Die Deflation ist kein Gespenst

EZB-Neubau in Frankfurt am Main
EZB-Neubau in Frankfurt am Main(c) APA/dpa/Boris Roessler (Boris Roessler)
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Fallende Preise, alle Mann in Deckung? Die Deflationsangst ist übertrieben, der Markt versucht bloß die Exzesse der vergangenen Jahrzehnte zu bereinigen – man lässt ihn aber nicht.

Wien. Die Zahlen sollten eine Mahnung sein: Nur knapp die Hälfte aller Österreicher vertrauen einer Umfrage zufolge dem Euro, 17 Prozent der Befragten sehen im Euro einen Teuro, der die Preise in die Höhe getrieben hat. Und trotzdem steht die Europäische Zentralbank, die EZB, plötzlich unter wachsendem Druck, etwas gegen das Deflationsgespenst zu tun.

So hätten es vor allem die Amerikaner gern, die im Gegensatz zur EZB schon seit fünf Jahren den Markt in bisher nicht da gewesener Weise mit Geld schwemmen. Und auf den ersten Blick funktioniert das auch. Die USA sind den Daten nach tatsächlich besser und rascher aus der Krise gekommen als die Europäer. Ein Deflationsproblem gibt es beim Dollar nicht. Noch nicht einmal ein herbeigeschriebenes. Im Gegenteil: In Amerika warnen erste Stimmen schon wieder vor der Entstehung neuer Blasen – also vor dem bösen Ende einer Inflation durch zu viel billiges Kreditgeld.

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Jahrzehnte der Inflation

Da ist die Krux in dieser Debatte zu finden: Inflation und Deflation finden in verschiedenen Formen statt, kämpfen gegeneinander und treten auch gleichzeitig auf. Die Wiener Incrementum-Fondsmanager Ronald Stöferle und Mark Valek haben die Lage analysiert und kommen zu einem differenzierten Bild der Lage, das in etwa so aussieht:

Nach Jahrzehnten der „monetären Inflation“ – ausgelöst durch das 1971 endgültig vom Gold gelöste Geldsystem – sehen wir derzeit eine Phase fallender Teuerungsraten bei gleichzeitiger Asset-Inflation, also steigenden Preisen für Aktien, Immobilien, Rohstoffe und Kunst. Ziemlich verwirrend. Die Grafik der Experten bringt mehr Klarheit (siehe unten) – und räumt vor allem mit einem auf: mit dem Mythos von der guten Inflation.

Wer sich die Daten für die Weltwährung Dollar (und nur die gibt es in verlässlicher Form bis zurück ins Jahr 1775) ansieht, stellt fest: Deflation ist kein Gespenst, sondern war in der Phase des Goldstandards gang und gäbe. Der Unterschied zu heute: Damals fielen die Preise nicht, weil die Geldmenge schrumpfte, sondern weil die Produktivität stieg. Ähnlich wie heute bei Computern.

Seit der Gründung der Federal Reserve 1913 und besonders nach der Loslösung des Dollars vom Gold 1971 gab es aber kaum noch Deflation. Dafür hat der Dollar im historischen Vergleich gewaltig an Kaufkraft verloren – durch Inflation. Wovor heute gewarnt wird, sei nichts anderes als die natürliche Reaktion der Märkte auf diese extreme Ausweitung der Geldmenge durch Bankkredite in den Jahrzehnten seit 1971, so Stöferle: „Der natürliche Anpassungsprozess der gegenwärtigen Krise wäre hochgradig deflationär.“ Aber diese Kreditdeflation werde durch die „sehr expansiv ausgerichtete Notenbankenpolitik kompensiert“.

Die aktuelle Disinflation bedeutet fallende Inflationsraten und wachsende Angst vor Deflation. Für die Experten ist aber klar: „Wir sehen nur eine Phase“, sagt Valek: „Die unbeabsichtigten Folgen dieser monetären Intervention werden zu steigender Volatilität, weiteren deflationären oder disinflationären Phasen und schlussendlich zu inflationären Phasen führen – möglicherweise hochgradig inflationär.“

Keine deflationäre Bereinigung

„Wenn man die Reden vieler Notenbanker liest, ist ganz eindeutig, dass sie die Inflation als das geringere Übel sehen.“ Dass die Notenbanken eine langfristige deflationäre Bereinigung zulassen würden, sei ausgeschlossen. Tatsächlich überlegen die Notenbanken immer neue inflationäre Maßnahmen, die Geld ersetzen sollen, das durch die Banken jetzt abgebaut wird. Die EZB geht aber viel vorsichtiger vor als die Federal Reserve, die sich auf bloßes Gelddrucken verlässt.

Aber nur ein kleiner Teil der Geldmenge wird durch die Notenbanken geschaffen. Erst wenn Zentralbankgeld durch die Banken gehebelt und verliehen wird, wächst die Geldmenge. Banken in der Eurozone dürfen für jeden Zentralbank-Euro 99 neue Euro verteilen, weil sie nur ein Prozent Reserven halten müssen.

Heißt: Wenn die Kreditvergabe wieder anzieht, verschwindet das Deflationsgespenst genauso schnell, wie es gekommen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2014)

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