Comics: Schwarze Krimis in bunten Farben

Comic, Krimi
Comic, Krimi(c) Edition 52
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Der Krimiautor Jean Vautrin ist ein Sprachkünstler: Zwei starke Graphic-Novel-Adaptionen versuchen nun, seinen furiosen Stil in angemessen wilde Bilder zu übertragen.

Aus Billy the Kid machte Jean Vautrin kurzerhand „Billy-ze-kick“: Diesen so lustigen wie bösen Banlieue-Krimi erzählte Vautrin übrigens zu einem Gutteil aus der Perspektive eines kleinen Mädchens mit Sprachfehler, dessen lispelnde Ausdrucksweise dem Text automatisch absurde Schlagseite gab. Das war 1974, in Frankreich war eine große Krimi-Renaissance unter dem Schlagwort „Neo-Polar“ im Gange, und Vautrin wurde mit Büchern wie „Billy-ze-kick“ oder „Bloody Mary“ zum gefeierten artistischen Grenzgänger der Bewegung: Er baute nicht nur originelle Plots und kostete die sozialsatirischen Aspekte des Genres genüsslich aus, sondern er etablierte sich als der Sprachkünstler dieser Welle, dessen surreale Wortspielerei eher an Dichter wie Raymond Queneau („Zazie in der Metro“) anschloss.

Das besondere Vautrin-Flair

Zuvor hatte Vautrin unter seinem wirklichen Namen Jean Herman Filmkarriere gemacht: 1957 war er Regieassistent bei Roberto Rossellinis Doku „India, Matri Bhumi“, später inszenierte er selbst, etwa den feinen Krimi „Adieu l'ami“ (1968) mit Alain Delon und Charles Bronson. Er zeichnete auch noch für Drehbücher wie zum Romy-Schneider-Klassiker „Das Verhör“ (1982) verantwortlich, als er sich schon hauptsächlich dem Verfassen ungewöhnlich geschriebener Romane zugewandt hatte. Die Adaption von Vautrin in Comicform ist aufgrund seiner literarischen Ambitionen also besonders tückisch. Die eben erschienene Graphic Novel „Der Mann, der sein Leben ermordete“ von (Emmanuel) Moynot nach einem 2001 publizierten Buch trägt das besondere Vautrin-Flair schon im paradox klingenden Titel. Den man aber schnell versteht: Es geht um die Rache eines Mannes, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis alle Leute eliminiert, die er kannte und die er für seine verpfuschte Existenz beschuldigt – als könnte er so seine Biografie auslöschen.

Es wäre kein Vautrin-Plot, würde sich der Handlungsstrang nicht hinterhältig mit anderen kreuzen, mit buchstäblich fatalen Folgen: Ein chronisch erfolgloser Detektiv und ein Polizist, der sich mit dem ganz großen Coup zur Ruhe setzen will, geraten in die Affäre, rundherum sorgen schwer gewissenlose Menschenhändler und leichte Mädchen für ein angemessen schwarzes Gesellschaftsbild.

Ein klassischer „Roman noir“ also, gespickt mit sarkastischem Humor und grausamen Volten, von Moynot griffig in eine schnörkellose Serie stimmiger Düsterbilder gesetzt, deren einziger Schwachpunkt es ist, dass sie etwas zu sehr an Frankreichs Comicgiganten Jacques Tardi erinnern, der einst Moynot als seinen Nachfolger bei den Comicversionen der klassischen Nestor-Burma-Krimis lanciert hatte. Tardi wagte sich Anfang der 2000er auch als erster Zeichner an eine Vautrin-Adaption, wenn auch eines Historienstoffs: Der große Vierteiler „Die Macht des Volkes“ über die Pariser Kommune gilt inzwischen als Neoklassiker.

Wo Moynot nicht ganz aus dem Schatten Tardis zu treten vermag (was keine Schande ist), legt ein zweiter französischer Comicveteran mit seiner Vautrin-Krimiadaption ein Hauptwerk vor: „Bleierne Hitze“ vom 66-jährigen Baru (der Künstlername von Hervé Barulea) paart das zeichnerische Talent eines alten Hasen mit dem Elan eines jungen Wilden. Baru hat einen noch gemeineren, darin auch noch komischeren Vautrin-Krimi gewählt: „Canicule“, 1982 geschrieben, 1984 von Yves Boisset mit Lee Marvin als „Dog Day – Ein Mann rennt um sein Leben“ verfilmt, über einen US-Killer, der nach einem erfolgreichen Millionencoup seine Spießgesellen ausschaltet und auf einer entlegenen Farm in der französischen Provinz strandet.

Was ein perfektes Versteck vor der nachrückenden Polizei zu sein scheint, wird zur teuflischen Falle: Auf der Farm herrscht ein versoffener Patriarch mit brutaler Hand über die Familie, nicht nur dessen Frau hat längst genug. Gewalt schwelt über den sonnigen Feldern, noch bevor der Eindringling entdeckt wird. Dazu kommen u. a. eine zurückgebliebene, aber sexsüchtige Twen-Tochter und ein kleiner Bub sowie Möchtegern-Gangster, der die versteckte Millionenbeute findet.

Dynamische Bilder, groteske Figuren

Es geht ganz gnadenlos um Gier – aber Baru taucht nicht in die Schwärze dieser Welt ein, sondern lässt sie in brillant eingesetzten, aquarellierten Farben in buntesten Tönen erstrahlen, so grell wie giftig. Mit ähnlich bösem Witz zeichnet er auch die Figuren, deren groteske Aspekte sich oft in kühnen Deformationen ausdrücken: Die Dynamik der Bilder, gepaart mit der unnachgiebig vorwärtsdrängenden Erzählung, vermitteln das Gefühl eines unwiderstehlichen Sogs, dem sich weder die Figuren (in den meisten Fällen mit tödlichen Folgen) noch die Leser (mit hoffentlich nicht so drastischem Resultat) entziehen können. Die Latte liegt jedenfalls hoch: Denn wie man hört, wird demnächst niemand Geringerer als Jacques Tardi selbst einen Vautrin-Krimi-Comic vorlegen.

„Bleierne Hitze“ von Baru und Jean Vautrin (116 Seiten); „Der Mann, der sein Leben ermordete“ von Moynot und Vautrin (112 S.), beide von Edition 52, je 20 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2014)

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