Die Szene ist unübersichtlich, die Frage nach der Qualität schwer zu beantworten – da sollen Kuratoren helfen. Auch die Art Brussels setzt auf diese "Wunderwaffe". Mit gemischtem Erfolg.
Immer mehr Ausstellungsräume, Galerien, Kunstmessen und vor allem Kunst – dieser Sektor der weltumfassenden Kreativwirtschaft wird immer unübersichtlicher. Welche Kunstmesse ist wichtig, welche Kunst beachtenswert? Welche Kriterien können entwickelt werden angesichts der überwältigenden Quantität? Nur Qualität zählt, wird darauf gern geantwortet.
Adam Szymczyk, Leiter der kommenden Documenta14, 2017, erklärte neulich, Qualität sei „eine leere Kategorie“. Auf Kunstmessen wird diese Kategorie meist mit dem Vertrauen in die Galerie der Wahl gefüllt – und zunehmend mit Kuratoren. Diese Vermittler versprechen einen Vorteil: Sie sind bestens informiert, ohne sich wie Galeristen mit Fragen nach Markttauglichkeit und Programmgrenzen einzuengen. Zudem liefern Kuratoren Konzepte, wodurch die Verständnisschwelle gegenüber Unbekanntem leichter zu überwinden ist, und womit eine theorieorientierte Adelung einhergeht.
Alles aus Gips. Frischer Blick, eine thematisch orientierte Durchmischung, tiefere Auseinandersetzung – diese Rezeptur ist in Museen und Kunsthallen durchaus sinnvoll, da die Leitungen selten so viel reisen und recherchieren können wie die frei arbeitenden Vermittler. Auf Kunstmessen dagegen wird vor allem die immer schmaler werdende Kluft zwischen Institutionen und Kommerz überbrückt.
So hat heuer also auch die belgische Art Brussels in ihrer 32. Ausgabe auf diese Wunderwaffe gegen die große Unübersichtlichkeit und den ungebrochenen Kommerzgedanken gesetzt. Neben den Sektoren Prime (Galerien mit etablierten Künstler, darunter auch vier Galerien aus Wien), Young (Galerien mit junger Kunst, darunter auch Raum mit Licht aus Wien), First (erstmals teilnehmende, gesponserte Galerien) und Solo-Ständen lockt jetzt der Sektor Curator's View. Was das heißt? Einmal ist der Galerist sein eigener Kurator, einmal ist es ein ehemaliger Künstler der Galerie, dann ein Berater, ein Galerieassistent. Einmal steht ein Material im Zentrum (alles aus Gips von Hans Arp bis Franz West), dann ein allzu hoch angesetztes Thema („Landschaft als soziales System“). Doch dieser Sektor ist verbesserungsfähig. Das kann Wien weitaus besser mit dem Format „curated by“, bei dem die Galerien Kuratoren in ihre Räume einladen, und das hoffentlich nicht dem Umbau von Departure zum Opfer fallen wird.
Aber auch wenn der Mehrwert „Kurator“ auf der Art Brussels eher ein Bluff ist, kann diese Messe überzeugen. Ist die eine Halle eher den jungen Galerien vorbehalten, die andere fast ausschließlich Prime, so gibt es doch eine erfrischende Durchmischung: global Bekanntes, lokal Bedeutendes, von Galerien langjährig Betreutes und auch Überraschendes. Da stehen in einer Galerie wild Kisten und Stiefel herum – kein Aufbauchaos, sondern verblüffende Skulpturen aus Marmor und seltenen Steinen (Andreas Blank). Gleich nebenan wieder Stiefel, diesmal aus Keramik (Rachel Labastie), später ein Billardtisch in Form eines Flügels (Céleste Boursier-Mougenot), aber auch eine wunderschöne, leise Leinwand, auf die ganz zart ein Pyjama aufgemalt ist (Helene Appel).
Der Kuss des Kreises. Das Leben, der Alltag – das ist das Themen- und Formenreservoir eines erstaunlich großen Teils der ausgestellten Kunst. Und manchmal ist es auch die Mathematik wie beim marokkanischen Künstler Mounir Fatmi: Er legt Frederick Soddys Zeichnungen zur Geometrie, in denen es um Berührungspunkte von Kreisen geht, über Kussszenen „Casablanca“ – eine schöne Kombination der Versuche von Wissenschaft, Film und Leben Distanzen zu begreifen! Und ein schönes Bild auf einer Messe, auf der die Frage nach Kriterien wohl mit der Notwendigkeit unermüdlicher Versuche von Annäherungen beantwortet werden muss.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2014)