Zwei Heilige, zwei Welten, eine Kirche

VATICAN CANONIZATION PREPARATIONS
VATICAN CANONIZATION PREPARATIONS(c) APA/EPA/CLAUDIO PERI (CLAUDIO PERI)
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Am Sonntag erhebt Papst Franziskus mit Johannes XXIII. und Johannes Paul II. zwei seiner besonders profilierten Vorgänger zur Ehre der Altäre.

An den römischen Kiosken hängen ihre Porträts in all den pastell-süßlichen Farbnuancen, nach denen Heiligenbildchen offenbar so verlangen. Das offizielle Fest-Logo bildet beide im Profil ab, die Gesichtszüge so kantig herausgearbeitet, als sei es nötig, die Stärke ihrer Persönlichkeit eigens zu betonen.

Der ältere, Johannes XXIII., trägt da noch die dreifache Krone, die den Papst – ganz mittelalterlich – als „Vater der Fürsten und Könige, Lenker der Welt und Stellvertreter Christi“ kennzeichnet. Dabei hat sich doch ausgerechnet dieser Kirchenführer als mild, als demütig, als „der Gute“ in die Herzen eingebrannt bis heute.

Der jüngere hingegen, Johannes Paul II., ist mit der Mitra eines ganz normalen Bischofs abgebildet. Dabei hat doch alle Welt – buchstäblich, bei seinen Reisen bis in die entferntesten Teile des Globus – festgestellt, wie sehr genau dieser Papst das Amt zugespitzt hat auf seine Person, auf machtvolle Alleinlenkung aus dem Vatikan.

Und während Johannes XXIII. 1963 inmitten seines Werkes starb – im Lauf des Gespräches, des bewegten Zweiten Vatikanischen Konzils zur „Vergegenwärtigung“ der Kirche – trat Johannes Paul II. im Lauf seines jahrelangen, öffentlichen Siechtums immer stärker als Solitär hervor, als der einsame Gigant des Leidens, hinter dem alles andere verblasste, erstarrte und zu schweigen hatte.

Santo subito

Jeder von beiden, Johannes XXIII. nach knapp fünfjährigem, Johannes Paul II. nach mehr als 26-jährigem Pontifikat, starb im Ruf sofortiger Heiligkeit. Beide, der Norditaliener Angelo Roncalli und der Pole Karol Wojtyła, verkörperten das eine Papsttum, darin aber verschiedene Seiten. Stellte sich der Erste voller fast naiv-kindlicher Neugier auf eine sich entwickelnde Welt gegen die „Unheilspropheten, die zwar vor religiösem Eifer brennen, in den heutigen Verhältnissen der Menschheit aber nur Unheil und Untergang erkennen“, betrachtete der Zweite die moderne Gesellschaft als „Kultur des Todes“, gegen die mit Kreuzzugsfrömmigkeit und entsprechend bestallten Bischöfen vorzugehen sei.

Doch auch Johannes XXIII., heute gefeiert als Reformpapst, war kein Liberaler. Aufgewachsen in einer Kirche, die sich erst kurz zuvor das Unfehlbarkeitsdogma gegeben hatte und sich gegen die „modernistischen Irrtümer der Welt“ hinter ihren Mauern verschanzte, sein Leben lang beseelt von der klerikalen Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts, wollte Johannes XXIII. beim Konzil „die Lehre der Kirche ohne Abstriche“ bekräftigen und der Welt lediglich neu predigen. Er begeisterte sich für die ultrakonservativen Beschlussvorlagen, die seine Kurialen für die Versammlung erstellten – doch als diese Papiere allesamt im Aufstand der Bischöfe untergingen („Wir sind ein Konzil und keine Schuljungen!“), sah dieser Papst einen höheren Willen am Werk. Er stellte sich nicht quer; er gab aus der Hand, er gestattete unbegrenzte Diskussionsfreiheit.

Eine Generation später tat Johannes Paul II. genau das Gegenteil: Er zurrte die Lehre fest, wo sie nur festzuzurren ging. Er hielt es besser für das Wohl der Kirche, Diskussionsfreiheit durch Disziplinierung zu ersetzen. „Der Mann, der zwei Regime überlebt hatte, den Nazismus und den Kommunismus“, so schreibt eine Gruppe amerikanischer Vatikan-Journalisten, „verlangte von seiner Kirche eine Einigkeit, wie man sie unter einem Belagerungszustand braucht.“ Da musste dann auch alles zugedeckt werden, was dem äußeren Bild gefährlich werden konnte: Skandale, Korruption, Kindesmissbrauch.

Erster Synagogenbesuch

Ungewöhnlich, schier grenzenlos offen zeigte sich Johannes Paul II. dagegen überall dort, wo es nicht ausschließlich um die eigene Kirche ging; dort trieb er die Öffnung des Konzils auf nie zuvor gesehene Spitzen: Wojtyła war der erste Papst, der eine evangelische Kirche, eine jüdische Synagoge, eine islamische Moschee betrat. Er lud – verstörend für alle Konservativen – Vertreter aller Weltreligionen zum Friedensgebet nach Assisi ein.

Vor allem aber stand der polnische Papst an zentraler Stelle bei der friedlichen Öffnung Osteuropas, beim Ende des Kalten Krieges, beim Fall der Mauer. „Öffnet die Tore, ja, reißt sie weit auf für Christus! Habt keine Angst“, hatte Wojtyła nach seiner Wahl zum Papst im Oktober 1978 gerufen. Bereits acht Monate später, als er zum ersten Mal im Triumphzug durch seine Heimat reiste, zeigte sich die politisch-programmatische Sprengkraft dieses Rufes. Die Gewerkschaft Solidarność, die danach entstand, empfand sich als ebenso katholisch-fromm wie politisch-rebellisch. Umsichtige „Beratung“ aus dem Vatikan, landes- wie systemkundige Diplomatie im Hintergrund, diskrete, aber massive westliche Finanzhilfe über die Vatikanbank IOR: Da kam einiges zusammen unter dem richtigen Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Dass dieser Mensch mehr im Auge hatte, Menschenrechte, Kampf gegen die Armut beispielsweise, dass er dem damals siegestrunkenen Kapitalismus harte, aus heutiger Sicht prophetische Mahnungen entgegenschleuderte – in seiner Sozialenzyklika „Centesimus annus“ – das hat die Welt lieber gleich vergessen.

Aus kleinen Verhältnissen

Beide, Roncalli wie Wojtyła, stammten aus kleinbürgerlichem Haus. Der Italiener wurde 1881 hineingeboren in die vierzehnköpfige Kinderschar einer ärmlichen Bauernfamilie in der Alpengegend von Bergamo. Der Pole kam 1920 als Sohn eines k.u.k. Unteroffiziers in Wadowice zur Welt. Bestimmender war etwas anderes: Während sich die Kindheit Roncallis tendenziell als breiter, ruhiger Familienfluss darstellte, brach für Wojtyła diese Basis schon sehr früh weg: Als Achtjähriger verlor er seine Mutter, als Zwölfjähriger seinen Bruder, als 21-Jähriger seinen Vater.

Roncalli wie Wojtyła wurden früh entdeckt von Bischöfen, die ihr Talent erkannten, sie förderten und – wichtige Netze webend – dafür sorgten, dass sie ihre Studien in Rom vollendeten. Wojtyła kehrte dann als Bischof von Krakau in seine Heimat zurück; Roncalli gelangte durch Bekanntschaft mit Pius XI. in den diplomatischen Dienst des Vatikans. Aber weil die aristokratische Kurie den Bauernsohn für naiv hielt, schickte sie ihn dahin, wo der Pfeffer wuchs: als Apostolischen Delegaten (1925) nach Bulgarien, 1934 in Atatürks Türkei. Als Päpste „von außen“ erweiterten Roncalli wie Wojtyła den Horizont des engstirnigen Vatikans, wie man es zuvor nicht erlebt hat.

Für Roncalli, damals Patriarch von Venedig, schlug die Stunde am 28. Oktober 1958, als er 76 Jahre alt war – genauso wie Papst Franziskus 2013 bei seiner Wahl. Eigentlich suchten die Kardinäle damals einen kurzlebigen, ruhigen Übergangspapst. Sie ahnten nicht, dass Kirche und Welt in Johannes XXIII. einen ganz anderen Übergang bekommen würden, einen – wie sich in der sofortigen, überschäumenden Begeisterung zeigte –, von dem sie schon lange geträumt hatten.

Johannes Paul II. war bei seiner Wahl am 16. Oktober 1978 erst 58 Jahre alt; sein Pontifikat währte fünfmal so lang wie jenes von Angelo Roncalli – und er hinterließ seine Kirche fast so, wie Johannes XXIII. sie vorgefunden hatte: auf die Figur des Papstes zugespitzt, sich um sich selbst drehend und vor sich einen Berg angestauter Reformerwartungen.

In Italien kommt gleich am Montag nach dem Fest für Johannes XXIII. und Johannes Paul II. der erste von drei Filmen über Papst Franziskus in die Kinos. Die Begeisterung über den Wandel webt bereits neue Heiligenlegenden.

Heiligsprechung

Höhepunkt am Sonntag ist ab zehn Uhr die sogenannte Heiligsprechungsmesse auf dem Petersplatz mit Papst Franziskus. Unmittelbar nach dem Bußakt beginnt der eigentliche Ritus der Heiligsprechung. 150 Kardinäle und 1500 Bischöfe aus aller Welt werden mit Pilgern feiern.

Steckbrief Johannes XXIII.

Geburt
Angelo Giuseppe Roncalli wurde am 25.11. 1881 in der italienischen Provinz Bergamo geboren.

Kardinal
Im Jänner 1953 wurde er zum Patriarchen von Venedig ernannt.

Papst
Am 28. 10. 1958 wurde er als Nachfolger von PiusXII. zum Papst gewählt und gab sich den Namen JohannesXXIII.

Konzil
Auf seinen Wunsch hin wurde am 11.10.1962 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet.

Tod
Noch vor Ende der Konzilsberatungen erlag Johannes XXIII. am 3.6.1963 einem Krebsleiden.

Selig
Johannes Paul II. hat Johannes XXIII. im September 2000 seliggesprochen.




SteckbriefJohannes Paul II.

Geburt
Karol Wojtyła wurde am 18.5.1920 im polnischen Wadowice geboren.

Kardinal
1964 wurde er zum Erzbischof von Krakau ernannt, 1967 kreierte ihn Paul VI. als Kardinal.

Papst
Nach dem überraschenden Tod von Johannes Paul I. wurde der Pole als erster Slawe am 16.10.1978 zum Papst gewählt. Er gab sich den Namen Johannes Paul II.

Tod
Am 2. 4. 2005 starb Johannes Paul II. nach langem, öffentlich sichtbarem Leiden.

Selig
Benedikt XVI. hat seinen unmittelbaren Vorgänger im Mai 2011 seliggesprochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2014)

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