Michael Sturminger ist neuer Intendant in Perchtoldsdorf, inszeniert in Bregenz und bringt einen Film heraus.
Bitte schick anziehen fürs Foto! Solche Appelle sind bei Michael Sturminger sinnlos. Er erscheint in Jeans. Selbstinszenierung ist dem 1963 geborenen Wiener, Regisseur, Autor, der an der Universität für Musik und darstellende Kunst bei Axel Corti studiert hat, fremd. Dabei hat Sturminger seit 1990 mindestens zwei Inszenierungen im Jahr gemacht, manchmal sogar fünf. In seinem ersten Film, „Brigittenau“ 1989, spielten bereits Karl Markovics und Julia Stemberger. Zuletzt hat Sturminger in Essen Tschaikowskys „Eugen Onegin“ und „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss herausgebracht, am Stadttheater Klagenfurt Händels „Giulio Cesare“.
Im Herbst dieses Jahres kommt sein Film „The Giacomo Variations“ mit John Malkovich ins Kino; auch im nächsten Projekt Sturmingers ist der Weltstar zu erleben: „Call me god“, die letzte Ansprache eines Diktators, der zurücktritt, mit Musik von Martin Haselböck und einem Text von Sturminger, kommt 2015 heraus. Bei den Bregenzer Festspielen inszeniert Sturminger heuer die Uraufführung von H. K. Grubers Oper „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Ferner ist er ab heuer Intendant der Perchtoldsdorfer Sommerspiele. Sturminger reißt es herum, wie man so schön sagt.
Zuerst war „The Giacomo Variations“ mit Weltstar John Malkovich, eine Theaterproduktion, 2011 auch im Ronacher zu sehen, bald kommt der Film heraus. Worum geht es da eigentlich? Ist das eine Art Kulturgeschichte des Casanova-Mythos?
Es geht um Giacomo Casanova, Mozart, Daponte, Don Giovanni. Wir haben ein neues Genre erfunden. Es mischt sich ein historischer Spielfilm mit einer Oper im Theater, gleichzeitig wird die Aufführung dokumentiert, man sieht, was hinter der Bühne und im Publikum passiert. Alle diese Elemente erzählen die Geschichte des sterbenden Casanova. Wir haben Weltklasse-Opernsänger wie Jonas Kaufmann, junge Sängerinnen. Die Musik ist live aufgenommen, es gibt kein Playback. Veronica Ferres spielt eine reiche Gräfin, die ein Buch über die spiritistischen Séancen von Cagliostro geschrieben und ihn damit ruiniert hat. Nun trifft sie Casanova, der einer anderen wohlhabenden Dame in Frankreich vorgemacht hat, dass er Gold herstellen kann, also auch eine Scharlatanerie. Casanova hat natürlich Angst, dass ihm das Gleiche passiert wie Cagliostro.
Wie ist es mit dem dämonischen John Malkovich? Wieso konnten Sie sich diesen Star überhaupt leisten?
Es ist fantastisch mit John Malkovich. Und er war auch überhaupt nicht teuer. Er hat uns quasi seine Teilnahme geschenkt. Wenn der Film Geld bringt, bekommt er einen Teil. Wir werden jetzt sehen, wie viele Festivals ihn zeigen, ich hoffe, viele.
Mit der Theaterproduktion der „Giacomo“-Variations sind Sie ja ziemlich weit herumgekommen in der Welt. Wo war’s am schönsten?
Während des Gastspiels in Ecuador haben wir die Galapagos-Inseln besucht. Das war toll.
Bei den Bregenzer Festspielen inszenieren Sie heuer „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nach dem Horváth-Stück mit Musik von H. K. Gruber, eine Uraufführung. Michael Thalheimer bringt das Schauspiel heuer auch bei den Wiener Festwochen heraus. Was ist der Reiz, das immer wieder zu machen?
Das von der Festwochen-Aufführung wusste ich nicht. Die Uraufführung in Bregenz steht schon fünf Jahre fest. Ich habe den Intendanten David Pountney und den Komponisten H. K. Gruber von dem Projekt überzeugt und das Stück auch bearbeitet. Durch die Musik würde die Aufführung ja sechs Stunden dauern. Das geht nicht. H. K. Gruber versteht es, Werken durch die Musik etwas hinzuzufügen, es entsteht etwas Neues. Das gesprochene Wort ist sehr wichtig. Das ist auch bei Grubers „Frankenstein!!“ mit den Texten von H. C. Artmann so. „Geschichten aus dem Wiener Wald“ wird im Herbst auch im Theater an der Wien zu sehen sein.

Sie haben die Intendanz der Sommerspiele Perchtoldsdorf übernommen, die früher ziemlich altmodisch waren. Seit etwa zehn Jahren ist das ein recht ambitioniertes Unternehmen. Was haben Sie vor?
Heuer inszeniert Maria Happel Kleists „Käthchen von Heilbronn“, worüber ich mich sehr freue. Perchtoldsdorf ist ein schöner Ort. Ich möchte etwas bewegen, und ich glaube, dass das dort auch möglich sein wird. Ich habe dort dreimal inszeniert, werde das auch wieder tun, aber nicht heuer, weil ich wegen der „Geschichten aus dem Wiener Wald“ keine Zeit habe. Meine erste Aufführung in Perchtoldsdorf war übrigens genau dieser Horváth, mit einer tollen Besetzung, Karl Markovics, Branko Samarovski, Vera Borek. Das war 2002. Die Gemeinde wollte damals die Sommerspiele aufgeben. Der Rechtsanwalt Wolfgang Löhnert hat dann auf sein eigenes Risiko weitergemacht. Ein mutiger Mann. Er hat uns freie Hand gelassen. Außerdem habe ich in Perchtoldsdorf Shakespeares „Was Ihr wollt“ und Molières „Tartuffe“ inszeniert.
Warum haben Sie das „Käthchen“ ausgewählt? Kleist im Sommertheater, das ist nicht einfach.
Es ist ein tolles Stück. Dieses Mädchen setzt sich etwas in den Kopf und zieht das auf die krudeste Weise durch. Weder ihr Vater noch die kräftige und schlaue Konkurrentin Kunigunde, die bei Friedrich Wetter Graf von Strahl viel bessere Chancen hat als Käthchen, können sie von ihrem Plan abbringen, den Grafen zu erobern. Und das schafft sie dann auch.
Letztlich ist es eine romantische Geschichte.
Wir müssen uns erinnern, dass die Romantik damals ungeheuer modern war. „Das Käthchen von Heilbronn“ hat Kleist ein großes historisches Ritterschauspiel genannt. Dramaturgisch hat er sich um nichts geschert, da treten 49 Figuren auf, von denen viele gleich wieder verschwinden, man kann kaum den Überblick behalten.
Hat dieses Stück mit seinen gespenstischen Szenerien nicht etwas von heutiger Fantasy?
Kleist geht es immer um die Auslotung von Extremzuständen in verschiedenen Genres. Mir kommt er so vor wie Stanley Kubrick. Er probiert eine Gattung nach der anderen aus. Einmal nimmt er sich Molière her und macht seinen „Amphitryon“, dann die Antike und schreibt seine „Penthesilea“, „Der zerbrochne Krug“ ist eine volkstümliche Komödie, den „Prinzen von Homburg“ und „Käthchen“ verbindet das Traumspiel. Und doch ist jedes seiner Stücke typisch Kleist.
Das ist die Kleistifizierung der Literatur.
Mir gefallen die Schönheit der Sprache, die Bildhaftigkeit, die Klarheit in der Unklarheit, das Unerwartete und Unvorhersehbare.
Bringt die Intendanz in Perchtoldsdorf auch Geld ein? Gibt es für Sommerspiel-Chefs eine Gage?
Ich dachte, ich bekomme keine Gage, und habe wenig Arbeit. Jetzt stellt sich heraus, ich bekomme ein bisschen Gage, habe aber auch einiges zu tun.
Möchten Sie auch einmal bedeutendere Intendanzen als jene der Sommerspiele Perchtoldsdorf übernehmen? Das Burgtheater? Das Theater an der Wien?
Für das Burgtheater fühle ich mich nicht kompetent. Und das Theater an der Wien wird mir bestimmt niemand anbieten. Für einen Opernregisseur ist das sicher das Schönste. Das Theater an der Wien ist das größte Glück der Wiener Kulturpolitik. Dass es gelungen ist, es als Opernhaus zu etablieren, ist ein reines Wunder. Heute wäre das undenkbar.
Aber bei den städtischen Musicals gibt’s offenbar ein Problem. Laufzeiten werden kürzer, es gibt immer wieder kostspielige Flops und politische Debatten darüber. Sie haben ja schon viele Theater gemacht und erlebt, was ist Ihr Eindruck?
Ich kann das nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass die großen Musicalproduzenten zehn Stücke bis zur Generalprobe entwickeln, da werden in jedes Musical ein bis zwei Millionen Euro investiert, von diesen zehn Produktionen kommt aber nur eine heraus, dabei ist auch das Marketing sehr, sehr wichtig. Die anderen Aufführungen werden nicht gespielt. Ich kann mich noch erinnern an die 1980er-Jahre, an diese Diskussionen, warum bringt „Cats“ überall anders Geld und nicht in Wien. Die Frage fand ich skurril. Musicals bringen den Leuten Geld, die sie entwickelt haben. Wenn man erfolgreiche Musicals hier abspielen will, muss man hohe Lizenzgebühren zahlen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Wien in diesem Wettbewerb gegen Deutschland und Amerika bestehen kann.
Sie schreiben Texte, Drehbücher, inszenieren. Künstler sind heute oft Multitasker wie zu Zeiten von Shakespeare, Molière.
Nestroy oder Tschechow, gut, der hat nicht selbst inszeniert oder gespielt, aber er war eng mit einer Theatertruppe verbunden und hat gewusst, für wen er schreibt. Ich habe das Gefühl, es ist nützlich, wenn jemand die Gesetze und die Bedürfnisse der Bühne kennt. Wir haben viele Texte gesehen, die kein Theater brauchen kann. Aber das ist ein weites Feld. Es gibt auch Texte, mit denen sich das Theater abmüht, und dann werden neue interessante Formen geboren. Ich würde trotzdem sagen, dass bestimmte Stücke von Elfriede Jelinek oder Peter Handke ihre Qualität nicht im Dramatischen haben.
Was sind Ihre Lieblingsstücke, Opern, Bücher?
Wenn es um Casanova geht, „Portnoys Beschwerden“ von Philip Roth. Die beste Oper ist meines Erachtens Mozarts „Così fan tutte“, habe ich in Klagenfurt inszeniert, würde ich gern noch einmal machen. Und: „Wozzeck“ würde ich gern inszenieren.
Tipp
