600 Kinder und Jugendliche werden in einer neuen Wiener Ambulanz psychisch betreut. Ein Zeichen des Wandels in der Psychiatrie.
Wien. Zu wenige Betten, zu wenige Fachärzte, zu lange Wartelisten: Die psychische Gesundheit der Kinder ist spätestens mit Beginn der Pandemie eine offene Baustelle im Gesundheitssystem. In Wien will man nun mit einem weiteren kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulatorium einen Teil der Versorgungslücke schließen. Am Montag wurde – neben zwei bereits bestehenden in der Landstraße und in Hietzing – das dritte städtische Ambulatorium in der Lassallestraße 3 nahe dem Praterstern eröffnet.
600 Kinder und Jugendliche sollen hier pro Jahr behandelt und betreut werden – eben ambulant und nicht stationär im Spital. Dies sei – wenn es das Krankheitsbild erlaubt – vor allem bei jungen Menschen stets vorzuziehen, „damit sie in ihrer Lebensrealität bleiben können“, sagte Ewald Lochner, Chef der Psychosozialen Dienste, bei einer Pressekonferenz am Montag.
Schwerpunkt Magersucht
Neben dem Ambulanzbereich, der als Anlaufstelle für alle Erkrankungsbilder dient, bietet die Einrichtung auch eine Tagesklinik für zwölf Patienten, die jeweils über einen Turnus von etwa 10 Wochen behandelt werden. Ein Schwerpunkt wird dabei auf Magersucht gelegt, eine Erkrankung, die in den vergangenen Jahren bei Jugendlichen stark zugenommen habe, schilderte Doris Koubek, die neue ärztliche Leiterin des Zentrums.
Sechs Klinikplätze sind allein für Anorexie-Patientinnen vorgesehen, die anderen sechs Plätze für schulpflichtige Kinder zwischen sechs und 15 Jahren. Auch Depressionen, Angststörungen und Suizidgedanken seien seit der Pandemie markant gestiegen, so Koubek. Außerdem wird von dem Ambulatorium aus auch das sogenannte „Home Treatment“ durchgeführt, bei dem ein Behandlungsteam zu den Patienten nach Hause kommt. Im Ambulatorium arbeiten neben drei Psychiaterinnen auch Sozialarbeiter, Klinische Psychologinnen, Sozialpädagogen und Ergotherapeutinnen.
Zeitenwende
Mit diesen ambulanten Modellen sei man mittlerweile „wesentlich erfolgreicher in der Behandlung als mit klassischen, stationären Versorgungseinrichtungen“, sagte Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Für die psychiatrische Gesundheitsversorgung bedeutet das einen Wandel: „Man wird den stationären Sektor neu definieren und auch redimensionieren müssen“, so Hacker. Heißt in Zukunft wohl: weniger Betten.
Wobei auch die stationäre Spitalsbehandlung wichtig sei, wie Lochner einwarf. „Diese Betten müssen für jene frei bleiben, die es unbedingt brauchen.“ Um das zu gewährleisten, sollen bis 2029 insgesamt sechs Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien entstehen, zwei werden im kommenden Jahr eröffnet. Die Kosten dafür – die neue Einrichtung am Praterstern erfordert ein Budget von 2,5 Millionen Euro jährlich – teile sich die Stadt gemeinsam mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zu je einer Hälfte.
Weiterhin Fachärztemangel
Ob das Behandlungsangebot auch den Bedarf decke, werde man frühestens 2025 abschätzen können, sagte Lochner. Wartelisten für die Tageskliniken gebe es weiterhin, bis zu einem gewissen Grad sei das auch normal. In den Spitälern habe sich die Lage verbessert, sagte Hacker, Personalnot gebe es in den psychiatrischen Abteilungen nur noch bei den Fachärzten.
Der Gesundheitsstadtrat führte dies auf den Ausbildungsschlüssel von 1:2 zurück: So darf ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie derzeit nur zwei neue Fachärzte gleichzeitig ausbilden. Obwohl dieser Schlüssel erst vergangenes Jahr erhöht wurde, ist dies für die Stadt Wien zu wenig. Sie fordert gemeinsam mit allen anderen Bundesländern vom Bund einen Schlüssel von 1:4. „Warum da der Gesundheitsminister nicht in Bewegung kommt, ist mir ein Rätsel“, so Hacker. Für die Ambulatorien rekrutiere man nun eben aus ganz Europa, so Lochner.
Auf einen Blick
In Wien eröffnet ein drittes Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Lassallestraße 3. Es fungiert als Anlaufstelle für alle Krankheitsbilder, eine Tagesklinik legt den Schwerpunkt auf Magersuchtpatienten.