„Der materialistische Lebensstil ist total verkehrt“, sagen die Mighty Oaks. Doch mit der politischen Brisanz früherer Folkmusiker will dieses multinationale Trio nichts zu tun haben.
„Berlin is a Weltstadt“, sagt Ian Hooper, der amerikanische Sänger der Mighty Oaks. Lauscht man ihrem internationalen Folksound, käme man nicht drauf, dass es sich bei ihnen um eine Berliner Band handelt. Alle Mitglieder stammen aus dem befreundeten Ausland. Gefunden hat man sich 2010 bei einem Hamburger Kleinfestival namens Melodika. Hooper lebte damals schon in Berlin. Der italienische Gitarrist und Mandolinenstreichler Claudio Donzelli und der britische Bassist Craig Saunders zogen bald darauf in die Hauptstadt der künstlerischen Bohème. Zwei Musiker leben in Prenzlauer Berg, einer in Kreuzberg. „Wir sind sehr glücklich da“, sagen sie unisono, „es war die richtige Entscheidung. Die Infrastruktur ist perfekt und der Lebensstandard viel höher als in den USA oder in Großbritannien.“
Drei, die Anfang zwanzig sind, preisen die Gemütlichkeit von Berlin: Das hätte es früher nicht gegeben. Nicht in der nach dem Zweiten Weltkrieg geteilten Stadt. Berlin, das war ein Synonym für nervöse Lebensumstände. Der nur zart psychedelisch gewürzte Folk der Mighty Oaks wirbt von dieser Tradition unbeeindruckt für das Ländlich-Beschauliche. Schon das Booklet, das die Band an idyllischen Seen und auf sanften Berghügeln zeigt, lässt keinen Zweifel über die gut entwickelte Harmoniesucht dieser jungen Leute.
Auf Woody Guthries Gitarre stand noch „This machine kills fascists“, das Frühwerk von Bob Dylan beschäftigt immer noch jede Menge an professoralen Hermeneutikern, auch der Psychedelic Folk der späten Sechziger hält noch viele Rätsel für nachgeborene Hörer bereit. Was aber werden die Ausdeutungsfachleute in 30 Jahren von „Howl“, dem Debüt der Mighty Oaks, freilegen können? Das Lob der freien Natur? Die Idee der „wetterfesten Freundschaft“?
„We found in life what's true“, jubiliert Hooper mit zart aufgerauter Stimme in „Brother“. Welche Wahrheit? „Nicht erst seit wir in Berlin leben, wissen wir, das Karl Marx Eigentum als Irrtum ansah“, erklärt Hooper im Brustton der Überzeugung: „Der materialistische Lebensstil ist total verkehrt. Worum es im Leben geht, das sind Freundschaften.“
Die zwölf aufwendig instrumentierten, aber besänftigenden Melodien von „Howl“ reflektieren in ihrer windstillen Schönheit ein neues Biedermeier in der Popmusik. Hooper will nicht wie einst Tim Buckley oder Dino Valente die Realität mithilfe von psychedelischen Drogen aufbrechen, und er will auch nicht explizit politisch werden. „Sozialkritik in Songs kann, aber muss nicht sein. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren war es leicht zu sehen, wo der Feind sitzt. Wenn man aber im prosperierenden Deutschland lebt, dann wird es leicht zur Heuchelei, wenn du über die Härten des Lebens singst.“
Der Vergleich mit der britischen Folkband Mumford & Sons liegt nahe. Auch deren liebevoll verschnörkelte Musik weicht jeder realen Tristesse weiträumig aus. Die Millionenverkäufe von deren zweitem Album „Babel“ sind nur mit einer weit gestreuten Sehnsucht nach Harmonie zu erklären. Das Idyll der Musik soll die Wunden schließen, die der gnadenlose Wettbewerb reißt.
Den Vergleich mit dem Erfolgsmodell Mumford & Sons mögen die Mighty Oaks trotzdem nicht. „Wir verwenden doch auch Effekte wie Distortion, Reverb, Delay in unserer Musik. Das rührt aus ganz anderen Ecken“, sagt Hooper. Er beharrt auf der Wichtigkeit seiner Themen: „Liebe, Freundschaft und Wanderlust – das sind universelle Qualitäten des Lebens.“ Wie definiert die Band Erfolg? Hooper hat auch hier eine Referenzgröße: ihren Produzenten. „Er sagt, für ihn ist Erfolg, ins Lebensmittelgeschäft zu gehen und nicht auf die Preise schauen zu müssen. Das sehe ich auch so.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2014)