Bericht aus Brüssel

Anschlag in Brüssel: „Warum hat der böse Mann das gemacht?“

Die belgische Polizei sperrt den Tatort des Terroranschlags von Montagabend in Brüssel ab.
Die belgische Polizei sperrt den Tatort des Terroranschlags von Montagabend in Brüssel ab. Anadolu Agency
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Der radikalislamische Terrorist Abdeselam L. versetzt Brüssel in der Nacht auf Dienstag bis zu seiner Neutralisierung in Schrecken. Wie erklärt man das seinem Kind? Ein Bericht von unserem Brüssel-Korrespondenten.

Brüssel. „Scheiße! Ines ist gerade in den Bus eingestiegen!“ In der Eltern-WhatsApp-Gruppe der Brüsseler Schule geht es rund. Um 6.51 Uhr noch hatte die Direktorin den Eltern per E-Mail verkündet, dass der Unterricht am Dienstag wie gewohnt stattfinden würde. Um 7.14 Uhr dann Kommando retour: „Die Anstalt bleibt geschlossen.“ Da war Abdeselam L., der 45-jährige tunesische Islamist, der am Abend zuvor mit einem Sturmgewehr zwei schwedische Fußballanhänger erschossen sowie einen dritten und einen Brüsseler Taxifahrer schwer verletzt hatte, noch auf der Flucht. Das eigene Kind im Schulbus, während ein oder möglicherweise mehrere bewaffnete Terroristen auf den Straßen der Stadt unterwegs sind: Kein beruhigender Gedanke. Wenig später die beruhigende Meldung einer Mutter: Die Schulbusse machen kehrt, die Eltern mögen sich an den Haltestellen einfinden, um ihre Kinder abzuholen.

Also keine Schule. In den Radionachrichten häufen sich die Beschreibungen des Grauens. Ehe kindliche Ohren es hören können, hechte ich zu unserem Internetradiogerät und schalte auf die zarten Barockklänge von Ö1 um. Wie erklärt man all das dem eigenen Kind, das gerade sein Toastbrot bearbeitet? Ich optiere für die möglichst schonende Version: „Ein böser Mann hat zwei Menschen umgebracht, die Polizei sucht ihn, und damit wir sie nicht stören, bleiben wir heute zu Hause.“ „Warum hat er das gemacht?“, fragen mich siebeneinhalb Jahre. Mir fehlen die Worte: „Es gibt leider böse Menschen.“ „Kommt der hier zu uns?“ „Nein, sicher nicht, der ist am anderen Ende der Stadt, viele Kilometer weit weg.“ Damit ist es erledigt, glücklicherweise.

„Ist das nicht fürchterlich?“

Um acht Uhr, in den Morgennachrichten des belgischen Rundfunks (ich habe wieder umgeschaltet) dann die Meldung: Ein Verdächtiger sei in der Brüsseler Gemeinde Schaerbeek „neutralisiert“ worden, habe die belgische Innenministerin, Annelies Verlinden, verkündet. Zwei Stunden später die amtliche Bestätigung: Der Verdächtige war Abdeselam L., und er ist an seinen Schusswunden gestorben. Komplizen gibt es nach derzeitigem Erkenntnisstand der Behörden nicht. Während das Kind den schulfreien Tag nutzt, um sein Zimmer umzugestalten, versuche ich in der Liveschaltung mit Puls24, ein bisschen Ordnung in die Meldungslage zu bringen. Ich las in der Früh, dass Abdeselam L. im Jahr 2016 den belgischen Behörden von einem ausländischen Nachrichtendienst als jemand signalisiert worden war, der radikalisiert sei und bereit, in einer Konfliktzone in den Jihad zu ziehen. „Aber es gab damals täglich Dutzende solcher Meldungen“, sagte Justizminister Vincent Van Quickenborne. Man habe nichts tun können. „Ist das nicht erschreckend?“, fragt mich der sichtlich schockierte Moderator, als ich dies in unserem Interview erwähne. Ja, zweifellos. Die belgischen Sicherheitsbehörden sind, wie wohl alle in Europa, finanziell und personell nicht ausreichend ausgestattet. Aber selbst in knallharten Diktaturen wie Ägypten, Saudiarabien oder Tunesien gibt es immer wieder schwerste Terroranschläge. Kein Polizeistaat kann totale Sicherheit gewähren.

Am Mittwoch sperrt die Schule voraussichtlich wieder auf. Auf dem Programm steht dann unter anderem die jährliche Sicherheitsübung, in der die Kinder lernen, wie sie sich bei einem gewaltsamen Eindringen auf das Schulgelände zu verhalten haben. Sie wurde auf diesen Termin vorgezogen, nach dem radikalislamisch motivierten Mordanschlag eines jungen Tschetschenen auf einen Lehrer an einer Schule im französischen Arras. „Das ist Routine, das machen sie jedes Jahr“, versichert mir eine Mutter. Warum die bösen Menschen all das machen, kann ich meinem Kind noch immer nicht erklären.

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