Die Psychologie hinter dem Frühjahrsputz

Frau putzt ein Fenster
Frau putzt ein Fenster(c) BilderBox (BilderBox.com / Erwin Wodicka)
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Putzen kann Spaß machen, Depressionen mildern und einen zur Ruhe bringen. Doch warum hat das Beseitigen von Dreck im Gegensatz zum Kochen und Handarbeiten immer noch ein so schlechtes Image? Eine Umfrage.

Knallgrüne Wiesen, leuchtend bunte Tulpen und blitzweiß-rosa Kirschblüten – in den ersten Frühlingstagen wirken die Parks und Wiesen, als kämen sie frisch aus dem Schleuderprogramm der Waschmaschine. Es ist zu allererst die Natur, die den Menschen im Frühling animiert, auch die eigenen vier Wände zu säubern und zum Glänzen zu bringen. Dass der Mensch Wohnung, Kleiderkasten und Auto nach den Wintermonaten schrubbt und schamponiert, hat allerdings noch andere Gründe. So fällt der Frühjahrsputz jedes Jahr automatisch in die Fastenzeit. Nicht nur der Körper wird also entschlackt, auch die Umgebung. Zudem hat der Frühjahrsputz eine lange Tradition: In bäuerlichen Haushalten war im Lauf des Jahres kaum Zeit für eine gründliche Reinigung. Nur einmal im Jahr, vor Ostern, half die gesamte Familie mit, Haus, Stall und Geräteschuppen zu putzen.

Und heute? Ist der Frühjahrsputz nur mehr auf den ersten Blick selbstverständlich. Genau betrachtet vereint die Großreinigung zwei Dinge, die unterschiedlicher nicht sein könnten – zumindest, was den gesellschaftlichen Stellenwert anbelangt. Wird der Frühling gemeinhin mit Positivem assoziiert, gilt Putzen hingegen fast als gesellschaftliches Tabu. Während der moderne Großstädter gerne damit angibt, dass er kocht, backt, strickt und gärtnert, hat sich die Do-it-yourself-Euphorie bisher noch nicht so richtig auf das Putzen ausgedehnt. Wer zugibt, dass er gerne staubsaugt und Möbel mit einer Spezialpolitur einlässt, will entweder provozieren oder hat einen „Putzfimmel“, wie es so schön heißt. Sauber muss es zwar sein, der Weg dorthin ist aber eher ein notwendiges Übel, das – sofern man es sich leisten kann oder will – gerne ausgelagert wird.


Die unsichtbare Tätigkeit.
Putzen ist so etwas wie die unsichtbare Tätigkeit, die zwei Mal im Jahr – zu Ostern und vor Weihnachten – kurz aufblitzen darf. Die Tätigkeit selbst passiert im Verborgenen, bei manch illegal beschäftigter Putzkraft im wahrsten Sinne des Wortes. Während Koch- und Handwerkershows im Fernsehen gang und gäbe sind, gilt die Realisierung einer Putzshow als eher unwahrscheinlich. Ganz zu schweigen von gemeinsamen Putzpartys oder gar einer Guerilla- oder Pop-up-Putzaktion. Dazu fehlt dem Putzen ein Produkt, das man anderen zeigen kann. Auffallen würde nur, wenn nicht geputzt ist.

Eine, die sich gegen das schlechte Image des Saubermachens wehrt, ist die deutsche Philosophin und Biologin Nicole C. Karafyllis, die soeben das Buch „Putzen als Passion. Ein philosophischer Universalreiniger für klare Verhältnisse“ herausgebracht hat. Karafyllis betrachtet das Putzen als Teil der Selbstbestimmung. „Putzen bedeutet, etwas zu lösen“, meint sie. Gespalten sei unser Verhältnis zum Putzen ihr zufolge, weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass wir es sind, die Dreck verursachen. Hinzu kommt die gesellschaftlich niedrige Stellung, die Menschen, die putzen, seit jeher zugeschrieben wird. Die, die es sich leisten können, lassen putzen und befassen sich nicht mit dem Dreck – die anderen putzen. Deutlich wird das oft daran, wie Menschen aus der ersten Gruppe mit jenen aus der zweiten umgehen – egal ob im direkten Kontakt oder hinterrücks.

Dabei würde selber zu putzen nicht nur so manchen im wahrsten Sinn des Wortes zurück auf den Boden bringen, sondern auch zum inneren Seelenfrieden beitragen. „Es gibt eine große psychologische Komponente beim Frühjahrsputz und Ordnungschaffen“, sagt Psychologin Natalia Ölsböck. „Wir empfinden das auch in der Seele als Wohlgefühl und fühlen uns innerlich stärker und geordneter.“ Wobei Ölsböck betont, dass es zum Thema Putzen kaum Studien, Untersuchungen oder Fachliteratur gibt. So weiß man zwar, dass Menschen, die innerlich aufgeräumt sind, mit Unordnung besser umgehen können. „Der Umkehrschluss funktioniert aber nicht. Das heißt also nicht, dass unordentliche Menschen automatisch mit sich im Reinen sind.“ Wo der Zusammenhang zwischen innerlicher Aufgeräumtheit und entspanntem Umgang mit (Un-)Ordnung liegt, ist mangels Forschung unbekannt.

Menschen, die in Sachen Putzen aber derart übereifrig sind, dass es ins Zwanghafte geht, sind meist von Ängsten geplagt. Laut Ölsböck gibt es hier unterschiedliche Typen mit übertriebenem Ordnungssinn: jene, die ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis haben, was wiederum auf Unsicherheit basiert. Und jene, die ein abhängiges Selbstbild haben, also die Bestätigung der anderen für den eigenen Selbstwert brauchen. „Das wird oft im ländlichen Bereich sehr deutlich, da ist es wichtig, was die Nachbarn sagen.“


Durchschnittsordnung.
Auch bei Chaoten lässt sich nicht immer auf ein Genie oder einen sozial besonders verträglichen Menschen schließen. „Da gibt es unterschiedliche Ausprägungen, etwa jene, die Widerstand leisten wollen und die Unordnung als Zeichen von Individualität sehen. Oder jene, die schusselig und ständig auf der Suche sind.“ Ein mental gesunder Mensch habe eine „normale Durchschnittsordnung“ – wie auch immer diese definiert wird. Das hängt nämlich stark davon ab, wie man aufgewachsen ist und sozialisiert wurde. „Wir beginnen sehr früh mit der Verinnerlichung von Selbstbildern und -konzepten. Wenn etwa der Vater zu seinem Kind sagt ,Du bist unordentlich‘, verinnerlicht es das schnell. Da darf man sich nicht wundern, wenn das Kind dann als Teenager trotzig sagt: Ich bin halt unordentlich“, sagt Ölsböck.

Für die Rehabilitation des Putzens kämpft auch die Schweizer Ethnologin Katharina Zaugg. 1988 gründete sie ihr ganz spezielles Putzunternehmen. In Kursen, Seminaren und ihren Büchern über das Wellnessputzen will sie die Menschen wieder für das Saubermachen begeistern. Was ihr in den vergangenen 25 Jahren besonders aufgefallen ist, ist der zunehmende Verlust an Kenntnissen darüber, wie man Dinge pflegt. Sie führt das darauf zurück, dass Frauen die Haushaltstätigkeit immer mehr abgegeben, Männer nur teilweise damit begonnen haben und professionelle Reinigungskräfte keinen Wert darauf legen. „Was ich an zerkratzten Materialien zu Gesicht bekomme ist unglaublich.“ Viele Menschen würden glauben, Putzen müsse man nicht lernen.

Heute organisiert Zaugg mit ihrer Putzschule regelrechte Putzfeste. Sie habe erkannt, dass Putzen, wie früher in Bauernfamilien, eine Tätigkeit ist, die manchmal nicht allein bewältigbar ist und gemeinsam mehr Spaß mache. Zu ihren Kunden zählen etwa ältere Menschen, die nicht mehr allein putzen können, oder Familien mit Kindern im Vorschulalter, die spielerisch an das Putzen herangeführt werden sollen. „Wenn die Siebenjährige wütend ist, weil sie nur ein Fenster putzen durfte, ihr Bruder aber zwei, dann habe ich etwas richtig gemacht.“ Immer größer wird die Gruppe jener Klienten, die frisch pensioniert plötzlich erkennen, dass sie gar nicht mehr wissen, wie man putzt. Das hat im Berufsleben entweder immer eine Putzhilfe gemacht oder der Ehepartner. Und ja, das ist immer öfter auch der Mann.

Katharina Zaugg beobachtet, dass die meisten Menschen sich beim Putzen helfen lassen und den Rest selbst erledigen. Dagegen sei auch nichts einzuwenden, „solange man die Putzhilfe fair behandelt, gut bezahlt und ihr gutes Werkzeug bereitstellt“. Wobei sie zugibt: „Es sind vor allem die Singlemänner, die sich beputzen lassen.“ In den meisten Haushalten werde der Frühjahrsputz aber auf zwölf Monate aufgeteilt.


Reinigendes Ritual.
Dabei hat der Großputz im Frühjahr nicht nur Tradition, die sich aus praktischen – Ende der Heizperiode – und religiösen Gründen – Ostern – speist. „Es ist auch ein Ritual, das uns guttut“, sagt Psychologin Ölsböck. Außerdem sei Putzen – ähnlich wie Sport – aufgrund seiner Aktivität gut für die Psyche. Man bewegt sich und hat nachher ein kleines, aber sichtbares Ergebnis. Putzen wirke sogar gegen frühe Phasen der Depression. „Der größte Feind der Depression ist Aktivität. Man muss aber aufpassen, dass man sich mit einem Hausputz nicht überfordert.“ Alle drei Expertinnen plädieren für einen entspannten Umgang mit dem Thema Putzen. Immerhin biete die intensive Beschäftigung mit dem, was wir haben, auch die Möglichkeit zur Reflexion. Wer aufräumt und die Dinge, die er besitzt, angreift und pflegt, denkt automatisch darüber nach, was er hat und braucht.

Aufräumcoach.
Eine, die anderen beim Ausmisten hilft, ist Rita Schilke, die in Berlin als Aufräumcoach arbeitet: „Die Menschen haben zu viel, quer durch alle Gesellschaftsschichten.“ 80 Prozent der Dinge, die sie mit ihren Kunden entsorgt, sind Papierkram. Der Rest sind gekaufte, aber nie verwendete Produkte. „Die Menschen haben viel zu viel, auch weil alles so preiswert ist.“ Wenn sich Menschen nicht entscheiden können, sich von etwas zu trennen, schlägt sie Folgendes vor: „Das kommt in eine Kiste, wo groß das Datum draufsteht. Wenn man sie ein Vierteljahr später nicht angegriffen hat, weg damit.“ Schilke definiert sich selbst als „geborene Ausmisterin“.

Für die Schweizerin Katharina Zaugg hängt Aufräumen und Putzen miteinander zusammen: Zuerst wird ausgemistet, danach kann gereinigt werden. Putzen ist für sie wie eine Häutung. Sie empfiehlt daher, einmal im Jahr alles, was man in der Wohnung hat, von allen Seiten zu pflegen. Ihr wichtiger Nachsatz lautet aber: Wer kein Verlangen danach hat, sollte es lassen.

Literatur Über das Putzen

Wenige Bücher, und so gut wie keine wissenschaftlichen, sind zum Thema Putzen oder Putzfrauen erschienen. Hier eine kleine Auswahl – von der philosophischen Anleitung bis zum kritischen Sachbuch:

Nicole C. Karafyllis: „Putzen als Passion. Ein philosophischer Universalreiniger für klare Verhältnisse“ (Kulturverlag Kadmos, Berlin, 2013)

Katharina Zaugg: „Wellness beim Putzen“ (Hep Verlag, 2004: Erhältlich über den Buchversand Syntropia und via E-Mail: info@syntropia.de)

Sibylle Hamann: „Saubere Dienste. Ein Report“ (Residenz, 2012)

Justyna Polanska: „Unter deutschen Betten. Eine polnische Putzfrau packt aus“ (Knaur, 2011)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2014)

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