Gastkommentar des E-Commerce-Experten Gerrit Heinemann: Der Internethändler aus den USA droht den Einzelhandel zu überrollen.
Als „Schlag ins Kontor“ betitelte die „Frankfurter Allgemeine“ einen Bericht, dass der Buchhändler Hugendubel am Münchener Marienplatz und mit ihm das erste, 1979 auf fünf Etagen und 3500 Quadratmetern eröffnete Buchkaufhaus Deutschlands im Frühjahr 2016 seine Pforten wird schließen müssen.
Allerdings handelt es sich nicht um ein Einzelschicksal, sondern um einen Wandel, der die ganze Branche angeht. Ein Wandel, der in den USA bereits auf andere Branchen übergreift und derzeit Staples sowie RadioChack – im ersten Fall zur Schließung mehrerer hundert und im zweiten Fall von über tausend Filialen veranlasst. Das „Wall Street Journal“ spricht bereits von einer regelrechten Feuerwalze, die mit dem Internethändler Amazon unter Jeff Bezos den amerikanischen Einzelhandel überrollt.
Diese ist jetzt – nach den Zahlen von 2013 – auch am Horizont des Einzelhandels im deutschsprachigen Raum sichtbar. Mit deutlich zweistelligem Milliarden-Handelsvolumen reicht das Wachstum von Amazon in der Höhe von offiziell 21 Prozent – durch Ausweitung des Marktplatzgeschäftes wahrscheinlich eher 25Prozent im letzten Jahr – aus, um dem gesamten nicht lebensmittelnahen Einzelhandel in nur einem Jahr mehr als ein Prozent Marktanteil abzunehmen.
Zerstörerische Maschine
Bei weiterhin stabilen Wachstumsraten vergrößert sich diese Zahl progressiv, da der Sockeleffekt überproportional zu greifen beginnt und dieser bereits in der Belletristik sowie auch in den Fachbuchsortimenten eine nahezu marktbeherrschende Stellung eingenommen hat. Diese wird offensichtlich – aufgrund von Ängsten vor Repressalien nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen – bereits gegenüber Verlagen missbraucht.
Nicht nur missbraucht, sondern von der „Jeff-Bezos-Maschine“ auch noch regelrecht massakriert, indem sie eigene Verlagsprogramme aufsetzt und so zum direkten Zerstörer ihrer bisherigen Lieferanten mutiert. Wer aber stoppt diese Maschine? Wo bleiben Handelskonzerne mit Taten statt Worten, um systemtechnisch aufzurüsten und alle Kräfte gegen die nahende Feuerwalze zu mobilisieren?
Innovativ – aber wobei nur?
Wo bleibt das Kartellamt, um eine offensichtliche Monopolbildung zu verhindern? Wo bleiben die Handelsverbände, um die Alarmglocken zu läuten und vor der herannahenden Feuerwalze zu warnen? Das deutsche Kartellamt zumindest stärkt Amazon sogar noch den Rücken, indem es auf seinem Marktplatz auch noch den hemmungslosen Preisverhau von Marken bis hin zu Untereinstandspreisen zulässt und den Markenherstellern wie Adidas jede Möglichkeit nimmt, dagegen vorzugehen.
In diesem Zusammenhang ruft eine ganzseitige Anzeige zum Innovationspreis der deutschen Wirtschaft, dessen Schirmherrschaft das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie innehaben, schon eine eigenartige Gefühlslage hervor. In welchem Zusammenhang? Mit Jeff Bezos, dem Gründer und CEO von Amazon, als Sieger des Titels „innovativster CEO international“.
Ja herzlichen Glückwunsch! Innovativster CEO international vor allem in Hinblick auf die Ausnutzung europäischer Steuernischen in Luxemburg und Irland; innovativster CEO beim Umgehen von Umsatzsteuerpflichten; innovativ auch beim Diktieren von Konditionen gegenüber Lieferanten und Verlagen; sehr innovativ auch beim Nichtbezahlen von Einzelhandelstarifen; oder auch jetzt besonders innovativ beim Austausch von Mitarbeitern durch Roboter.
Zur Person
Gerrit Heinemann ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler, der sich mit dem E-Commerce, Onlinehandel und Multi-Channel-Handel beschäftigt. Er unterrichtet als Professor an der Hochschule Niederrhein.
E-Mails an:debatte@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2014)