Grätzeltour: Oberdöbling

Katja Sindemann kennt viele „Orte der Stille“ in Wien. Einer ist ihr als früherer Wohnort vertraut, eine ruhige, unprätentiöse Ecke.

Zehn Jahre lang hat Katja Sindemann von ihrer Wohnung aus auf den wilden Garten der Zacherlfabrik geblickt, zehn Jahre lang ist sie mit dem Hund den verschwiegenen, lauschigen Max-Patat-Weg zur Döblinger Hauptstraße spaziert. „Insofern ist diese Gegend ein Heimspiel,“ meint die Historikerin und Religionswissenschaftlerin, die in Wien viele „Orte der Stille“ kennt und diese jüngst in einem Buch versammelt hat. Darunter eben auch die auffällige Zacherlfabrik und ihr Rundherum.

Teppiche und Kacheln

Von vorn ist das Bauwerk von Hugo Wiedenfeld und von Karl Mayreder ein bekanntes und seltenes Beispiel für das Aufgreifen orientalischer Stilelemente im Historismus. Ein Anlass, den Hintergrund der Fassade zu erklären: Nicht bloß das Insektenvertilgungsmittel Zacherlin machte den Bauherrn um die Wende zum 20.Jahrhundert reich, zuerst waren es Teppiche und deren Reinigung, schildert Sindemann. „Johannes Evangelist Zacherl hatte erst durch eine Niederlassung im osmanischen Reich das Chrysanthemenpulver zur Bekämpfung von Motten kennengelernt.“ Und so geografisch genau nehme es das Dekor von Front und Entree auch nicht: „Die Fassade mit ihren Arabesken und leuchtenden türkisen Farben ist eigentlich am Stil der Isfahaner Moschee in Persien orientiert.“ Bedauerlicherweise ist das Gebäude heute nicht mehr kulturell genutzt, nachdem den Räumlichkeiten die Konzession dazu fehlt. Zumindest bewohnt ist die Anlage.

Die Topografie überrascht hier in diesem Teil von Oberdöbling vielleicht, denn zwischen der Nusswaldgasse und der Hofzeile zieht sich ein regelrechter Graben, der Höhenunterschied beträgt an manchen Stellen sicher etwa 30, 50Meter. „Auf den abschüssigen Grundstücken liegen die Rückgärten der Wohnhäuser.“ Und zur Paulskirche muss man eine längere Stiege hinaufklettern.

Schlösslfront und Sachlichkeit

Lange umgab die Szenerie nur Natur: Bebaut wurde die Geländekante der Hofzeile erst in der Nachkriegszeit, sachlicher Sechzigerjahre-Wohnbau, aber in schöner, exklusiverer Lage. „Döbling war früher ein Bauerndorf. Es begann im 18. und 19.Jahrhundert, dass die vermögenden Wiener Familien im Sommer hierher auf das Land zogen.“

So ein nobles Refugium hatte auch Maria Theresia inne, sie bekam das Schlössl, das heute mitten auf der Hofzeile liegt und eine Business School beherbergt, zu ihrer Vermählung geschenkt. Dort erholte sie sich von den anstrengenden Regierungsgeschäften – inmitten von Weinbergen, Obstbäumen und Feldern. Nur ein paar sakrale Bauten befanden sich in der Nachbarschaft: die Johann-Nepomuk-Kapelle an der Ecke zur Döblinger Hauptstraße, die nicht mehr als solche genutzt wird und in die die Schwestern des Klosters vom armen Kinde Jesu eine Zwischendecke einbauen ließen.

Schließlich endet der Rundgang durch diese stillere, unprätentiösere Döblinger Ecke unten an der Hauptstraße beim Bezirksmuseum und der früheren Villa Wertheimstein, in der die Dame des Hauses einst legendäre Salons veranstaltet hat. Jetzt kommt man hierher, um zu spazieren und die mächtige Blutbuche zu bestaunen. „Der obere Teil des Wertheimsteinparks ist bekannt“, erzählt Sindemann, „aber es gibt einen tiefer liegenden Bereich, in den kaum jemand kommt.“ Auch durch das Tor zum Bieberhof, in dem Beethoven die „Eroica“ schrieb, kommen Neugierige selten: Dahinter liegt einer der vielen ganz stillen Orte in Wien, die nur kennt, wer offenen Auges unterwegs ist.

RUNDGANG

Döbling: 69.000 Bewohner, Wohnungen im Durchschnitt mit 1,96Personen belegt. Eigentum im Erstbezug kostet durchschnittlich 5600 Euro/m2, Miete im Erstbezug 12,50Euro/m2 (Quelle: „Erster Wiener Wohnungsmarktbericht“, EHL & Buwog)
Buchtipp: Katja Sindemann,
„Wiener Orte der Stille. Die schönsten Grußstadt-Oasen zum Entspannen.“ Metroverlag, www.metroverlag.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2014)

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