Buch der Woche

Es steht alles leer: Das Sterben eines Ortes

Erhielt 2019 für ihr Hörspiel „Höllenkinder“ den Prix Europa: Gabriele Kögl, geboren 1960 in Graz.
Erhielt 2019 für ihr Hörspiel „Höllenkinder“ den Prix Europa: Gabriele Kögl, geboren 1960 in Graz.Foto: G. Ankenbrand
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Ein Einkaufszentrum zerstört die Infrastruktur einer Kleinstadt: Von den Folgen des Turbokapitalismus, dem Aussterben von Ortskernen und dem Scheitern der Männer in der Provinz erzählt Gabriele Kögl in ihrem Roman „Brief vom Vater“.

Südsteiermark, Kleinstadt, Einkaufspark: Das sind die Koordinaten von Gabriele Kögls Roman „Brief vom Vater“. Die geübte Leserschaft denkt angesichts dieses Titels an Kafka, dessen „Brief an den Vater“ auch einschlägig zitiert wird, bevor sich im Akt des ersten Umblätterns der Vorhang dieses Textes hebt und den Blick öffnet auf einen hochdramatischen Einstieg: einen Selbstmord. Ein Beginn wie eine feste Hand an der Kehle.

Was folgt, wird vielen, die in den Provinzen Europas Lebenserfahrung gemacht haben, bekannt sein – unangenehm bekannt. Denn ausgehend vom Plastiksack, den sich der eben vierzig gewordene Severin über den Kopf gezogen hat, rollt Kögl eine Kürzestgeschichte dessen aus, was diesen Provinzen im ausgehenden 20. Jahrhundert zugestoßen ist. Dessen späte Jahre mögen keine Nachkriegsjahre gewesen sein, aber es waren Jahre der Devastierung von Ortskernen und Lebenszusammenhängen im Zeichen turbo­kapitalistischer Gleichmacherei. Stichwort: Einkaufszentrum.

In Schützenkönig verschaut

Gabriele Kögl umreißt die Geschichte scharfkantig, beinahe in Form eines Berichts. Ausgehend vom Ende Severins, rollt sie die Geschichte seiner Mutter auf, von Rosa, die sich als junge Friseurin – wir befinden uns zu Beginn in der Zeit belebter Innenstädte, das Bürgertum schielt noch nach Großbürgertum – in einen Schützenkönig verschaut, an seiner Seite aus dem Bezirksblatt lachen darf. Sie wird schwanger, die beiden heiraten schnell. Severin kommt auf die Welt. Der Vater ist unfähig, jenseits von Zielschießen und Fernsehabenden zu Entspannung und Unterhaltung zu finden; bald wird es Rosa zu eng. Sie reagiert auf die Anbahnungsversuche des örtlichen Drogeriebesitzers und erlebt durch ihn das Milieu, in dem Ehefrauen in teuren Boutiquen shoppen, sich wohlhabende Männer zusammen eine kleine Yacht kaufen.


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