Mit Dickschädel und grünem Daumen

Göteborg from Liseberg
Göteborg from LisebergDavid Castor/Wikipedia
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Göteborg zieht mit seiner grünen Haltung Junge, Kreative und Bewusste an: Urban Gardening, viele Bio- und Fair-Trade-Läden, eine rege Szene prägen die Öko-Boomtown.

In den Kanälen spiegeln sich Fassaden, die den einstigen Reichtum von Kaufleuten, Reedern und Industriellen zur Schau stellen. Der breite, träge Göta-Fluss öffnet die Stadt zum Meer. Möwengeschrei mischt sich in den Lärm der großen Boulevards und hallt durch die Gassen. Groß geworden ist Göteborg, mit gut 500.000 Einwohnern Schwedens ewige Zweite, vor allem durch die Industrie. Bis in die 1980er-Jahre reihten sich am Flussufer Werften und Fabriken. 15.000 Menschen arbeiteten bis 1975 allein im Schiffbau. Jetzt sind es 1400. „Schiffe werden hier längst nur noch repariert“, erzählt Renate, eine Schweizerin, die einst der Liebe wegen nach Göteborg gezogen ist. Der Wasserbus bringt Fußgänger und Radfahrer über den Fluss, den Göta Älv. Eine Stunde dauert die Fahrt mit dem Linienboot vom heutigen Jacht- und früheren Handelshafen bis an die zweite große Brücke kurz vor der Mündung des Göta ins Meer und wieder zurück.

Die Fähren sind Teil des dichten und schnellen Göteborger Tram- und Busnetzes. Eine Tramfahrkarte reicht für die Tour übers Wasser. „Die Göteborger sind so stur wie meine Berner Oberländer“, lobt Renate lachend die Ureinwohner ihrer Wahlheimat. „Wenn du dich durch die harte Schale gepickt hast, hast du Freunde fürs Leben.“ Der Dickschädel – oder die Beharrlichkeit – der Göteborger hat ihr Tramnetz gerettet. Als das Land 1967 auf Rechtsverkehr umstellte, befanden sich die Straßenbahntüren alle auf der falschen Seite. Deshalb ersetzten Schwedens Städte die Trams durch Busse. In Stockholm gibt es nur noch eine Linie. In Göteborg hingegen fahren nach wie vor alle zwölf Linien.

„Göteborg ist doch nur eine Kleinstadt“, schimpft Linda, eine der Künstlerinnen, die sich nach einer Party im Museum am Freitagabend in einem der vielen Biergärten rund um den Jörntorget-Platz treffen. Sie klagt über die schwedischen Männer, die Frauen ihre Rechnung selber zahlen lassen. Der Typ neben ihr, ein Hüne um die 50, wirft trocken ein: „Das ist die Gleichberechtigung.“ Linda entgegnet, dass sie beim Bezahlen „nicht immer gleichberechtigt sein will“. Da lebt sie wohl im falschen Land, die Gleichberechtigung ist in Schweden weiter fortgeschritten als im Rest der Welt. 70 Prozent der Frauen sind berufstätig. Allerdings findet sich auf den Chefsesseln großer Unternehmen auch hier kaum eine Frau.

Viele von ihnen gründen stattdessen selbst Unternehmen. Zwischen den vielen Vintageshops, stylischen Boutiquen und Designerläden an der Vallgatan liegt in einem Schaufenster ein Stapel alter Jeans. „Repairing is Caring“, steht in großen Lettern auf dem Fenster. Dahinter näht ein junger Mann Flicken auf kaputte Hosen. Ein Zettel an der Tür des Ladens animiert die Passanten zum Hereinkommen. „Ask, what we are doing, you are welcome“, heißt es da. Der Schneider erklärt das Konzept von Nudie-Jeans, einem der erfolgreichsten jungen Modeunternehmen Schwedens: „Wir verwenden nur Biobaumwolle aus fairem Handel“, erzählt der 24-Jährige an der Nähmaschine. „Wer bei uns eine Hose gekauft hat, kann sie hier kostenlos zur Reparatur bringen.“ Vor zwölf Jahren hat die Designerin Maria Erixon Levin ihren Job bei Lee gekündigt und sich mit ihrer Marke Nudie-Jeans selbstständig gemacht. Inzwischen verkauft das Label nach eigenen Angaben jedes Jahr rund eine Million seiner in Italien nach den Regeln des fairen Handels produzierten Jeans. Im Laden kosten sie gut 100 Euro – im teuren Schweden ein normaler Preis.

Pflanzen und Passivhäuser

Göteborg, mit rund 60.000 Studierenden eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden Städte Nordeuropas, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Zentrum der Kreativen entwickelt. Viele Cafés und Restaurants servieren Produkte aus Biolandbau und zahlreiche Second-Hand-Läden bieten gut erhaltene, oft auch schicke Bekleidung und andere Produkte an. Am Flussufer wachsen neue Passivhäuser. Wer mit dem Auto in die Innenstadt fahren will, zahlt eine City-Maut. An allen großen Ausfallstraßen erfassen Kameras die Kennzeichen der ankommenden Fahrzeuge. Nachdem sich Anwohner und Händler darüber aufregten, hat die Stadt für 2014 eine Volksabstimmung über die Maut angekündigt.

„Stadsjord“, Stadtgarten steht an einer kleinen Freifläche zwischen zwei restaurierten Bürgerhäusern am Brunnsplatsen in der Innenstadt. Unter dem Schild führen Treppen zu großen Holzkästen, in denen Pflanzen wachsen. Die kleine Grünanlage gehört zu einem Netz von Nachbarschaftsgärten, in dem Anwohner Gemüse für den Eigenbedarf anbauen. Auch in einem Neubaugebiet im Norden gedeihen zwischen Baukränen und Rohbauten Tomaten in einem kleinen Gewächshaus. In Pflanzkisten und Reissäcken wachsen Kräuter, Bohnen und anderes Gemüse. Mittendrin sitzt Maurits auf einem der selbst gebauten Stühle. Er ist einer von drei festen Mitarbeitern der Stadtgärten, die ein ehemaliger Berater, Stadtplaner und Grünpolitiker 2010 gegründet hat. Die Idee: Ungenutztes Brachland soll Anwohnern als Garten angeboten werden. Die Leute legen Beete an, kümmern sich um die Pflanzen, organisieren sich als Gemeinschaft, entwickeln eine stärkere Verbindung zur Natur, begrünen ihre Umgebung und ernähren sich mit der eigenen Ernte gesünder. „Es hat lange gedauert“, erzählt Maurits.

Schweine für die Stadt

Inzwischen schätzen die Verantwortlichen im Rathaus das Engagement der Stadtgärtner. Wenn eine Gruppe von Anwohnern sich verpflichtet, ein Stück Land zu pflegen, bekommt sie von der Stadt rund 2500 Euro Zuschuss für Gartengeräte. Das Immobilienunternehmen, das hier im Göteborger Norden auf einer einstigen Industriefläche einen neuen Stadtteil aus dem Boden stampft und die Wohnungen teuer verkauft, habe den Stadtgärtnern Brachland zur Zwischennutzung überlassen. Pflanzkisten bauen die Stadtgärtner aus alten Paletten, Säcke bekommen sie von Restaurants und Baumärkten. Abfälle werden kompostiert.

Angefangen haben die Stadtgärtner mit ein paar Schweinen auf einem städtischen Grundstück. Die EU hat damals den Erhalt historischer Nutztierrassen gefördert. So gab es Geld für die Linderöd-Schweine, robuste Tiere, die selbst im schwedischen Winter draußen bleiben können. Die Stadtgärtner vermieten die Tiere an Gartenbesitzer und Landwirte. „Die fressen das Unkraut, graben den Boden um, düngen ihn“, schildert Maurits. „Für 1000 Quadratmeter brauchen zwei Schweine zwei Monate. Dann hast du den perfekten Boden.“

Inzwischen gibt es die Stadtgärten in vielen Vierteln. In einem Hinterhof in Majorna, einem ehemaligen Arbeiterquartier, in das immer mehr junge Leute ziehen, wachsen Kräuter und Gemüse in Holzkisten. Ein Nachbar hat den Grill angefeuert. Andere bringen Salate. Eine junge Frau erntet die Zutaten: Ihr kleiner Sohn schaut ihr zu und fängt an, ebenfalls Blätter zu rupfen. Bis Mama den Ernteeifer bremst und ihm zeigt, was man essen kann und was nicht.

GÖTEBORG ZUM NACHHALTIGEN GEBRAUCH

Öko. Göteborg schmückt sich mit dem Titel „Europas top Öko-Destination“. Die Stadt will klimaneutral werden. Erstaunlich ist die Zahl an Bioläden und -cafés sowie die Menge an Second-Hand- und Fair-Trade-Läden. Drei Viertel der Hotels sind angeblich umwelt-zertifiziert.

Unterwegs: Exzellent ist das Tram- und Busnetz. Die Bahnen fahren oft, pünktlich und überallhin. www.vasttrafik.se. Mehr über das „grüne Göteborg“ auf www.greengothenburg.se.

Zu den vielen Inseln in den Schären vor der Stadt fahren Fähren, auf denen die Straßenbahn- und Busfahrkarten gelten. styrsobolaget.com

Überall in der Innenstadt stehen Mietfahrräder. Nach einmaliger Registrierung können auch Touristen damit fahren. en.goteborgbikes.se

Ausgehen: Tipps gibt die kostenlose Zeitschrift „Djungel-Trumman“ (Buschtrommel). Zusätzlich gibt es eine Karte mit Beschreibung fast aller Bars und Discos.

After Work: Am frühen Abend haben viele Lokale Sonderangebote. Dies erklärt, warum Pubs und Restaurants am späten Nachmittag so voll sind.

Fika: Ihr Kaffeetrinken ist den Schweden heilig. Freunde und Familien verabreden sich zu einer ausgiebigen Fika (Betonung auf der ersten Silbe) zu Hause oder in den Cafés. Die Göteborg-Gruppe der Couchsurfer (www.couchsurfing.org) trifft sich jeden Sonntagmittag im Café des Museums der Weltkulturen.

Viktors Kafe: sehr freundliches, entspannendes Kaffeehaus am oberen Ende der teuren Flaniermeile Avenyen. vimeo.com/37257844

Waycup: großes, stylisches Kaffeehaus, eingerichtet mit Recyclingmaterialien, viele Bioprodukte, www.waycup.se

Szene: Ausgefallene Läden reihen sich an der Haga Nygata in Göteborgs ältestem Stadtteil Haga aneinander.

Vinyl, witzige Souvenirs und sehr guten Kaffee hat das Santo Domingo im angesagten Viertel rund um den Jörntorget, cafesantodomingo.se

Bier in fast allen erdenklichen Varianten gibt es im Ölrepubliken (Bierrepublik), olrepubliken.se

Biergärten, Bars und Pubs auf mehreren Ebenen sowie ein Programmkino, das u. a. deutsche Filme im Original zeigt bietet das Haga-Bion in einem uralten Fabrikgebäude, www.hagabion.se

Gleich gegenüber liegt die Location für Sonnenanbeter: Linnéterrassen, linneterrassen.se

Einkaufen: Für Fans ausgefallener Designerteile und junger Labels (viele Fair Trade und bio) ist Göteborg DIE Stadt. Viele Läden finden sich in Haga an der und rund um die Haga Nygata mit ihren alten Holzhäusern und im Viertel an der Vallgatan in der Innenstadt. Z. B. Jeans von Nudie www.nudiejeans.com

Ausgefallene Inneneinrichtung und Café in einem: Magasin 11

Eco & Fair: Kleidung aus fairem Handel und Biostoffen, Schuhe, Einrichtung und mehr. minni.se

Dem Collective: fair produzierte Kleidung aus einer eigenen Fabrik in Sri Lanka, www.demcollective.com

Myrorna: großes Second-Hand-Kaufhaus auf vier Etagen mit Kleidung, Büchern, Möbeln, Raritäten, www.myrorna.se

Frisches Obst und Gemüse und vor allem frischen Fisch bietet die 1874 wie eine Kirche errichtete Markthalle Feskekörkan (Fischkirche).

Für Frühaufsteher: Fischauktion im Fischereihafen, Mo. ab 7 Uhr, Di. bis Fr. ab 6.30 Uhr im Fischereihafen, Tramstation Stigbergstorget

Stadtinfo: Tousristinfo, www.goteborg.com

Schweden-Info: Visit Sweden, www.visitsweden.com/de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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