Im niedergelassenen Bereich soll kein Stein auf dem anderen bleiben. Der Österreichischen Ärztekammer droht nach und nach eine komplette Entmachtung. Diese will sich wehren.
Die Österreichische Ärztekammer ist in Panik. Vereinbarungen in den derzeit stattfindenden Verhandlungen zum Finanzausgleich, also der Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, sehen eine beinahe vollständige Entmachtung der Standesvertretung vor.
Würden die Pläne umgesetzt, hätte die Ärztekammer keinerlei Mitspracherecht mehr bei wichtigen Entscheidungen wie etwa der Erstellung des sogenannten Stellenplans. Dieser regelt, in welcher Region welcher Arzt was für eine Kassenordination betreiben darf. Die Kassenstellen würden dann von der Sozialversicherung ausgeschrieben werden – ohne Zustimmung der Kammer (wie bisher).
Auch in manchen Bereichen des Gesamtvertrags soll die Kammer kein Mitspracherecht mehr haben. Das würde bedeuten, dass in Fächern ohne Gesamtvertrag wie etwa Nuklearmedizin/Strahlentherapie und Anästhesie Einzelverträge außerhalb des Gesamtvertrags möglich sind, weil die Länderkammern ihre Vertragskompetenz verlieren würden. Darüber hinaus droht der Kammer der Verlust der Parteienstellung (also Verlust des Mitspracherechts) bei der Gründung von Ambulatorien – mit der Folge, dass Konzerne leichter Ambulatorien gründen können.
Wirkstoffe statt Medikamente
Zudem soll die Wirkstoffverschreibung eingeführt werden. Ärzte würden dann also entweder (wie bisher) bestimmte Medikamente (Markennamen) verschreiben oder nur den Hauptwirkstoff des entsprechenden Medikaments, sodass Apotheker auf andere Präparate mit dem gleichen Hauptwirkstoff – also auf Generika – ausweichen dürfen. Beispielsweise dann, wenn die verschriebene Marke derzeit nicht erhältlich, weil nicht lieferbar ist. Die Ärztekammer ist gegen diese Aut-idem-Regelung. „Aut idem“ steht für „oder das Gleiche“.
Nicht zuletzt sehen die Pläne des Bundes und der Länder vor, dass für Wahlärzte eine E-Card und Elga-Teilnahme verpflichtend sein sollen – inklusive verpflichtender Codierung und Weiterleitung der codierten Daten an die Sozialversicherung. Vielen Wahlärzten ist das – aus verschiedenen Gründen – ein Dorn im Auge.
All diese Änderungen sind ab unterschiedlichen Stichtagen geplant (etwa ab 2025 oder 2026) und sehen kein Einvernehmen mit der Ärztekammer vor. Daher empfiehlt das Kammeramt in einem Brief (er liegt der „Presse“ vor), „Geld in die Hand zu nehmen“ und „so schnell wie möglich eine Kampagne hochzufahren“ – rechtzeitig vor dem geplanten Beschluss dieser Maßnahmen am 22. November im Parlament. Erbeten werden vom Präsidium „bis zu 100.000 Euro“. Ob diese genehmigt werden und über die weitere Vorgehensweise wollen die Gremien der Bundeskurie in einer Sitzung am Mittwochabend entscheiden. Bei einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag forderte die Kammer die Einbeziehung in Entscheidungsprozesse und Rücknahme des Verlusts ihrer Kompetenzen. Man werde sich „nicht gefallen lassen“, dass die Ärztekammer „ausgeschaltet“ wird, damit die Politik „nach Belieben im Gesundheitssystem herumfuhrwerken“ könne.
„Zu glauben, dass die medizinische Versorgung im niedergelassenen Bereich besser wird, wenn die Ärztekammer von allen Planungen und Entscheidungen ausgeschlossen wird, ist ein Trugschluss“, sagte Johannes Steinhart, Präsident der Wiener und der Österreichischen Ärztekammer, bereits im Vorfeld. Für ihn ist es „ein Akt der Respektlosigkeit und auch der Ignoranz, so mit denjenigen umzugehen, die die Versorgung im niedergelassenen Bereich in den vergangenen Jahrzehnten in hervorragender Weise sichergestellt haben“.
„Notwendige Änderungen“
Mit den bekannt gewordenen Plänen konfrontiert, hält sich das Gesundheitsministerium bedeckt. Auf die konkreten Punkte will man dort nicht eingehen. „Bund, Länder und Gemeinden verhandeln bereits seit Anfang dieses Jahres über die Inhalte einer Gesundheitsreform. Die Einigung über den finanziellen Rahmen für den kommenden Finanzausgleich Anfang Oktober ermöglicht nun auch, die Inhalte zu finalisieren“, heißt es auf „Presse“-Anfrage.
Für die Bereiche Gesundheit und Pflege seien mehr finanzielle Mittel des Bundes unter anderem für den niedergelassenen Bereich, den Ausbau von Fachambulanzen, die Digitalisierung und den Pflegefonds vorgesehen. Im Gegenzug würden Strukturreformen zur Verbesserung der Patientenversorgung umgesetzt. „Aktuell stehen wir in engem Austausch mit den Bundesländern und der Sozialversicherung über die notwendigen Gesetzesänderungen für die Strukturreformen. Den Ergebnissen dieser Verhandlungen wollen wir nicht vorweggreifen. Der Finanzausgleich und die damit einhergehende Gesundheitsreform müssen bis Ende 2023 im Parlament beschlossen werden.“
Hacker: „Pläne konterkariert“
Deutlicher wird Wiens Gesundheitsstadtrat, Peter Hacker (SPÖ). „Der Zeitpunkt für diese Aufregung ist ein bisschen merkwürdig“, sagt er. „An und für sich sind all diese Punkte nichts Neues. Der Gesundheitsminister hat diese Punkte in zahlreichen Interviews in den vergangenen eineinhalb Jahren öffentlich artikuliert. Eine große Gesundheitsreform ist es zwar keine, aber es sind Weiterentwicklungen, die einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung der Patienten leisten können oder diese zumindest nicht verschlechtern. Ein endgültiger Gesetzesentwurf dazu liegt bis dato aber noch nicht vor.“
Einen Punkt könne man dennoch exemplarisch hervorheben, und zwar den Stellenplan. „Bund, Länder und Sozialversicherung erarbeiten gemeinsam einen Mindestbedarf in der medizinischen Versorgung bei den Strukturplänen“, so Hacker. „Da gibt es neben dem österreichweiten Strukturplan auch neun regionale Strukturpläne, in denen die Vorgaben heruntergebrochen werden. Parallel dazu gibt es aber Stellenpläne, die von Sozialversicherung und Ärztekammer gestaltet werden. Das war bisher nicht im Einklang miteinander, denn wie kann es sein, dass wir weniger Ärzte – real wie auch im Stellenplan – haben, als in den Strukturplänen eigentlich vorgesehen sind?“ Was der Gesundheitsminister hier richtig erkannt habe, sei, „dass in den vergangenen Jahren diese gemeinsam ausgearbeiteten Mindestbedarfe in der Praxis noch einmal herunternivelliert worden sind. Da geht es auch darum, dass in einem ernsthaften Planungsprozess die Gesamtplanung durch andere Pläne nicht konterkariert werden darf.“
Keine Stellungnahme will die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) abgeben. Die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen. „Da die Sozialversicherung weder Gesetzgeber noch offizieller Verhandlungspartner bei den Finanzausgleichsverhandlungen ist, können wir dazu nichts sagen.“