Ungarn: Das System Orbán auf dem Prüfstand

File photo of Hungarian Prime Minister Viktor Orban
File photo of Hungarian Prime Minister Viktor Orban(c) REUTERS
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Kaum ein Politiker in der EU ist so umstritten wie der konservative Premier, der vor vier Jahren antrat, sein Land völlig umzukrempeln. Am Sonntag sieht er einer ungefährdeten Wiederwahl entgegen.

Eine „nationale Revolution“. Nichts weniger hatte Ungarns Premier Viktor Orbán angekündigt, als er 2010 an die Macht kam. Am Sonntag stellt der Mann, der so polarisiert wie kaum ein anderer Regierungschef Europas, sich und sein Projekt dem Urteil der Wähler, und alles deutet darauf hin, dass er ein neues Mandat bekommen wird. Unsicher ist nur die Höhe des Sieges, ob es also – auch dank geschickten Drehens an den Stellschrauben des Wahlrechts – erneut für eine Zweidrittelmehrheit reichen wird.

1 Die nationale Wiedergeburt und der gar nicht unwillkommene Widerstand aus Brüssel.

Müsste man Orbán und sein Programm auf ein Wort reduzieren, es wäre „Stolz“. Virtuos spielt er auf der Klaviatur des Nationalgefühls und suggeriert, er gebe dem Land seinen Stolz zurück. 2010 lag Ungarn wirtschaftlich am Boden, durch die weltweite Krise, aber auch durch die Politik der Vorgängerregierung. Orbán versprach, das Land wieder aufzurichten und die Ungarn gegen die EU und das internationale Finanzkapital zu verteidigen. Dieses erfolgreiche Narrativ hat er bis heute beibehalten. Unter ihm sei das Land „zu den christlichen Wurzeln zurückgekehrt“, sagte er nun im Wahlkampf und versprach, Ungarn werde wieder zu den erfolgreichen und stolzen Nationen zählen.

Bitter haben sich Orbán und seine Regierung oftmals über den Gegenwind aus Brüssel und den EU-Staaten beschwert, im Kern passte diese oft begründete, oft aber auch über das Ziel hinausschießende Kritik ins „Viel Feind – viel Ehr“-Konzept. Immer wieder wurde die Regierung zu Kurskorrekturen gezwungen, durch Vertragsverletzungsverfahren (Unabhängigkeit der Zentralbank, Pensionierung von Richtern) oder die Drohung damit (beim Medienrecht). Am Ende brachte Orbán einen Großteil seiner Vorhaben durch und konnte sich als erfolgreicher Widerständler gegen Brüssel präsentieren.

2 Ungarn konnte das Defizitverfahren beenden, doch Unberechenbarkeit hemmt Investitionen.

Auch die Konflikte mit Österreich fügen sich hier ein: Die 2010 eingeführte und entgegen der Zusage einer einjährigen Beschränkung ad infinitum verlängerte Bankensteuer traf die in Ungarn hochaktiven österreichischen Banken. Die abrupte Kündigung der „Nießbrauchsverträge“ in der Landwirtschaft wiederum – österreichische Bauern sind die Hauptbetroffenen – ist auch als Signal zur „Rettung“ des ungarischen Heimatbodens zu interpretieren. Beide Konflikte illustrieren eine der größten Gefahren für Ungarns gerade wieder anspringende Wirtschaft: die Unberechenbarkeit. „Es herrscht eine gewisse Rechtsunsicherheit, die steuerliche und gesetzliche Umgebung wurden rasant und manchmal willkürlich geändert“, sagt Sandor Richter vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Dies hemmt Investitionen. In Bereichen, in denen Orbán Sondersteuern eingeführt hat, seien die Investitionen besonders stark zurückgegangen, hauptsächlich im Energiesektor.

Auch wenn die Wirtschaft langsam wieder anzieht (für 2014 sind zwei Prozent Wachstum prognostiziert), sieht Experte Richter in der Wachstumsschwäche der vergangenen Dekade (also nicht nur unter der Regierung Orbán) Ungarns größtes Problem. Positiv sei hingegen, dass Ungarn 2013 aus dem EU-Defizitverfahren herauskam.

3 Streit um demokratische Standards: Verfassung und Wahlgesetz.

Wie ein roter Faden begleiteten Vorwürfe, die Regierung Orbán würde demokratische Standards verletzen, die letzten vier Jahre. Im Dezember 2012 etwa hat das Höchstgericht mehrere Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben. Die Regierung hat diese Gesetze dann aber mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament in die Verfassung geschrieben. Um vor unliebsamen Urteilen künftig gefeit zu sein, wurden in der nicht nur von der Opposition, sondern auch von der EU kritisierten neuen Verfassung die Befugnisse des Höchstgerichts eingeschränkt.

Umstritten ist auch die Reform des Wahlrechts. Einig ist man sich in Ungarn nur in einem Punkt: Die Verkleinerung des Parlaments von 386 auf 199 Sitze war nötig. Dann scheiden sich die Geister: Das neue Wahlrecht stärkt das Mehrheitselement, in den Wahlkreisen reicht künftig eine einfache Mehrheit, was der stärksten Partei nützt, also jener, die das Gesetz beschlossen hat. Rund eine halbe Million ethnischer Ungarn in Nachbarländern haben sich dank erleichterter Prozeduren den ungarischen Pass geholt. Sie dürfen neuerdings per Briefwahl abstimmen, und dieser Gruppe wird starke Fidesz-Sympathie (hier schließt sich der Kreis zur nationalen Rhetorik) nachgesagt. Diese und andere Maßnahmen sind keineswegs illegal, die Summe ergibt aber eine eindeutige Tendenz.

4 Antisemitismus und Abgrenzung zum rechten Rand als Dauerthemen.

Fidesz wird immer wieder vorgeworfen, sich nicht von der extremen Rechten abzugrenzen. Die Partei sendet widersprüchliche Signale aus: Einerseits gibt es den Orbán-Vertrauten Zsolt Bayer, der mit antisemitischen und rassistischen Äußerungen Aufsehen erregt hat. Andererseits hat Orbán selbst mehrfach deutlich gegen Antisemitismus Stellung bezogen. 2013 etwa erklärte er vor dem jüdische Weltkongress, dass Judenfeindlichkeit „untragbar und nicht hinnehmbar“ sei. Das Bild ist gemischt, und das geplante Denkmal, das Ungarn zum Gedenken an die Besetzung vor 70 Jahren in österreichischer Tradition rein als NS-Opfer zeigt, war nicht geneigt, die Gemüter der Kritiker zu beruhigen.

ZUR PERSON

Viktor Orbán (*1963) ist Chef der konservativen ungarischen Partei Fidesz und seit 2010 Premier. Er bekleidete dieses Amt bereits von 1998 bis 2002. Orbán ist auch Vizepräsident der Europäischen Volkspartei EVP. [ Reuters ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2014)

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