Wenn Medikamente nicht zur Verfügung stehen, werden sie von Apotheken organisiert oder in eigenen Labors selbst hergestellt.
Im Jahr 2017 fehlte in weiten Teilen der EU die Antibiotika-Kombination Piperacillin/Tazobactam, die gegen resistente Keime eingesetzt wird. Der Grund: In China war eine Fabrik explodiert. 2018 wurde der Blutdrucksenker Valsartan zurückgerufen. Es hieß, die Tabletten seien bei der Herstellung in China verunreinigt worden. Im April 2020 warnte die European University Hospital Alliance davor, dass die Vorräte an Anästhetika, Antibiotika und Medikamenten, die als mögliche Therapien gegen Corona getestet werden, bald nicht mehr ausreichen könnten. Und zu Beginn dieses Jahres sorgte die Nachricht, dass das Krebsmedikament Tamoxifen knapp wird, für Wirbel. Viele Hersteller hatten die Produktion eingestellt, weil sie wohl nicht mehr rentabel ist.
Lebensbedrohliche Engpässe
Die Beispiele zeigen, dass Arzneimittelknappheit kein neues Phänomen ist. Neu ist aber spätestens seit der Coronapandemie, dass viele wichtige Medikamente auf einmal fehlen, auch „Allerweltsmedikamente“.
Laut dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) sind in Österreich aktuell rund 600 Produkte nicht oder nur eingeschränkt verfügbar, eine Zahl, die mit der Covid-Krise massiv gestiegen ist. Die Palette reicht von Antibiotika über Schmerzmittel und Blutdrucksenker bis hin zu Präparaten, die zur Behandlung von Krebserkrankungen eingesetzt werden. Die Rede ist also von Therapeutika, die teils bei schwerwiegenden Erkrankungen eingesetzt werden – und bei denen die Unterversorgung für Menschen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen kann.
Abhängigkeit von Asien
Die Situation ausschließlich an den Rahmenbedingungen rund um die Pandemie festzumachen, greift laut den meisten Experten deutlich zu kurz. Lieferengpässe bestanden bereits zuvor und werden auch in Zukunft ein Problem darstellen. Die Ursachen für Arzneimittelknappheit sind multifaktorieller Natur.
Zu den größten Problemen zählt zweifellos der Umstand, dass die EU-Länder im Bereich der Arzneimittel zunehmend von Drittländern, hauptsächlich von China und Indien, abhängig sind. So kommen heute etwa 80% aller Wirkstoffe aus Indien und China. Während 1980 noch etwa 80% der aktiven pharmazeutischen Wirkstoffe (Active Pharmaceutical Ingredients; APIs) in den heutigen EU-Ländern hergestellt wurden, sank diese Zahl kontinuierlich auf unter 20 %. Knapp zwei Drittel (63 Prozent) aller Herstellerzulassungen (CEP) für generische Wirkstoffe liegen mittlerweile bei asiatischen Herstellern. Der europäische Anteil beträgt 33 Prozent. Vor 20 Jahren betrug laut einer Studie im Auftrag von progenerika das Verhältnis noch bei 59% zu 31%. Für rund ein Sechstel der in der Studie untersuchten generischen Wirkstoffe gibt es keine europäischen Herstellungsstätten. Verschärfend wirkt, dass häufig bestimmte Wirkstoffe nur noch in wenigen Regionen bzw. Provinzen oder von ein, zwei Herstellern produziert werden.
Monopolisierung
Hersteller reduzieren ihr Sortiment und nehmen weniger lukrative Präparate vom Markt. Zieht sich ein Zulassungsinhaber zurück, können die betroffenen Marktanteile nicht kurzfristig von den weiteren Marktteilnehmern übernommen werden. Auch der Zusammenschluss von Pharmaunternehmen verstärkt diese Entwicklung. Durch Fusionen werden gewisse Wirkstoffe zunehmend nur noch von einem Unternehmen hergestellt und das oft auch nur mehr an einem einzigen Ort.
Die Folgen dieser Entwicklungen sind heute spürbar. Durch die Konzentration der Produktion ist das System insgesamt fragil geworden. Sofern sich diese Rahmenbedingungen nicht ändern, wird man sich am Standort Europa auf den regelmäßigen Einbruch von Lieferketten wohl einstellen müssen.
Geopolitische Faktoren
- 80% der Arzneimittelwirkstoffe werden in China und Indien hergestellt.
- 40% der in Europa verkauften Fertigarzneimittel kommen aus China und Indien.
- Aus China und Indien kommen 60% der weltweiten Produktion von Paracetamol. Bei Penicillin sind es sogar 90%, bei Ibuprofen 50%.