Viktor Orbán tritt am Sonntag zur Wiederwahl an. Das Wunder von Felcsút nützt auch seinen Mitstreitern.
Hell blinken die Kupferdächer auf den Türmen des neuen Fußballstadions. Das wuchtige Dorfwunder vor seiner Haustüre kann Mihaily Gudics noch immer nicht ganz fassen. Alles habe sich in Felscút in den vergangenen vier Jahren geändert, berichtet der Rentner mit einem Lächeln. Erst die Fußballakademie, dann das neue Gymnasium, das Kulturhaus, die Wiedereröffnung des stillgelegten Bahnhofs – selbst die Lizenz für einen Flughafen hat Felcsút erhalten. In dem 1700-Seelen-Dorf 50 Kilometer westlich von Budapest werden bereits die Parkplätze knapp.
Möglich machte es der berühmteste Sohn von Felcsút: Seit Viktor Orbán vor vier Jahren das Amt als Ungarns Regierungschef übernahm, wandelte sich sein verschlafenes Heimatdorf zu einer der wohlhabendsten Gemeinden und zum neuen Fußball-Mekka des Donau-Staats. Er habe schon Orbáns Vater und Großvater gekannt, erzählt der frühere Bergarbeiter Mihaily verschmitzt: „Wir alle lieben Viktor und sind stolz auf ihn. Er ist ein guter Kerl: Immer wenn er uns sieht, winkt er.“
Wie eine schwarze Riesenwelle wölbt sich das Dach des Stadions über den roten Dachziegeln der umliegenden Häuser. 3500 Plätze – zweimal die Dorfbevölkerung – fasst die Arena, die zu Ostern eröffnet werden soll. 13 Mio. Euro verschlang der Bau: Fast drei Viertel wurden mit staatlichen Zuschüssen, der Rest von Orbáns Fußballstiftung getragen. Deren Gönner sind Staatsunternehmen und Wirtschaftskapitäne, die Orbáns Fidesz-Partei nahestehen. Die Finanzspritzen der Sponsoren ermöglichten auch den wundersamen Aufstieg des FC Felcsút, für den Orbán einst selbst die Fußballschuhe geschnürt hatte: Seit dieser Saison kickt der Dorfverein in Ungarns höchster Fußballliga.
Vom Monteur zum Millionär. Ein Mann krempelt Ungarn und sein Heimatdorf um – nicht zuletzt zum Nutzen seiner Mitstreiter und seines Clans. Auch Orbáns Partei- und Jugendfreund Lörinc Meszaros hat als Felcsúts Bürgermeister den Sprung in die Riege der hundert reichsten Ungarn geschafft. Nicht nur Großaufträge wie den Stadionbau pflegt der Gemeinderat dem Bauunternehmen des geschäftstüchtigen Meszaros zuzuschanzen, auch als Rinderzüchter ist der einstige Gasmonteur binnen weniger Jahre zum Multimillionär mutiert. Mehr als 1000ha staatliches Acker- und Weideland teilte die vom Fidesz kontrollierte Nationale Entwicklungsagentur dem umtriebigen Bürgermeister zu: Der Orbán-Freund ist mittlerweile zum größten Landpächter der Region aufgestiegen.
Von „neuem Feudalismus“ der Fidesz-Barone spricht in Budapest ein drahtiger Mittfünfziger, der zur Großkundgebung des linken Oppositionsbündnisses „Regierungswechsel“ in die Andrássy Utca gezogen ist. Ungarn sei auf dem Weg zurück zum Einparteiensystem, klagt der Mann. Angst mache ihm, dass sich sein Land unter Orbán immer weiter von der EU entferne.
Harsch, aber angesichts der Wahlprognosen eher hilflos kritisieren die Redner auf dem Podium den autoritären Führungsstil von „Putins Pinscher“, die Aushebelung der demokratischen Gewaltenteilung, die Knebelung der Pressefreiheit und die von „Bolschewik“ Orbán angekündigte Neuorientierung des Landes nach Osten. Oppositionspolitikerin Timea Szabo gibt trotzig die Parole aus: „Orbán muss gestoppt werden, bevor Ungarn endgültig zur russischen Kolonie verkommt.“
Fideln kratzen, der Bass brummt: Hoch wirbeln vor dem Rathaus von Baja die Trachtenröcke der Tänzerinnen. Mit geschulterter Landesflagge fiebert Pensionist Gyula Fülöp in der südungarischen Provinzstadt Orbáns Auftritt entgegen. Der 75-Jährige schwärmt: „Orbán hat das Land stabilisiert, Ordnung geschaffen und die Korruption verringert: Es wird viel weniger gestohlen als unter den Sozialisten.“
Mit offenem Hemdkragen und erhobenen Händen schreitet der umjubelte Landesvater zum Mikrofon. Nur eine „starke Regierung“ sei in der Lage, ein „siegreiches Land“ zu schaffen, verkündet der 50-jährige Hobbykicker. Seine Regierung habe die Arbeitslosenzahl, die Schulden- und Abgabenlast gesenkt. Doch noch stünden Ungarn Kämpfe gegen multinationale Kartelle, Monopole und die Sozialisten bevor. Auch die EU sei „alles andere als ein Rosenbett“. Auf einer Bank am Donauufer von Baja verfolgt die Pädagogin Margit eher distanziert das Treiben. Für ihren Geschmack werde der „nationale Ton“ im Land zu übermächtig.
Wie Ferenc Puskás. Eine Dampfwalze rollt auf dem frisch angelegten Parkplatz des überdimensionierten Dorfstadions in das neue Fußballzeitalter in Felcsút. In seinem runderneuerten Heimatdorf kann sich der Premier des fast uneingeschränkten Wählerzuspruchs sicher sein. Nicht nur ihr Geschäft habe vom Stadionbau profitiert, berichtet die Wirtin im Bistro-Café. „Das ganze Dorf wird neu belebt.“ Aus der Fußballakademie werde einmal ein Kicker wie der legendäre Ferenc Puskás kommen, glaubt Mihaily Gudics. „Mit unserem Stadion kann sich nur die Arena in München messen.“
In das Loblied auf den Schutzherrn von Felcsút stimmen nicht alle ein. Mit einem Ferkel in der Hand erzählt Bäuerin Apolonia Kovacs im 10 km entfernten Weiler Göböljaras, wie sie und ihr Lebenspartner wegen mächtiger Fidesz-Junker ihre Herde verloren haben. Bis 2011 ließ das Paar seine Tiere gegen eine kleine Pacht auf nahen Staatsweiden grasen. Doch eines Tages sei Bürgermeister Meszaros mit seinem Mercedes vorgefahren und habe ihren Mann zu einer Rundfahrt eingeladen: „Er zeigte auf jede Weide und sagte, sie sei nun seine: ,Du wirst bald kein Land mehr für deine Schafe haben.‘“ Schon Monate vor der Landzuteilung habe der Orbán-Freund die Weiden abgezäunt und ohne die nötige Zustimmung der Nachbarn Silos und Ställe errichten lassen, berichtet Apolonia verbittert.
Wegen Platzmangels sind dem Paar von einst 360 Schafen mittlerweile nur noch 18 geblieben. Seit drei Jahren prozessieren sie gegen den neureichen Fidesz-Politiker, der ihnen auch noch die Miniparzelle für die verbliebenen Tiere streitig macht: „Er ist sauer, weil sich mein Mann wehrt. Darum will er uns nun auch noch das letzte Stück Land wegnehmen lassen.“
WAHL
Umfragen. Laut jüngsten Meinungsumfragen kann die regierende Fidesz-Partei Viktor Orbáns 47 bis 51 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Das oppositionelle Mitte-links-Bündnis liegt demnach bei 23 bis 28 Prozent, gefolgt von der rechtsextremen Jobbik-Partei (18 bis 21 Prozent).
Wahlkampffinale. „Ungarn ist an der Schwelle großer Möglichkeiten“, posaunte Orbán beim Wahlkampffinale in Szeged. Ex-Premier Ferenc Gyurcsáni schlug zurück: „Wir werden unser Land nicht kampflos jenen überlassen, die es in vier Jahren ruiniert haben.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2014)