Erbarmen mit den Politikern?

(c) Clemens Fabry/ Die Presse
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Machen die Medien die Politik kaputt? Über das heikle Verhältnis von kritischem Journalismus, medialer Inszenierung und Politik.

Anfang dieses Jahres strahlte die frühere Justizministerin Beatrix Karl in einem blauen Ballkleid vom Titelblatt eines großen Wochenmagazins – und über dem blauen Ballkleid stand: „Österreichs geizigste Politikerin“. Aus der vier Seiten langen Titelgeschichte habe ich gelernt, dass Frau Karl von einer Modeschule gebeten wurde, auf einem großen Grazer Ball eben jenes blaue Kleid zu tragen, das eine Modeschülerin im Rahmen einer Projektarbeit entworfen hatte.

Frau Karl hatte das Kleid nicht von sich aus bestellt, aber den Stoff dafür bereitgestellt und der Schülerin für ihre Arbeit 300 Euro bezahlt. Bei einem geschätzten Arbeits-aufwand von 150 Stunden ergäbe das einen Stundenlohn von zwei Euro, hat das Magazin errechnet, und das mache aus Frau Karl eben die „geizigste Politikerin Österreichs“.
Wer in dem langen Artikel übrigens fehlt, ist irgendeine Aussage der so skandalös ausgebeuteten Schülerin, die weder namentlich noch anonym vorkommt – oder irgendein anderer Mensch, der sich über die ganze Angelegenheit beklagt hätte.

Auf der sehr erfolgreichen Website eines sehr seriösen, großen Fernsehsenders war vor einem knappen Jahr folgende Headline zu lesen: „Blockierte Kurz Behindertenparkplätze?“

Darunter stand ein offensichtlich mit großem Aufwand recherchierter Beitrag, aus dem wir erfahren, dass ein Handy-Foto existiert, auf dem ein Auto vor zwei Behindertenparkplätzen zu sehen ist.

Das Foto war damals ein Dreivierteljahr alt. Der Mann, der es gemacht hat, behauptet, das leere Auto hätte mehrere Minuten lang die Behindertenparkplätze einer Autobahnraststätte blockiert, dann wäre der damalige Staatssekretär Kurz gemeinsam mit einem Begleiter in den Wagen eingestiegen und weggefahren. Auf dem Handy-Foto sieht man allerdings weder Herrn Kurz, noch ist zu erkennen, ob das Auto tatsächlich vor den Parkplätzen steht oder gerade daran vorbeifährt.
Der Autor des immerhin 8.000 Zeichen langen, also sehr ausführlichen Berichts konnte auch nicht verifizieren, ob das Auto überhaupt Herrn Kurz oder dem Innenministerium gehört – oder ob dieser unerhörte Vorfall je stattgefunden hat. Allerdings haben seine investigativen Bemühungen einen Facebook-Eintrag ans Licht gebracht, laut dem sich Herr Kurz am fraglichen Tag im selben Bundesland aufgehalten hat, in dem auch die Autobahnraststätte liegt.

Anfang 2012 wurde der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer vom Monatsmagazin "Cicero" gefragt, ob er denn je in die Politik zurückkehren werde. Nein, antwortet Fischer und begründet es so: „Ich habe mein Leben so geführt, dass ich den hohen moralischen Standards, die neuerdings an öffentliche Ämter durch die Medien angelegt werden, nicht mehr gerecht werde.“
Mich hat diese Antwort damals zum Nachdenken gebracht. Und vor einigen Wochen hatte ich eine lange Unterhaltung mit einem führenden Politiker der Regierungskoalition, die mich noch nachdenklicher gemacht hat. Ich hatte ihn gefragt, warum Regierungsvertreter immer häufiger Interviews in der ZiB2 verweigern würden. Und er antwortete darauf: „Weshalb sollen wir kommen? Sie interessieren sich nicht für Politik. Sie machen die Politik kaputt.“ 

Ist das so? Machen wir die Politik kaputt? Wir in der ZiB2-Redaktion? Wir in den Medien überhaupt?
Was wohl stimmt, ist, dass die Politik irgendwie kaputt ist. „Wer sich umhört, weiß: So unten durch war die Politik von der Spitze abwärts noch nie“, schreibt Josef Votzi dieser Tage im "Kurier".

In wenigen Tagen werden die Marktforscher von GfK ein internationales Berufsranking aus 25 Ländern veröffentlichen. Vorerst sind leider nur die Daten für Deutschland bekannt. Demnach sind Feuerwehrleute, Kranken-personal und Piloten jene Berufsgruppen, denen die meisten Deutschen vertrauen – mehr als 90%. Und ganz unten, am Ende dieses Rankings, stehen Politiker. Gerade mal 15% vertrauen ihnen voll und ganz oder zumindest überwiegend.  Damit liegen sie auf dem letzten Platz hinter Versicherungsvertretern und Werbeleuten. Auch Journalisten wird nicht sonderlich vertraut – aber zumindest noch von 37% der Deutschen. Das Erschreckende für Politiker an dieser großen Studie aber ist: Von 25 abgefragten Ländern liegen sie in 22 auf dem letzten Platz.

Das jüngste veröffentlichte Berufsranking für Österreich stammt von 2012. Damals vertrauten nur noch 5% der Österreicher ihren Politikern, im Jahr davor waren es – auch schon erschütternde – 8% gewesen. Wenn sogar der frühere Kabarettist Roland Düringer, der heute in einem Wohnwagen lebt, sagt, Politiker zu werden, wäre für ihn „ein sozialer Abstieg“ – dann hat dieser Beruf ein echtes Problem. 

Die politische Klasse „bietet keinen angenehmen Anblick“, das schreibt auch Hans Magnus Enzensberger: „In der ganzen Welt sagt man ihr, in verschiedener Dosierung, aber deprimierender Einmütigkeit nach: Herrschaft des Mittelmaßes, Versagen der Urteilskraft, kurzfristiges Denken, konzeptionelle Ignoranz, Machtversessenheit, Gier, Versorgungsmentalität, Korruption, Arroganz.“ Das hat Enzensberger allerdings 1992 geschrieben, also bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten, in seinem Essay „Erbarmen mit den Politikern!“

Müssen wir tatsächlich Erbarmen mit Politikern haben? Ich glaube, ja. Sind die Medien schuld daran? Ja und Nein.
Politik ist – jedenfalls ab einer bestimmen Ebene - ein unfassbar mühsamer Job. Wenn Sie das ernst nehmen, arbeiten Sie weit, weit mehr als die üblichen 40 Stunden. Sie sitzen nicht nur tagsüber als Bürgermeister im Rathaus oder als Abgeordnete im Plenum und in meist endlos öden Ausschusssitzungen. Sie verbringen Ihre Abende auf Parteisitzungen und bei Bürgerversammlungen und Ihre Wochenenden am Zeltfest und beim Feuerwehrball.

Sie müssen sich von jedermann und jederfrau anquatschen lassen, stets freundlich bleiben und jedes Anliegen ernst nehmen – oder zumindest glaubhaft so tun. Sie verdienen für Ihren Arbeitsaufwand in manchen Funktionen ganz gut (etwa als Bundesrat oder Landtags-abgeordneter), in etlichen nicht schlecht (z.B. im Nationalrat)  und in einigen (wie als Minister oder viele Bürgermeister) ziemlich wenig, wenn man es mit Gehältern in der Privatwirtschaft vergleicht.

Aber von Ihrem Gehalt überweisen Sie noch einen Gutteil an ihren Klub und an die Partei; bei jedem Sportfest im Wahlkreis bezahlen Sie den Pokal, eine Runde für alle und stecken der Musikkapelle was zu.

Die jährliche Gehaltserhöhung, die jeder bekommt, fällt für Sie meistens aus, weil sich Ihre Parteichefs vor dem Gebrüll der Boulevardzeitungen fürchten.
Und so etwas wie leistungsbezogene Entlohnung gibt ebenso wenig wie die Möglichkeit, über ihr Gehalt zu verhandeln. Für’s Geld lohnt sich die Politik also meistens nicht.

Erfolgserlebnisse sind auch eher selten. Was ist schon ein politischer Erfolg? Wie wollen Sie den exakt messen? Und wenn etwas gelingt, was genau ist Ihr Anteil daran? Die allermeisten Beschlüsse sind Kompromisse und Sie werden selten gefeiert für das, was Sie erreicht haben, aber häufig laut kritisiert für alles, das Sie nicht erreicht haben.
Vieles können Sie auch deshalb nicht umsetzen, weil in einer zunehmend komplexen und globalisierten Gesellschaft nationalstaatliche Politik ziemlich machtlos geworden ist. Der Handlungsspielraum wird kleiner, aber die Wähler erwarten sich trotzdem souveräne Politiker.
Fred Sinowatz‘ berühmter Satz, es sei alles sehr kompliziert, ist heute noch wahrer als vor drei Jahrzehnten, aber für die meisten Bürger keine befriedigende Erklärung. Politik bestehe deshalb ganz wesentlich auch aus der Vortäuschung einer „Souveränitätsfiktion“, schreibt der Politologe Thomas Meyer.

Als Politiker müssen Sie sich aber nicht nur mit oft überkomplexen Problemen auseinandersetzen, mit Lobby- und Interessensgruppen jeder Größe und Façon und natürlich mit dem politischen Gegner – sondern auch mit ihrer eigenen Partei. Die ehemalige FPÖ-Generalsekretärin Theresia Zierler hat das einmal so beschrieben: „In der Anfangszeit hatte ich in meinem Büro einen Kalender hängen und da habe ich jeden Tag ein Hakerl gemacht: Wieder einen Tag überlebt.“

Sie müssen als Politiker  immer wieder Beschlüsse und Kompromisse mittragen und öffentlich rechtfertigen, von denen Sie eigentlich nicht überzeugt sind, weil Politik eben letztlich der Ausgleich von Interessen ist. Ihre Partei schätzt es übrigens nicht besonders, wenn Sie öfter gegen die Parteilinie stimmen.

Klubzwang gibt es natürlich offiziell keinen, aber Klubdisziplin wird von der Fraktionsführung doch recht hoch geschätzt.

Sie wissen in der Politik von vornherein, dass Sie einen Arbeitsvertrag für maximal fünf Jahre haben (gut, das gibt es in Spitzenjobs öfter),  aber Sie wissen auch, dass in Ihrer Branche die Verlängerung nur zu einem geringen Teil von Ihrer Leistung abhängt, sondern viel mehr von internen Machtverhältnissen, geografischen, bündischen und Geschlechter-Quoten und vor allem vom unberechenbaren Wähler.

Und wenn Sie nicht verlängert werden, droht der große Karriereknick. Bis vor ein paar Jahren durften sie noch damit rechnen, von ihrer Partei in einem staatsnahen Betrieb versorgt zu werden, aber damit es schon lange vorbei – mangels staatsnaher Betriebe und weil das in der Öffentlichkeit auch nicht mehr so gut ankam. Und Lob bekommen Sie für Ihre Arbeit auch keines. Im Gegenteil – keine andere Berufsgruppe hat, wir haben es bereits gehört, ein derart verheerendes Image.

Ich finde also, wir sollten tatsächlich – wie Enzensberger schreibt – Erbarmen mit Politikern haben. Wir sollten mehr Respekt vor Menschen haben, die sich das alles antun. Aber warum haben wir ihn nicht? Warum ist das Image der Politik derart kaputt – und wie sehr sind die Medien schuld daran?

Der amerikanische Soziologe Joshua Meyrowitz hat ein grundlegendes Buch über „Die Fernseh-Gesellschaft“ geschrieben, in dem er begründet, warum es keine großen politischen Führungsfiguren mehr gibt – und auch gar nicht mehr geben könne. Seine Erklärung halte ich für einen Schlüsseltext zum Verständnis von Politik im Medienzeitalter.

Große Führungsfiguren brauchen so etwas wie Charisma und Aura, argumentiert Meyrowitz. Aber Aura entstehe nur durch eine gewisse Mystifikation, durch Distanz und begrenzten Zugang, dadurch, dass der öffentliche Eindruck einer Führungsfigur sorgsam kontrolliert werden kann. Und genau das ist in einer modernen Medien-gesellschaft nicht mehr möglich. „Es herrscht kein Mangel an politischen Führungsfiguren“, schreibt Meyrowitz, sondern „vielmehr ein Überfluss an Informationen über sie“. Wir wissen zu viel über unsere Politiker, dadurch verlieren sie ihre Aura und werden „auf das Niveau eines Durchschnittsmenschen herabgezogen“.

Viele von uns haben aber ein Bedürfnis nach Politikern, zu denen sie in gewisser Weise aufblicken können, die uns inspirieren, die den Eindruck vermitteln, dass sie die komplexen Probleme unserer Zeit besser lösen können als wir das selbst könnten. Nochmal Meyrowitz: „Die Redner-Tribüne erhob früher einen Politiker über die Menge – wörtlich wie symbolisch. Jetzt bringt die Kamera den Politiker so nahe, dass die Menschen ihn genau beobachten können. Und in diesem Sinne erniedrigt sie den Politiker auf das Niveau seines Publikums.“
Dazu kommt, dass Politiker praktisch permanent in der medialen Öffentlichkeit agieren. Wir alle verhalten uns in unter-schiedlichen Situationen unterschiedlich, je nachdem wo wir sind und wer anwesend ist. Das ist nicht nur normal – sondern auch vernünftig.

Bei einem Politiker unter medialer Dauerbeobachtung wird dieses völlig normale Verhalten aber plötzlich zum Problem: Wenn er einmal dies und ein anderes Mal das sagt, erscheint er inkonsistent, opportunistisch und unehrlich.

Wer sich aber permanent konsistent verhalten muss, der entwickelt etwas, das Meyrowitz ein „politisches Verhalten im ‚mittleren Bereich‘“ nennt – ein öffentliches Verhalten, das überall irgendwie passt, also genau diesen ungefähren, schwammigen, sich nie richtig festlegenden Polit-Sprech, der uns alle so nervt.

Um nicht ertappt zu werden, versuchen Politiker ihre Auftritte möglichst sorgsam zu inszenieren, mithilfe großer Stäbe von Presseberatern und Spin Doktoren. Aber diese Inszenierungen werden von der Öffentlichkeit sehr rasch als genau das wahrgenommen – als Inszenierungen eben. Ein Dilemma, meint Meyrowitz: „Die neuen Medien … verlangen nach einer sauberen Aufführung durch einen professionellen Schauspieler, und lassen gleichzeitig dessen Auftritt als Schmierenkomödie erscheinen“. 
Das alles hat Meyrowitz 1985 geschrieben – also zu einer Zeit, in der die Medienlandschaft ausnehmend gemütlich war: kaum Privat- und Kabelfernsehen, vergleichsweise zurückhaltender Boulevard-Journalismus, keine Gratiszeitungen, kein Internet, keine sozialen Medien, keine Handykameras.

Wenn schon die Zustände in dieser Medienidylle vor drei Jahrzehnten die Aura von Politikern zerstört haben – wie ist es dann heute, unter der wirklichen Rund-um-die-Uhr-Beobachtung nicht nur durch professionelle Medien sondern durch Millionen Handybesitzer und Internet-Poster?

Wir wünschen uns möglichst authentische Politiker und verspotten und verachten sie gerne, wenn sie tatsächlich mal authentisch sind, wenn sie Fehler machen und Schwächen zeigen. Und ich muss gestehen, ich bin daran ebenso mit Schuld wie viele Kolleginnen und Kollegen.
Wie oft haben wir Alfred Gusenbauers Bemerkung vom „üblichen Gesudere“ hinauf- und hinuntergespielt, als hätte noch keiner von uns über öde Sitzungen oder mühsame Kollegen gestöhnt. In keinem Porträt über Martin Bartenstein fehlt die Anekdote vom Schuh-Rabatt, als wären nicht tausende Mitglieder beim österreichischen Journalistenclub vor allem wegen dessen langer Liste von Journalistenrabatten. Wieviele Kolleginnen hätten für ein Ballkleid, das sie für eine Modeschule austragen, von sich aus Material plus 300 Euro bezahlt? Wer von uns hat noch nie falsch geparkt – möglicherweise sogar vor einem Behindertenparkplatz? 

Wir sind schon mitunter gnadenlos. Wir Journalisten. Und wir Wähler.

Oder wie der Grazer Soziologe Manfred Prisching unsere Erwartungen an Politiker beschreibt: „Sie sollen Menschen wie Du und Ich sein und zugleich bewunderte Wegweiser. Sie sollen über Detailkenntnisse ebenso wie über große Visionen verfügen. Sie sollen so sein wie der Durchschnittsbürger, weil sie sich ja vom Volk nicht entfernen dürfen, aber sie sollen auch besser sein, weil sie ja sonst keine Führer wären.“ 

An diesen Anforderungen kann man eigentlich nur scheitern.

Dabei sind die professionellen Medien gar nicht die schlimmsten. Noch viel grausamer ist der Umgang mit Politikern ja in Online-Foren und sozialen Medien. Im Vergleich dazu herrscht am herkömmlichen analogen Stammtisch selbst nach etlichen Runden noch ein vergleichsweise gediegener Diskurs. Michael Fleischhacker hat das mal „digitale Psychiatrie“ genannt – oft ist es auch schlicht ein digitaler Pranger knapp vor der verbalen Lynch-Justiz.

Ich muss ja sagen, ich respektiere und ich bewundere jeden, der sich das antut und aus ehrlichen Motiven in die Politik geht. Aber alleine, dass ich beim Schreiben in diesen Satz die Formulierung eingefügt habe „aus ehrlichen Motiven“ zeigt das Problem.

Ich hatte zuerst geschrieben: Ich bewundere jeden, der sich das antut und die Politik geht. Aber das stimmt nicht. Natürlich bewundere ich Ernst Strasser nicht. Oder Uwe Scheuch. Oder Walter Meischberger. Oder Josef Martinz. Oder Jörg Haider. Oder Karl-Heinz Grasser. Dass die Politik ein derart unterirdisches Image hat, verdankt sie natürlich auch diesen Politikern.

Aber nun sind ja bei weitem nicht alle Politiker korrupt, nicht einmal ein besonders großer Anteil, ziemlich sicher nicht mehr als in den meisten anderen Berufen. Man könnte also von wenigen schwarzen Schafen sprechen, wäre da nicht das Verhalten von vielen anderen in der Herde.

Natürlich sind die allermeisten Politiker nicht korrupt. Trotzdem haben die beiden Regierungsparteien den Korruptions-U-Ausschuss im Nationalrat mit ihrer Stimmenmehrheit einfach zugedreht, als es versprach, allzu unangenehm zu werden. 

Und seit November haben sie bereits gezählte zehn Mal einen U-Ausschuss zur Hypo verhindert – mit der Begründung, die Opposition würde daraus nur ein Spektakel, ein Tribunal und einen politischen Zirkus machen. Die Befürchtung ist nicht unberechtigt. Tatsächlich war der Umgang mit Auskunftspersonen in früheren U-Ausschüssen teilweise skandalös, im Schutz der Immunität der Abgeordneten.

Andererseits, welche dunklen Mächte haben die Koalitionsparteien eigentlich in den letzten Jahren daran gehindert, gemeinsam mit der Opposition eine sinnvolle und praktikable Geschäftsordnung für U-Ausschüsse zu beschließen – und sie damit auch zu einem Minderheiten-Recht zu machen, wie das in zivilisierten parlamentarischen Demokratien üblich ist? Seit 2006 wird das versprochen, seit 2009 ist es sogar schriftlich paktiert – man könnte meinen, ein paar Profi-Politiker und Klub-Juristen würden da eine vernünftige Regelung innerhalb von längstens drei Wochen hinkriegen. Jetzt ist von Sommer die Rede (Jahr wurde übrigens keines erwähnt), aber auch da will sich der Bundeskanzler „nicht festlegen“, hat er diese Woche gesagt.

Stattdessen wird das Hypo-Debakel nun mal von einer eigenen Kommission untersucht. Die hat sich der Finanzminister selbst ausgedacht, ihre – persönlich untadelige – Vorsitzende hat er sich selbst ausgesucht, die Kommission arbeitet nicht öffentlich, die Zeugen stehen nicht unter Wahrheitspflicht und Dokumente müssen nicht vorgelegt werden.

Dass er einen regulären U-Ausschusses ablehnt, begründet der Finanzminister übrigens so: „Das ist ein Mittel, wo eine Partei gegen die andere steht, wo dauernd wieder irgendwelche Dinge an die Öffentlichkeit gezerrt werden.“ Stimmt, das wäre an sich der Sinn der Sache. 

Außerdem sei ein U-Ausschuss teuer, sagt die Regierung, etwa eine Million Euro würde er kosten. Also ca. 0,2 Promille dessen, was bisher an Steuergeld in die Hypo geflossen ist. Einen „untauglichen Vertuschungsversuch“ nennt das Andreas Koller in den "Salzburger Nachrichten". Und Michael Völker schreibt im "Standard": „Die Koalition ruiniert nicht nur ihren eigenen Ruf, sie ramponiert das Ansehen der Politik ganz allgemein.“

Machen Medien die Politik kaputt – oder machen Politiker die Politik kaputt?

Da tritt unmittelbar nach der letzten Nationalratswahl ein Landeshauptmann vor die Kameras und verkündet, dass im Budget im Vergleich zu den Prognosen vor der Wahl jährlich 6 bis 8 Milliarden fehlen, also über die nächsten fünf Jahre bis zu 40 Milliarden. Aber wenn Journalisten das Milliarden-Loch „Budgetloch“ nennen, ist die Regierung empört. Im aktuellen Budget gebe es nämlich kein Loch, also gibt es höchstens eine „Prognoselücke“, maximal ein „Erwartungsloch“. Oder wie es der Wiener Bürgermeister so schön erklärte: „Es gibt kein Budgetloch. Es gibt eine Vorschau, dass Einnahmen und Ausgaben auseinanderlaufen“.

Ich bin auch nicht sicher, dass es das Vertrauen der Bürger in die Politik befördert, wenn man Ihnen erst jahrelang erklärt, das Ziel der Regierung sei ein „Nulldefizit“, dann ein „Nulldefizit über den Konjunkturzyklus“ und neuerdings ein „strukturelles Nulldefizit“. Damit kann zwar kaum ein Wähler etwas anfangen, aber für ein strukturelles Nulldefizit kann man sich – wenn es denn erreicht wird – ausgiebig selbst belobigen. Auch wenn das wirkliche Budgetdefizit, also der unangenehme Fehlbetrag zwischen Einnahmen und Ausgaben, dann noch immer mehrere Milliarden groß ist.

Nicht in das strukturelle Defizit gerechnet werden praktischerweise die Milliarden, die die Hypo-Abwicklung kosten wird.  Die sind ja ein sogenannter Einmal-Effekt, auch wenn dieser Einmal-Effekt viele Jahre lang einmalig teuer sein wird.

Gut vier Jahre nach ihrer Verstaatlichung wickelt der Finanzminister die Hypo nun übrigens auf Punkt und Beistrich exakt so ab, wie ihm das seine ministerielle Task Force vorgeschlagen hat. Sein mächtigster Parteifreund hat das mit den Worten kommentiert: „Hut ab, das ist Leadership!“ Er hat den Journalisten dann noch ausdrücklich ausrichten lassen, das sei nicht ironisch gemeint.

Wer beschädigt hier den Ruf der Politik?

Was sollen sich Bürger denken, wenn in Zeiten der Budgetnot die Parteienfinanzierung neu geregelt wird – und das Ergebnis ist eine höhere Parteienfinanzierung? Und wie sollen Wähler verstehen, dass wegen der Budgetnöte weder Pensionen, Pflegegeld noch Familienbeihilfe automatisch inflationsangepasst werden können, wohl aber die Parteienförderung.
Derartige Image-Pflege funktioniert aber auch mit sehr viel kleineren Beträgen – wenn etwa ein Klubobmann sein Amt verliert, aber nicht sein Einkommen, weil in der Parteiakademie ein neuer Job für ihn erfunden wird. Die neue Zusatz-Gage in der Höhe von zweieinhalb Durchschnittsgehältern wird dann damit begründet, dass sie ja „durchaus mit Arbeit verbunden“ sei.

Nun könnte man argumentieren, das alles würde tatsächlich niemanden an der politischen Klasse zweifeln lassen, würden die Medien nicht darüber berichten. Denn dann wüsste es keiner. Und es gibt auch führende Politiker, die genau so argumentieren. Ich habe vor knapp zwei Jahren in einem ORF-Sommergespräch den Bundeskanzler u.a. zu damals aktuellen „Inseraten-Affäre“ befragt und zu Widersprüchen in seinem offiziellen Lebenslauf. Im Umfeld des Kanzlers fand man diese Fragen absolut unpassend, ungehörig und eines Regierungschefs absolut nicht würdig. Genau solche Fragen würden die Politik beschädigen, hat mir einer seiner Mitarbeiter erklärt. Wir Journalisten würden das Geschäft der Opposition übernehmen und die Verdienste der Regierung beharrlich ignorieren.

Verantwortungsvoller Journalismus sei etwas völlig anderes. Ein Beispiel? „Warum fragen Sie nicht danach, wie viele Millionen wir zusätzlich in die Kinderbetreuung investieren?“ Das war sein Vorschlag. Auch das war nicht ironisch gemeint.

Politiker und Interviews, das ist ja überhaupt so ein Thema. Jeder Print-Journalist kann Horrorgeschichten über die Autorisierung von Interviews erzählen. (Print-Interviews werden ja von den Befragten vor dem Abdruck quasi „genehmigt“, um sicherzustellen, dass sie durch Kürzungen nicht manipulativ verändert wurden.) Da gibt es dann Aussagen, die gestrichen werden; ganze Frage- und Antwort-Passagen, die plötzlich fehlen; neue Antworten, die im Interview nie gesagt wurden. Und mein persönlicher Favorit: neue Fragen, die nie gefragt wurden,  auf die der Interviewte aber doch so eine schöne Antwort hat.

Im Fernsehen ersparen wir uns das, da gibt es keine nachträgliche Autorisierung. Das wissen allerdings auch die Politiker und antworten in TV-Interviews von vornherein anders – oder auch gar nicht. 

Ich habe einmal ein Interview mit der damaligen Justizministerin Bandion-Ortner gemacht, das später für eine Ö1-Sendung näher analysiert wurde: Von meinen 16 Fragen hat die Ministerin eine einzige beantwortet. Zwei Mal hat sie etwas erwidert, das zumindest mit den Fragen zu tun hatte. Sie hat zwei Gegenfragen gestellt und 13 meiner 16 Fragen schlicht gar nicht beantwortet.

Henry Kissinger war wenigstens noch so höflich, in Pressekonferenzen in die Runde zu fragen: „Hat hier jemand eine Frage zu meiner Antwort.“ Die österreichische Version dieser Strategie hat Politik-Veteran Andreas Kohl einmal so beschrieben: „Sie können mich fragen, was Sie wollen – ich rede immer nur von dem, was ich will.“ Das hat er in der "Presse" geschrieben, allerdings erst nach seiner Zeit im Parlament. Was man dann im Fernsehen sieht, seien oft „Politikerrunden zum Erbrechen“. Schreibt Andreas Khol. Der Politologe Fritz Plasser sieht einen wesentlichen Grund für die Politiker-Verdrossenheit gerade in dieser „hochgradigen Ritualisierung und plakativen Formelhaftigkeit“ ihrer TV-Auftritte.

Daran sind wir Medienleute möglicherweise auch Schuld.
„Das Archiv ist die Rache der Journalisten an den Politikern“, lautet das berühmteste Zitat des großen TV-Interviewers Robert Hochner.

Und tatsächlich halten wir Studiogästen ja gerne vor, dass sie früher zum gleichen Thema etwas ganz anderes gesagt haben. Oder dass ein Parteifreund etwas anderes sagt als sie. Und viele Politiker reagieren darauf mit der Taktik, möglichst gar nichts mehr zu sagen. Motto: Was ich nicht sage, kann später aus dem Archiv nicht gegen mich verwendet werden.

Die effizienteste Methode Fragen nicht zu beantworten ist natürlich, die Fragen gleich gar nicht stellen zu lassen – indem man Interviews verweigert. Der Bundeskanzler zum Beispiel hat sich seit dem zitierten Sommergespräch nicht mehr von mir befragen lassen. Alleine in den letzten Monaten hat er mehrere Dutzend Einladungen ins ZiB2-Studio abgelehnt. Wir sagen das auch immer wieder in der Sendung. „Machen sie das nur“, hat mir ein Mitarbeiter des Kanzlers erklärt, „das schadet der ZiB2 mehr als uns.“ Ich bin nicht ganz sicher, ob er damit Recht hat. Aber es geht uns gar nicht darum, dem Kanzler zu schaden. Es geht uns darum, öffentlich zu machen, wo Kommunikation verweigert wird.

„Politische Herrschaft in der Demokratie ist zustimmungsabhängig und deshalb grundsätzlich begründungspflichtig“, sagt der deutsche Politikwissenschafter Ulrich Sarcinelli. Und: „Beide, Zustimmung und Begründung, finden ihre Realisierung in und durch politische Kommunikation.“

Die Regierungsspitze versteht unter Kommunikation allerdings immer öfter, sich in heiklen Situationen kritischen Fragen – etwa im Ministerrats-Foyer – zu verweigern. Dafür aber engagiert sie sich einen ehemaligen Journalisten als freundlichen Stichwortgeber für ihre Bundesländer-Tour. Ich weiß nicht, ob da die Frage nach den zusätzlichen Millionen für die Kinderbetreuung gestellt wurde, kann es mir jedoch gut vorstellen.

Aber es braucht ohnehin keine Journalisten, um Politiker kritisieren. Niemand kann das gnadenloser, hämischer und auch niveauloser als Politiker selbst, wie sich praktisch täglich in den Presseaussendung der freiheitlichen Generalsekretäre nachlesen lässt. Die politisch gerne sehr korrekten Grünen bleiben aber auch wenig schuldig, wenn etwa Werner Kogler die Regierung pauschal eine „organisierte Verbrecherbande“ nennt oder die Rede einer Ministerin im Nationalrat schlicht als „inkompetentes Geschwafel“ abtut. Sein Kollege Peter Pilz enthüllt überhaupt jede Woche einen neuen absolut ungeheuerlichen Skandal. Das fördert den besonnenen Diskurs und das ausgewogene Urteil über Politiker und ihre Arbeit natürlich besonders. Und was Herr Stronach von Berufspolitikern hält, die noch nie Löhne bezahlt haben, das hat er ja sehr ausführlich zum Besten gegeben.

Letztlich hat sein kurzer Ausflug in die Politik aber vor allem eines gezeigt: Wie unverzichtbar ernstzunehmende, professionelle und engagierte Berufspolitiker sind.
Politik ist ein immens wichtiger, ehrenwerter und ungemein schwieriger Beruf. Ich könnte ihn nicht. Und wir Medienleute machen es denen, die ihn ausüben, nicht einfacher. Aber das ist auch nicht unsere Aufgabe. Unser Job ist es, das politische System und seine Akteure zu beobachten, ihre Handlungen und Aussagen kritisch zu analysieren, zu hinterfragen und zu kommentieren.
Wer damit ein grundsätzliches Problem hat, hat ein Problem mit demokratischer Politik. Weil Demokratie öffentlichen Diskurs voraussetzt – Medien machen demokratische Politik überhaupt erst möglich.

Aber wir Medienmenschen machen dabei auch viele Fehler: Nicht immer ist das, worüber am ausführlichsten berichtet wird, auch das Wichtigste. Nicht jede Journalisten-Frage ist immer von überragender Sachkenntnis getragen. Und nicht jede muss sofort beantwortet werden. In der medialen Hyperkonkurrenz von 24-Stunden-Nachrichten, Live-Tickern und Mini-Scoops lassen wir Politikern zu oft zu wenig Zeit. Die Herstellung politischer Entscheidungen dauert in der Regel länger als die Herstellung einer Sendung, einer Zeitung oder einer Website. Es ist auch nicht jede politische Debatte gleich ein „Streit“. Und nicht jeder Fehler oder Ausrutscher muss ein „Skandal“ sein oder zumindest eine „Affäre“.  Vor allem da sind wir Medienleute oft zu streng, mitunter auch gnadenlos und  hysterisch.

Und schon gar nicht rechtfertigen möchte ich glatte Gemeinheiten wie „Österreichs geizigste Politikerin“ oder Handy-Fotos von angeblich blockierten Parkplätzen.
Medien sind alles andere als fehlerlos. Das war übrigens noch nie so offensichtlich wie heute, wo jede Ungenauigkeit innerhalb von Minuten in Online-Postings, in sozialen Medien und auf Blogs aufgezeigt und verspottet wird. Wir arbeiten heute unter permanenter Supervision unseres Publikums – und das ist auch gut so. Und sehr lehrreich.

Robert Hochner hat über das Verhältnis von Politikern und Journalisten einmal gesagt: „Sie machen den Käse und wir bohren die Löcher hinein“.

So kann man es sehen. Das Löcher-Bohren ist unser Job. Und das ärgert viele Politiker. Aber wie groß der Käse ist, wie er schmeckt – und ob er gar zu schimmeln beginnt? Dafür sind die Politiker verantwortlich. Wir erzählen es dann weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2014)

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