Energie: "Die Industrie wird immer klagen"

Energie, Ökostrom, Industrie
Energie, Ökostrom, Industrie(c) REUTERS (INA FASSBENDER)
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Nicht Ideologie, sondern Kostenvorteile sollten Ökostrom zum Durchbruch verhelfen, sagt der frühere UN-Klimaforscher Rolf Wüstenhagen. Der Klimaschutz sei da nur ein Nebeneffekt.

Die Presse: Am Sonntag stellt die UNO ihren Weltklimabericht vor. Es wird ein neuer Warnruf an die Regierungen der Welt werden. Die EU hat sich jüngst gegen schärfere Klimaziele für 2030 ausgesprochen. War das falsch?

Rolf Wüstenhagen: Das liegt daran, dass die Politiker in Europa immer noch der veralteten Sichtweise anhängen, dass mehr Wirtschaftswachstum mit mehr CO2-Ausstoß verknüpft ist. Das ist nicht mehr so. Im Gegenteil: Der Klimawandel gefährdet unseren Wohlstand. Erneuerbare hingegen haben viel mehr Nutzen als Kosten, über die immer geredet wird. Es greift zu kurz, wenn man sich immer nur ansieht, was Investitionen in neue Formen der Energieerzeugung kosten und nie darauf achtet, was es kostet, wenn man nichts tut.

Europas Firmen fragen dennoch, warum sie es bezahlen sollen, dass die EU erfolglos versucht, das Klima allein zu retten, während der Rest der Welt zusieht.

Es ist ja nicht so, dass Europa ganz allein wäre. Auch die USA haben bei Ökostrom und Energieeffizienz einiges gemacht. Steuererleichterungen für Windenergie haben etwa Texas zu einem der führenden Staaten bei Windenergie gemacht. Auch Asien denkt um. Kein anderes Land installiert derzeit mehr Windkraftanlagen als China.

An einem globalen Klimaabkommen zeigt Peking aber kein Interesse. Oder glauben Sie an die große Überraschung bei der Weltklimakonferenz in Paris?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber meine Vision ist ohnehin, dass aus anderen Gründen erkannt wird, wie sinnvoll Investitionen in erneuerbare Energien sind. Sie verringern die Abhängigkeit von Importen, sind nicht teurer, wenn man alle Kosten einberechnet, und auf lange Sicht ohne Alternative. Klimaschutz ist da nur Nebeneffekt.

Aber wenn es sich ohnedies auszahlt, warum sind dann Milliarden an Subventionen nötig?

Natürlich wäre es gut, die Kosten der Fossilen über den CO2-Markt einzupreisen. Das hat nur sehr begrenzt funktioniert. Die Förderung der Erneuerbaren ist eben die zweitbeste Lösung. Die Wind- und Solarbranche wäre heute nicht da, wenn niemand tief in die Tasche gegriffen hätte, um Anschubfinanzierung zu geben. Das hat der deutsche Stromkunde für den Rest der Welt bezahlt. Wenn alle Entscheidungen rein rational getroffen würden, könnte man die Förderungen sofort stoppen. Aber neue Technologien setzen sich nicht automatisch durch, weil es eine Tendenz gibt, beim Gewohnten zu verharren.

Wann werden die Erneuerbaren keine Förderungen mehr brauchen?

Im Strombereich werden wir in fünf bis zehn Jahren ohne Subventionen auskommen.

Klimaforscher Hans von Storch sagt, dass der Klimawandel ohnedies nicht mehr aufzuhalten sei. Die Menschheit sollte sich besser darauf konzentrieren, wie sie sich daran anpasst, dass die Welt ein wenig wärmer wird.

Ich stimme insofern zu, dass es wirklich 5 vor 12 ist. In bestimmten Bereichen ist es tatsächlich wichtig, sich um die Anpassung an den Klimawandel zu kümmern. Aber wenn man nur das macht, wird es unbezahlbar. So hohe Deiche kann Bangladesch gar nicht bauen, wie man brauchte, sollte der Klima-wandel ungebremst voranschreiten.

Was wieder die Frage aufwirft, ob die EU den Königsweg gefunden hat. Auch die USA haben ihre CO2-Emissionen stark reduziert. Statt teurer Förderungen hat hier aber der Schiefergasboom dafür gesorgt. Ist es ein Fehler, dass Europa bei dem Thema bremst?

Die USA haben einen enormen Hype erlebt, der kurzfristig zu sehr niedrigen Gaspreisen geführt hat. Allerdings waren die Preise so niedrig, dass sich das Fördern nicht mehr gelohnt hat. Zwischen 2011 und 2013 sind die Investitionen in Schiefergas um 90 Prozent zurückgegangen. Der erste Goldrausch ist vorbei. In Europa wäre das Fördern von Schiefergas viel teurer als in den USA.

Sie sehen also keine Chance, die Nachteile für Europas Industrie im Wettbewerb zu lindern. Wie erklären Sie den Betrieben dann, dass sie bleiben sollen?

Erstens muss man nüchtern sagen: Die Industrie wird immer klagen. Die Frage ist, wie sie reagiert. Als man bei Ikea gemerkt hat, dass sie im Jahr 300 Mio. Euro Energierechnung haben, entschied die Firmenleitung, alle Gebäude mit Erneuerbaren zu versorgen. Zur Hälfte hat Ikea das Ziel schon erreicht. Es ist für die Industrie natürlich rational, auf ein anderes Land zu schauen, das niedrigere Kosten hat. Man muss sich jedoch immer ansehen, wie glaubhaft die Abwanderungsdrohungen sind.

Eine Reaktion, die man sieht, sind ausbleibende Investitionen in Österreich und verstärkte Investitionen in andere Regionen.

Ja, man sieht, dass es zunehmend weniger Stahlwerke gibt. Aber die Frage ist: Haben Stahlwerke hier überhaupt eine Zukunft? Wird die energieintensive Produktion in Zukunft der große Wettbewerbsvorteil Europas sein? Oder ist es nicht sinnvoller, in eine Richtung zu gehen, die das zur Geltung bringt, was wir haben: Know-how und Brain Power? Das ist unser großer Standortvorteil.

ZUR PERSON

Rolf Wüstenhagen (44) ist

Professor für Management erneuerbarer Energien und Direktor am Institut für Wirtschaft und Ökologie an der Schweizer Universität St. Gallen.


Von 2008 bis 2011 vertrat der gebürtige Deutsche die Schweiz im

Leitautorenteam des Klimarats der Vereinten Nationen (IPCC) zur Rolle erneuerbarer Energie beim Klimaschutz. Seit Jänner 2014 leitet der Wirtschaftsingenieur das Center for Energy Innovation, Governance and Investment an der Universität in St. Gallen. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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