Unternehmen erwarten sich „unternehmerisch denkende“ Mitarbeitende – doch in der Praxis zeigt sich: Auch Top-Ausgebildete verfügen nicht zwingend über großes Finanzwissen.
Diese Zahlen geben wenig Grund zum Optimismus. Bei einer Umfrage der Wiener Wirtschaftskammer wurde kürzlich deutlich: Ein Drittel der Befragten kann Grundfragen zum Umgang mit Geld nicht richtig beantworten. Darunter Fragen wie: „Was bedeutet ein Kredit mit variablem Zinssatz?“ Zu ähnlichen Ergebnissen kamen OECD und Nationalbank vor drei Jahren.
Ein noch drastischeres Bild zeichnete vor wenigen Wochen das Institut für Höhere Studien (IHS). Bei dessen Umfrage scheiterte die Hälfte der Befragten an den Fragen. Bemerkenswert – beziehungsweise alarmierend – ist, dass das Finanzwissen in allen Altersstufen gleichmäßig mangelhaft ausgeprägt ist.
Drastisch bringt es auch Matthias Schulmeister, Geschäftsführer der auf Finanz-, Immobilien- und IT-Jobs spezialisierten Personalberatung Schulmeister Management Consulting, auf den Punkt. Vielen, auch vielen Uni-Absolventen würde grundlegendes Finanz- und Wirtschaftswissen fehlen. Universitäten und Fachhochschulen würden in sehr unterschiedlicher Qualität Überblickswissen vermitteln und Studierende darin lehren, (wirtschaftliche) Zusammenhänge zu sehen.
Plug’n’play spielt es nicht
„Die Unternehmen erwarten sich zusehends fertig ausgebildete Leute“, sagt Schulmeister, „die wie plug’n’play funktionieren sollen.“ Eine Anforderung, die immer schwieriger zu erfüllen sei, weil Systeme immer komplexer werden und eine entsprechende Einarbeitung und Lernprozesse erfordern. Er rät Unternehmen, vorausplanend einzustellen – auch, um Zeit für die Einschulung zu haben und Nachhilfe in Finanzwissen zu geben. Er vergleicht die vorausschauende Personalplanung mit der Lieferkettenthematik: Wer nur wenig Ware vorhalte, müsse darauf hoffen, dass alle Lieferungen rechtzeitig und entsprechender Qualität eintreffen.
Eine „Bereitschaft zum ständigen Lernen sehe ich bei den Berufseinsteigenden zunehmend stärker ausgeprägt“, sagt Madeleine Bauer-Eder, CHRO bei IBM. Auch die Bereitschaft zur Kollaboration sei eine Kompetenz, die Berufseinsteigende vermehrt mitbringen würden.
„Den Rahmen zu schaffen für kontinuierliches Lernen ist aus meiner Sicht eine wesentliche Verantwortung seitens der Unternehmen.“ Dazu gehört es, ein attraktives Weiterbildungsangebot – auch zum Ausbau von Wirtschaftswissen – zur Verfügung zu stellen. Um Weiterbildung zu priorisieren, hätten die Mitarbeitenden bei IBM die Möglichkeit, ihre wirtschaftlichen und technologischen Kompetenzen innerhalb der Arbeit bzw. der Arbeitszeit durch Shadowing & Mentoring, Coaching, Ideenwettbewerbe und weitere praktische Gelegenheiten zu erweitern.
Wenig überraschend ist für Bettina Fuhrmann, Professorin und Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien, dass Unternehmen auf sie zukommen und über Finanzbildung für ihre Mitarbeitenden mit ihr sprechen. Zuletzt erlebte sie das bei der Eröffnung des Zentrums für Finanzbildung Anfang September in Wien. Auch sie stellt fest, dass akademisch Gebildete mitunter unsicher werden, wenn es um Zinsthemen oder Risikodiversifikation geht. Selbst unter ihnen stelle sich immer wieder die Frage, „ob sie das Wissen auf die eigene Lebenssituation umlegen können“. Das neue Zentrum, das Fuhrmann leitet, beschäftigt sich aktuell mit dem Finanzwissen bei Frauen in diversen Lebensphasen und bei Lehrlingen. Letztere Gruppe sei interessant, sagt Fuhrmann, weil sie jung sei, tendenziell über geringes Finanzwissen verfüge und bereits Einkommen beziehe.
An Initiativen mangelt es nicht: So bildet die WU Finanzbildungscoaches aus, der Erste Financial Life Park in Wien leistet Aufklärungsarbeit, zahlreiche Stiftungen liefern breite Angebote, die Nationalbank stellt für Schulen Material zur Verfügung. Und das Finanzministerium hat vor zwei Jahren die Nationale Finanzbildungsstrategie beschlossen. Kürzlich zog man Zwischenbilanz: 135 Maßnahmen wurden bislang umgesetzt.
Infos: bmf.gv.at; wu.ac.at/zentrum-fuer-finanzbildung; stiftung-wirtschaftsbildung.at; eurologisch.at; financiallifepark.at
Lexikon
Die nationale Finanzbildungsstrategie für Österreich definiert den Begriff „Finanzbildung“ so: Eine Kombination aus finanziellem Bewusstsein, Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen, die notwendig sind, um fundierte finanzielle Entscheidungen zu treffen und letztendlich individuelles finanzielles Wohlergehen zu erreichen und zur nachhaltigen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen.