Interview

„Wir brauchen eine Bauwende“

Laura Holzberg, künstlerische Leiterin des Deutschen Architektur-Zentrums DAZ, kuratierte die West-Ausstellung gemeinsam mit der Plattform Baukulturpolitik.
Laura Holzberg, künstlerische Leiterin des Deutschen Architektur-Zentrums DAZ, kuratierte die West-Ausstellung gemeinsam mit der Plattform Baukulturpolitik.Till Budde
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Wie kann man Altbauten sinnvoll erhalten? Laura Holzberg vom Kuratorenteam der Ausstellung „Sorge um den Bestand – Zehn Strategien für die Architektur“ im West/Alte WU Wien von 20. September bis 26. Oktober.

Die Presse: Neubauten werden oft lieber verwirklicht als Sanierungen. Welche Gründe sprechen für den Erhalt von Altbauten?

Laura Holzberg: In Deutschland fallen pro Kopf und Jahr mehr als 2,5 Tonnen an Bau- und Abbruchmaterial an. (In Österreich sind die Zahlen im Vergleich ähnlich.) Gleichzeitig verursacht der Bausektor zirka 40 Prozent aller globalen Emissionen. Abgesehen davon ist der Abriss extrem ressourcenintensiv, es wird dabei viel graue Energie – die in Gebäuden gebündelte Energie, die für Bau, Herstellung und Transport der Materialien aufgewendet wurde – vernichtet. Wird ein Gebäude neu gebaut, dauert es 80 bis 100 Jahre, bis diese wieder eingespart wird. Es geht immer ein Teil der Geschichte und Kultur verloren. In vielen ländlichen Regionen sind die Zentren verödet, da Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese errichtet wurden und der Bestand im Ortskern leer steht. Gleichzeitig wird damit die Versiegelung der Böden fortgesetzt. Aus diesen und anderen Gründen brauchen wir eine Kehrt- und Bauwende.

Wenn es so viele Gründe für den Erhalt des Bestandes gibt, warum muss er dann weichen?

Auch dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen ist ein Abriss einfach, weil er oft nicht reguliert ist. Zum anderen sind die Kosten für Abriss und Entsorgung relativ gering. Oft wird auch argumentiert, dass ein Neubau günstiger sei als die Sanierung eines Bestandsgebäudes. Das stimmt aber nicht immer, da es oft nur kleiner Eingriffe bedarf, um ein bestehendes Gebäude wieder lebenswert zu machen. Ein weiterer Punkt ist, dass es bei Neubauten einfacher ist, die vorgeschriebenen Standards zu erfüllen. Dazu kommt, dass wir in einer Wegwerfgesellschaft leben: Der Glaube, dass Neues besser ist als Gebrauchtes, gilt auch oft für Gebäude.

Es gibt einen Spruch: Bist du reich und dumm, kauf dir ein altes Haus und bau es um …

Ich bin sehr zuversichtlich, dass künftige Umbauprojekte hier Gegenteiliges beweisen werden. Ein Bestandsgebäude aufzugreifen ist natürlich immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Das betrifft die konstruktive Struktur des Gebäudes genauso wie Schadstoffe, die darin enthalten sind, oder Abnutzung und Mängel. Umso wichtiger sind eine genaue Bestandsaufnahme und eine behutsame Planung und Umsetzung, um gelungene architektonische Lösungen zu finden.

Gibt es einen Punkt, an dem selbst Sie als Verfechterin des Bestandes für einen Abbruch stimmen würden?

Ich bin eine Verfechterin eines ­Abrissmoratoriums. Damit sollte grundsätzlich einmal der wahllose Abriss von Gebäuden verhindert werden und im Einzelfall geprüft werden, ob ein Erhalt sinnvoll ist.

Sollte das auch für Kauf- oder Parkhäuser und ähnliche Immobilien gelten?

Ja. Selbst Gebäude, die zunächst nicht so einfach nutzbar scheinen, können mit Kreativität von Architekten transformiert werden. Ein Parkhaus kann zur urbanen Farm werden, die das Grätzel lokal versorgt, ein Kaufhaus könnte auch ein Ort zum Arbeiten und Wohnen sein.

Wie könnte die von Ihnen erwähnte Kehrt- und Bauwende erreicht werden?

Es braucht für alle Beteiligten – vom Architekten bis zum Bauherrn und der Politik – einen Perspektivenwechsel. Wir müssen weg von der Schnelllebigkeit hin zu einem achtsamen Umgang mit dem, was vorhanden ist. Dazu gehört es, die Rahmenbedingungen ein wenig zu ändern: Architekten können ein Gebäude nur dann transformieren, wenn die Vorschriften, natürlich unter den notwendigen Sicherheitsaspekten, angepasst werden. Etwa, was die Verwendung gebrauchter Materialien betrifft. Derzeit werden beispielsweise die graue Energie und die Emissionen, die für die Herstellung der Baumaterialien, für den Transport und die Errichtung des Neubaus anfallen, nirgends berücksichtigt. Ich denke, es ist Aufgabe der Politik, Anreize für den Erhalt des Bestandes zu schaffen. Auch beim Handwerk würde es mehr Expertise brauchen, beispielsweise, wie alte Kastenfenster, Treppengeländer und ähnliches erhalten werden können.

Wenn doch neu gebaut wird: Wie sorgt man dafür, das Neubauten, die ja der künftige Bestand sind, einmal erhalten bleiben?

Dazu muss man langfristig denken: Es geht einerseits darum, Strukturen und Flexibilität zu schaffen, um später eine noch nicht bekannte Nutzung zu ermöglichen. Genauso braucht es dafür eine solide, tragfähige Grundstruktur. Andererseits sollten nachhaltige Materialien im Sinne der Kreislaufwirtschaft, also keine Verbundmaterialien, verbaut werden.

Ausstellung & Buch

Die Ausstellung „Sorge um den Bestand - Zehn Strategien für die Architektur“ des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten BDA in Kooperation mit der Plattform Baukulturpolitik ist von 20. September bis 26. Oktober 2023 (Mo-Sa, 14-19 Uhr) im West/Alte WU, Augasse 2-6, 1090 Wien zu sehen. Namhafte Architekten und Urbanisten plädieren für ein Weiterdenken und achtsames Reparieren von gebauten Lebensräumen und Wohnkulturen und zeigen, wie sich neue Perspektiven im urbanen und regionalen Kontext durch vernetzte Ansätze, durch gemeinwohlorientierte Kooperationen und durch Beteiligungskonzepte ergeben. west-space.at

Das gleichnamige Buch der Herausgeber Olaf Bahner, Matthias Böttger und Laura Holzberg für den Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA erschien 2020 im jovis-Verlag.


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