Ungarn: Harte Mission für Orbán trotz leichtem Wahlsieg

HUNGARY PARLIAMENTARY ELECTIONS
HUNGARY PARLIAMENTARY ELECTIONSAPA/EPA/Szilard Koszticsak
  • Drucken

Nach dem Wahlsieg erwartet die Fidesz-Regierung eine Liste fast unlösbarer wirtschaftlicher und sozialer Herausforderungen. Die rechtsradikale Jobbik legte zu, blieb aber erneut hinter der Linksallianz zurück.

Budapest. Viktor Orbán wird trotz seines klaren Siegs bei der Parlamentswahl am Sonntag in den nächsten vier Jahren die Ärmel hochkrempeln müssen. Er siegte mit rund 44,5 Prozent vor der Linksallianz mit 25 Prozent und der rechtsradikalen Jobbik mit rund 20 Prozent. Ob Orbán die Zwei-Drittel-Mehrheit behält, ist noch unklar. Wenn sich in den Wahlkreisen nichts mehr dramatisch ändert, sollte sie sich aber ausgehen.

Obwohl dem Premier und seinem nationalkonservativen Fidesz gelungen ist, das während der stürmischen Finanz- und Wirtschaftskrise in Seenot geratene ungarische Schiff wieder einigermaßen auf Kurs zu bringen, hat Ungarn in der bevorstehenden Legislaturperiode noch viele Klippen zu umschiffen.

Radikalisierung droht

Schafft er es nicht, der Bevölkerung Wohlstand und Wachstum zurückzubringen, droht dem Land eine weitere politische Radikalisierung. Obwohl es Jobbik nicht gelungen ist, Platz Zwei zu erobern, legt die Partei gegenüber 2010 (16,6 %) zu.

Da ist vor allem die grassierende Armut. Aus den Erhebungen des Statistischen Amtes der EU, Eurostat, geht hervor, dass die Zahl der von Armut betroffenen Bevölkerung in den letzten vier Jahren deutlich gestiegen ist. Von den knapp zehn Millionen Magyaren leben mittlerweile etwa 3,2 Millionen am Existenzminimum. Laut dem Ungarischen Zentralamt für Statistik (KSH) sind über ein Viertel (28 %) der Betroffenen Kinder.

Lösung für Probleme der Roma

Die kinderreichen Familien, die immer öfter in Not geraten, sind in erster Linie jene der Roma. Womit das nächste ungelöste Problem wartet: Die rund 800.000 Roma gelten nach wie vor als der Bodensatz der ungarischen Gesellschaft. Sie sind nicht in das soziale, geschweige denn in das wirtschaftliche Leben des Landes eingebunden. Sie darben in einer hermetisch abgeschotteten Parallelgesellschaft, in der es an fast allem fehlt, um ein würdevolles Leben zu führen: Heizung, Strom, Kanalisation, qualitätsvoller Nahrung.

Gesundheitsversorgung, Bildung und nicht zuletzt Arbeit.
Die ärmste Gemeinde des Landes, die ostungarische 2000-Seelen-Ortschaft Tiszab, ist ein Symbol für die unhaltbare Situation. In diesem rückständigen und völlig verwahrlosten Dorf besteht die Einwohnerschaft zu 100 Prozent aus Roma, wobei die Arbeitslosigkeit praktisch genauso hoch liegt. Hier ist „Hoffnung" ein Fremdwort, seit Jahren werden die Lebensbedingungen schlechter statt besser. Obwohl die Regierung Orbán sich im Zuge ihrer EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2010 zum Ziel gesetzt hatte, das Roma-Problem anzupacken, haben ihre Maßnahmen bisher nicht gefruchtet.

Orbán wird in der anstehenden Legislaturperiode außerdem darangehen müssen, die neue Abwanderungswelle einzudämmen. In den vergangenen vier Jahren suchten hunderttausende Ungarn das Weite. Sie wanderten insbesondere nach Großbritannien, Deutschland, Österreich und in den skandinavischen Raum aus. Der Grund: Viele finden auf dem ungarischen Arbeitsmarkt nicht die Bedingungen vor, um sich und ihre Familien über Wasser zu halten. Unter den Auswanderern sind viele Facharbeiter und gut ausgebildetes Personal, das für eine Gesundung der ungarischen Wirtschaft allerdings eine wichtige Voraussetzung wäre.

Investoren wandern ab

Aber nicht nur Fachkräfte, sondern auch Investoren wandern ab. Orbán wird deshalb seine Politik gegenüber ausländischen Unternehmen überdenken müssen. In den vergangenen Jahren klagten in Ungarn tätige Firmen - darunter auch viele österreichische -, dass die Rechtssicherheit nicht gewährleistet sei und die Regierungsmehrheit im Parlament Gesetze ohne vorherige Absprache mit den Betroffenen verabschiede. Nicht selten gehe die willkürliche Gesetzgebung zulasten ausländischer Betriebe. Die vielfach kritisierten Sondersteuern waren dabei nur Beispiele unter vielen.

Viktor Orbán hat kurz vor der Wahl ein ambitioniertes Zehnpunkte-Programm vorgelegt. Es soll Ungarn auf Vordermann bringen. So will er unter anderem die Staatsschulden (rund 80 Prozent des BIPs) verstärkt aus „heimischen Quellen" abbauen, das Land reindustrialisieren, veränderte Eigentumsverhältnisse auf dem von ausländischen Instituten kontrollierten Bankensektor schaffen, die Steuerlast auf Arbeit durch Verlagerung auf Verbrauchsteuern senken, den Bevölkerungsrückgang stoppen, eine Verbilligung der Energiepreise herbeiführen sowie Vollbeschäftigung im Land erreichen.

Ehrgeizig ist das Programm zweifellos. Doch ob es ihm gelingt, den Spagat zwischen einer fortgesetzt nationalistischen Politik und der für die Wirtschaft notwendigen Öffnung zu schaffen, bezweifeln nicht nur seine schärfsten Kritiker. Ungarn hat sich in den vergangenen Jahren durch die zunehmende Abschottung seiner Wirtschaft selbst ökonomischen Spielraum genommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Hungary's PM Orban addresses to supporters after partial results of parliamentary elections are announced in Budapest
Außenpolitik

System Orbán: Wie aus 44,5 Prozent zwei Drittel werden

Ungarns Premier darf wieder auf eine Verfassungsmehrheit im Parlament hoffen. Raffinierte Reformen des Wahlsystems machen es möglich.
Der wiedergewählte ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán.
Außenpolitik

Ungarn-Wahl: FPÖ gratuliert "charismatischem" Orbán

Die ÖVP hofft nach dem Wahlkampf auf "Lösungen für diverse Auffassungsunterschiede". Die Grünen orten ein unfaires Wahlsystem.
File photo of Hungarian Prime Minister Viktor Orban
Außenpolitik

Ungarn: Wie Premier Orbán sein Heimatdorf umkrempelt

Viktor Orbán tritt am Sonntag zur Wiederwahl an. Das Wunder von Felcsút nützt auch seinen Mitstreitern.
An election poster of Hungarian Prime Minister Orban is seen on a residential building in Budapest
Leitartikel

Kritik aus dem Ausland macht Viktor Orbán nur stärker

Ungarns Premier lebt von der Polarisierung, der Konfrontation mit Feinden. Eine populistische Machttechnik, die er mit Putin und Erdoğan teilt. Zum machiavellistischen Kalkül gesellt sich die Unfähigkeit seiner Gegner.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.