Operetten: „Meine Lippen, sie küssen so heiß“

Mörbisch. Dagmar Schellenberger und Gerhard Ernst in „Anatevka“ auf der Seebühne.
Mörbisch. Dagmar Schellenberger und Gerhard Ernst in „Anatevka“ auf der Seebühne.(c) Seefestspiele Mörbisch/Jerzy Bin
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In Mörbisch, Bad Ischl und Baden regiert im Sommer wieder die leichte Operetten-Muse.

Baden. Lehárs „Giuditta“, eine Art Carmen, Operette ohne Happy End (Bibiana Nwobilo).
Baden. Lehárs „Giuditta“, eine Art Carmen, Operette ohne Happy End (Bibiana Nwobilo).(c) Badener Operettensommer/Christian Husar
Bad Ischl. Reinhard Allessandri als Graf von Luxemburg, ein verarmter Lebemann.
Bad Ischl. Reinhard Allessandri als Graf von Luxemburg, ein verarmter Lebemann.(c) Enok Holsegaard

Es gibt ein Muster, das der Operette zugrunde liegt: das Buffopaar, das den Leuten vor Augen führt, wie es im wirklichen Leben zugeht; und das andere Paar, das uns in die Traumwelt entführen möchte. Jene Traumwelt, die uns etwa auch die Oper in ihren besten, erfolgreichsten Momenten suggeriert. „Ich sag immer, die Leute wollen auf der Bühne sehen, was sie selbst gern erleben würden, aber sich nicht ganz trauen. Wenn man jemanden fragt, der von ‚La Bohème‘ ergriffen ist, ob er auch Rudolf oder Mimi sein möchte, dann wird jeder sagen: ‚Ja, einmal so geliebt werden, aber wenn das so ausgeht . . .‘“ Weise Worte sind das, aus dem berufenen Mund von Michael Heltau. Ein zeitloses, ungebrochen anziehendes Theaterglück – das lehren dafür die Operettenbühnen, die zumal im Sommer eine große Zahl von Menschen begeistern.

Auch Traumpaare scheitern. Dort stimmt gewöhnlich das diffizile Verhältnis aus hinreißendem Gesang, feurigen Tanzeinlagen und pointierter Darstellung. Das vorausgesetzt, kann es bei Franz Lehár freilich passieren, dass sich das Publikum auch mit einem weniger glücklichen Ende zufriedengibt – und dadurch den Trost empfängt, dass selbst einem Traumpaar nicht immer ewige Seligkeit garantiert ist.

So geschieht es etwa in „Giuditta“, dem letzten Bühnenwerk aus der Feder des großen Meisters der silbernen Operettenära, das 1934 an der Wiener Staatsoper (!) unter seiner Leitung mit Jarmila Novotna und Richard Tauber uraufgeführt wurde und für das der 55-jährige Komponist nochmals alle seine Künste auffahren ließ. Die Liebe eines italienischen Offiziers zu einer marokkanischen Tänzerin hat ihn zu so elektrisierenden Arien wie Octavios „Freunde, das Leben ist lebenswert“ und „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ inspiriert, mit der Giuditta sich als Hauptattraktion eines zweifelhaften libyschen Nachtklubs den Stammgästen präsentiert. In der Sommerarena Baden ist die mit allen stilistischen Wassern gewaschene Sopranistin Bibiana Nwobilo in der anspruchsvollen Titelpartie zu erleben, als Octavio steht ihr der neue Badener Intendant Sebastian Reinthaller zur Seite. Bei der zweiten Produktion kehrt Baden in europäische Kaiserstädte zurück – genauer gesagt: nach St. Petersburg und Wien. Eine stolze Fürstin, ein abgewiesener, rachsüchtiger Verehrer, ein geheimnisvoller maskierter Kunstreiter namens „Mr. X.“, ein vermeintlicher Erzherzog und eine voltigierende Miss Mabel Gibson mit verräterischem Wiener Dialekt, das sind die Akteure in jenem virtuosen Ringelspiel aus vorgetäuschten und verheimlichten Identitäten, das Emmerich Kálmáns „Zirkusprinzessin“ so reizvoll macht.

Weinen, lachen, Kind sein. Die Regie besorgt ein auch auf und hinter der Bühne erfahrener Theatermann: Wolfgang Gratschmaier, der vor seinem Gesangsstudium eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner durchlaufen hat – mit künstlerischem Gewinn. Das größte Ziel in diesem Metier sei, dass man „den Gartenarchitekten nicht mehr bemerkt“, stellt er fest – eine Maxime, die er auch bei seinen Inszenierungen verfolgt: „An meiner Hand der Künstler, der einen ‚Theatergarten‘ von mir angelegt bekommt, in dem er weinen und lachen, einfach wie ein Kind sein darf, das sich, wie Max Reinhardt in der Rede an den Schauspieler sagt, ‚die Kindheit heimlich in die Taschen gesteckt hat, um damit bis ans Lebensende weiterzuspielen!‘“

Beim Lehár-Festival in Bad Ischl richten sich heuer alle Blicke auf die Seine-Metropole. In Paris treibt sich Lehárs verarmter, aber natürlich charmant-lebenslustiger Graf von Luxemburg herum, für den der Komponist eine musikalische Atmosphäre von besonderem Esprit und hoher „Schlagerdichte“ gefunden hat. Wolfgang Dosch, Operettenfachmann mit Leib und Seele und in Ischl bereits mehrfach höchst erfolgreich, sorgt für die stilgerecht-originelle Regie, die Titelpartie übernimmt Reinhard Alessandri. „Unbekannt, darum nicht minder interessant“, heißt es da etwa im „Grafen von Luxemburg“. Damit ließe sich auch eine weitere Ischler Produktion besingen, die halb szenisch präsentiert und für CD mitgeschnitten wird: „Die Kaiserin“ von Leo Fall stellt keine Geringere als Maria Theresia und allerlei Kabalen bei Hofe in den Mittelpunkt.

„Anatevka“, „Jesus Christ Superstar“. „Gigi“ wird in Ischl zur Chefsache, Intendant Michael Lakner führt bei Frederick Loewes zunächst für den Film entstandenem Welterfolg Regie. Baden bringt als Wiederaufnahme Webbers „Jesus Christ Superstar“, einen Klassiker. Und in Mörbisch entführt Intendantin Dagmar Schellenberger ihr Publikum in das ukrainische Schtetl Anatevka: Dort wird die jiddische Tradition noch hochgehalten, „wenn ich einmal reich wär’“, träumt Milchmann Tevje (Gerhard Ernst) – doch seine drei Töchter widersetzen sich den Eheplänen des Vaters. Für Regisseur Karl Absenger ist es schlicht „das beste Stück, das das Genre Musical je hervorgebracht hat“. Aber auch die Operette kommt in Mörbisch nicht zu kurz: 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zeigen zwei Galakonzerte mit internationalen Stars ihre verbindende Kraft.

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