Vor manchem haben wir eine übertriebene Angst, von anderem sind wir wie besessen. Aber wo kommen unsere Marotten her? Zu dem staunenswerten „Buch der Phobien und Manien“ von Kate Summerscale.
Noël Coward konnte sich nur noch wundern. 1965 erlebte der britische Theaterautor in einem Stadion in Rom ein Konzert von „vier harmlosen, eher lächerlich aussehenden jungen Männern“, die das Publikum zu einer „Massenmasturbastionsorgie“ hinrissen. Diese „Beatle-Mania“ wiederholte sich nicht nur später, im „Bieber Fever“ oder in Exzessen der Begeisterung für Boy Bands. Sie hatte auch ihre Vorläufer in scheinbar weitaus gesitteteren Zeiten: Von einer „Listzomanie“ berichtete schon 1844 Heinrich Heine als Korrespondent einer deutschen Zeitung in Paris. Die weiblichen Bewunderer des gut aussehenden Pianisten habe damals „eine wahre Verrücktheit“ befallen. Sie riefen während der Darbietung laut dazwischen und stampften rhythmisch mit den Füßen. Hernach setzen sie alles daran, um an Objekte ihres Idols zu gelangen: Liszts Haarsträhnen, Zigarettenstummel und sogar die Saiten seines Klaviers.
Nichts Neues unter der Sonne also. Niemand ist vor Verrücktheiten gefeit, und gerade das ganz und gar Absonderliche macht uns Menschen zu den faszinierenden Wesen, die wir sind: Dieser freundliche Tenor durchzieht das „Buch der Phobien und Manien“ von Kate Summerscale, das soeben auf Deutsch erschienen ist. Die englische Autorin spickt ihre „Geschichte der Welt in 99 Obsessionen“ mit so vielen kuriosen Anekdoten, dass die Lektüre genug Plauderthemen für zehn Cocktailpartys liefert. Aber sie spart auch das Seelenleid jener nicht aus, die echte pathologische Zwänge plagen.