkischen Schicksalswahl begann mit allgemeiner Verwirrung - und endete auch so. Ersten Auszählungsergebnissen zufolge dürfte aber die islamisch-konservative AKP unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan erneut die mit Abstand stärkste politische Kraft werden. Die AKP führe in den größten Städten Istanbul und Ankara deutlich, auch bei der Gesamtzahl der Stimmen im Land läge sie vorne, berichteten türkische Fernsehsender am Sonntagabend.

Die Behörden hatten wegen der Kommunalwahl den Beginn der Sommerzeit verschoben, doch die Handys der meisten Türken kümmerten sich nicht um die Verschiebung und zeigten eine Stunde später an, als es war. „Wie spät ist es denn jetzt?" fragte der Journalist Hayko Bağdat am Morgen auf Twitter. Zwölf Stunden später gab es erneut ein Durcheinander, als teilweise sehr widersprüchliche Meldungen über das Wahlergebnis für Konfusion sorgten.

Fest stand schließlich, dass Erdoğan die Wahl gewonnen hat. Seine islamisch-konservative Regierungspartei AKP lag nach Auszählung von rund der Hälfte der Stimmen bei 44 bis 46 Prozent (2009 waren es landesweit knapp 39 Prozent). Die größte Oppositionspartei CHP erreicht 23 bis 28 Prozent. Erdogan sprach in der Nacht auf Montag vom Balkon der AKP-Zentrale in Ankara, wo ihm Tausende Anhänger zujubelten. "Dies ist der Hochzeitstag der neuen Türkei", sagte er. "Heute ist der Tag des Sieges der neuen Türkei, 77 Millionen sind vereint als Brüder." Seinen Kritikern warf er Verschwörung und Geheimnisverrat vor und drohte: "Sie werden dafür zahlen."

Der Politologe Hüseyin Sayman betonte im Nachrichtensender CNN-Türk, der Regierungschef habe von der starken Polarisierung im Land profitiert.

Basis für Präsidentschaftswahl

Erdoğan hat mit dem Wahlsieg jedenfalls nicht nur die Kritik an seiner Regierung beantwortet, sondern auch die Basis für eine erwartete Präsidentschaftskandidatur im August gelegt. Vor der Wahl hieß es bei der AKP, Erdoğan werde bei einem Ergebnis von weniger als 40 Prozent seine Bewerbung überdenken.

Die Spannungen in der Türkei dürften auch nach dem Wahltag anhalten. Das Land werde nun sofort in die Vorwahlphase der Präsidentschaftswahlen eintauchen, sagte Levent Erden von der Istanbuler Bilgi-Universität im TV-Sender NTV. Er verwies darauf, dass nach der Präsidentschaftswahl bald auch Parlamentswahlen anstünden. „Wir sind erst am Anfang des Spiels", sagte Erden.

Angesichts der Entrüstung großer Teile der Öffentlichkeit über das harte Vorgehen gegen die Gezi-Proteste im vorigen Jahr, über den autoritären Führungsstil Erdoğans und über die Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung überraschten das gute Abschneiden der AKP viele Beobachter. Kritiker Erdoğans beklagten eine verzerrte Berichterstattung der regierungstreuen Staatsagentur Anadolu.

Beschwerden über Unregelmäßigkeiten

Zudem machten Beschwerden über angebliche Unregelmäßigkeiten in den Wahllokalen die Runde. So sollen haufenweise Wahlzettel sichergestellt worden sein, die bereits vor Beginn der Stimmabgabe zu Gunsten der AKP ausgefüllt waren. Auch meldeten Erdoğan-Gegner eine merkwürdige Häufung von Stromausfällen in mehreren Wahlbezirken; die Dunkelheit könnte die Manipulationen genutzt werden, lautete der Vorwurf.

Klagen dieser Art gehören schon immer zu türkischen Wahlen - ebenso wie Nachrichten von Todesopfern bei Auseinandersetzungen zwischen Bürgermeisterkandidaten in der südosttürkischen Provinz: Acht Tote wurden bis zum Nachmittag gemeldet. Die Zusammenstöße gingen auf lokale Streitigkeiten zurück und hatten nichts mit den Gegensätzen zwischen Erdoğan und dem Lager der Regierungsgegner zu tun.

Gänzlich unaufgeregt ging dagegen in vielen anderen Wahllokalen zu, etwa in einer Schule im Istanbuler Stadtzentrum. Schon am Morgen bildeten sich hier Trauben von Wählern vor den Plexiglas-Urnen. „Wir sind extra früh gekommen, weil es heute nachmittag wahrscheinlich noch viel voller wird", sagte ein Mann. Obwohl die Wählerschaft in dem Stadtviertel in AKP-Anhänger und -Gegner gespalten ist, war die Atmosphäre freundlich und nachbarschaftlich.

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