Triesterviertel: „Wir sind alle Opfer“

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Seit der Überfallserie gilt das Favoritner Triesterviertel als gefährlichster Ort Wiens. Die Bewohner wehren sich gegen das Image – fühlen sich aber auch alleingelassen.

Wien. Es ist ein trister Ort. Während sich am späteren Nachmittag in der Favoritenstraße und Laxenburger die Büroheimkehrer drängen, Taschen aus dem Supermarkt nach Hause tragen oder im Schanigarten haltmachen, ist es im Triesterviertel merkwürdig still. Im Gebiet zwischen Triesterstraße, Gußriegelgasse und Raxstraße merkt man wenig von Stoßzeit und Büroschluss.

Zwischen Autowerkstätten und großen Supermarktparkplätzen sind die Straßen fast leer. Nur ein Mann – grünes T-Shirt mit pinkfarbenem Fadenkreuz – führt seinen bulligen Hund aus. Ein anderer, Trainingshose, schwarze Kapuze ins Gesicht gezogen, steht auf dem Gehsteig und schaut immer wieder her. Im „gefährlichsten Viertel“ der Stadt schleicht sich da schnell ein ungutes Gefühl ein. In den vergangenen Wochen war das Grätzel immerhin Schauplatz einer brutalen Raubserie. Ein Mann – die Polizei sucht ihn nach wie vor – schlug vier Frauen mit einem metallenen Gegenstand nieder und verletzte sie dabei schwer. Zuletzt ein 13-jähriges Mädchen am Karsamstag.

„Sicher? Nein, sicher fühlen wir uns hier nicht mehr“, sagt Elena J., die mit ihren Töchtern in der Sonne im Barankapark spielt. Ihre ältere Tochter, sie ist 14 Jahre alt, lasse sie abends nicht mehr auf die Straße. Allein geht aber auch sie selbst nachts nicht hinaus. Frauen fahren im Triesterviertel derzeit vermehrt Taxi oder organisieren sich für den Abend privaten „Begleitschutz“ – auch wenn die Polizei betont, inzwischen regelmäßig Streife zu fahren.

Für viele von außen passt die Raubserie zum Klischee vom „wilden Favoriten“, zumal die dem Viertel den Namen gebende Triester Straße mit Laufhaus und Arbeiterstrich keinen guten Ruf hat. Tatsächlich führte der Bezirk in absoluten Zahlen im ersten Halbjahr 2013 das Ranking bei Anzeigen in Wien an. Allerdings ist Favoriten auch der bevölkerungsreichste Bezirk der Stadt – zehn Prozent der Wiener wohnen hier.

Wenn der Stadtpolizeikommandant Michael Lepuschitz von den Problemen im Bezirk erzählt, spricht er aber nicht von Raubüberfällen, sondern von Taschendiebstählen, Wohnungs- oder Kfz-Einbrüchen – für die beiden Letzteren sind die größeren Zu-und Abfahrtsstraßen zur Triester Straße ein beliebter Tatort. Das betroffene Grätzel sei bisher nicht speziell aufgefallen, sagt er. Und: Die Straßen seien auch nicht verlassener als anderswo.

Was fehlt: Öffentlicher Raum

Auch Fritz Endl findet, dass der medial verbreitete Eindruck vom bösen Triesterviertel trügt („Der Mann hat sich unser Viertel zufällig ausgesucht“). Aber der pensionierte Lehrer sieht auch die Probleme im Grätzel. Seit einigen Jahren betreibt er die Plattform Triesterviertel.at, organisiert Gesprächsrunden, setzt sich für bessere Nachbarschaft im Viertel ein, das wegen der günstigen Mieten viele Migranten anzieht.

Was dem Grätzel fehle, sei ein funktionierender öffentlicher Raum, sagt Endl. Denn einerseits würden soziale Konflikte auf die Straße getragen, da die Leute wenig Platz in ihren engen Wohnungen hätten. Andererseits fehle es an Infrastruktur, die die Straßen belebt (und damit zumindest gefühlt sicherer macht): Gasthäuser, Bäcker, Trafiken, Nahversorger hätten sukzessive zugesperrt, übrig blieben große Diskonter und Wettlokale, die Beschaffungskriminalität mit sich brächten. Die Postfiliale etwa, so Endl, wurde binnen weniger Monate viermal überfallen. Inzwischen hat sie zugesperrt. Mangels Alternativen hielten sich die Jugendlichen in Wettlokalen auf. „Wir sind von Jugendbetreuern, die in anderen Vierteln tolle Arbeit leisten, total vernachlässigt“, sagt Endl. Auch die Politik würde sich nicht kümmern, „bei den Parteien gelten die Leute hier als keine attraktive Klientel“.

Das Leben spielt sich im Triesterviertel vor allem in Gemeindebauhöfen ab. „Das ist Isolation“, so Endl. Es werde immer schwieriger, in der Öffentlichkeit „Gemeinschaft“ zu bilden – „und gerade jetzt geht es um den Zusammenhalt, nicht jeden Dunkelhäutigen zu verdächtigen. Es gibt Versuche, diese Verbrechen zu instrumentalisieren. Aber wir alle hier sind Opfer dieses Mannes“, sagt Endl. Die Raubserie, fürchtet er, werde seinen Bemühungen schaden. Zumindest kurzfristig.

Der Faktor Hauptbahnhof

Mittelfristig gilt das Triesterviertel Stadtentwicklern hingegen als spannendes „Transformationsviertel“: In den vergangenen Jahren wurden neue Wohnungen errichtet, in der Knöllgasse entstand ein „Spacelab“, das Jugendlichen beim Jobeinstieg helfen soll, neue Radwege sind in Planung. Auch der neue Hauptbahnhof könnte – trotz der Distanz – für eine Aufwertung des Gebietes sorgen, sagen Stadtexperten. Das werde aber fünf bis zehn Jahre dauern.

WIEN FAVORITEN

Der zehnte Bezirk ist der bevölkerungsstärkste Bezirk Wiens. Im Jahr 2013 lebten 182.595 Menschen hier. Das entspricht mehr als einem Zehntel der Wiener Gesamtbevölkerung.

Zusammensetzung: 50.944 Favoritner haben (Stand 2013) nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Das entspricht 27,9 Prozent der Bezirksbevölkerung. Der Bezirk ist von der Flächenverteilung (gesamt: 31,8 km2) her ziemlich grün und politisch ziemlich rot. Bei der Gemeinderatswahl 2010 erreichte die SPÖ 48,7 Prozent, auf Platz zwei folgte die FPÖ mit 33,8 Prozent.

Kriminalität: Im ersten Halbjahr 2013 führte Favoriten in absoluten Zahlen das Anzeigenranking an (10.278) und zwar vor der Inneren Stadt (8404), in der nur etwa 17.000 Menschen leben, wo es aber sehr viele Taschendiebstähle gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2014)

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