Blick durchs Fenster auf ein Hakenkreuz: Wir haben uns oft über die Dummheit der Neonazis lustig gemacht.
Antisemitismus

Und ­am Ende ist wieder Rothschild schuld – über drei Formen des Antisemitismus

Der plärrende Hitler erscheint uns wie eine Klamaukfigur, aber Millionen Deutscher und Österreicher haben das ernst genommen, todernst. Hört man heute einen islamischen Religionsführer mit inbrünstigem Zorn gegen die Juden hetzen, ist es dieselbe lächerliche Pose – aber sie ist so beängstigend wie brutal.

Eine Freundin, die die internationalen Nachrichtenkanäle dieser Tage sehr genau verfolgt, schickte mir kürzlich ein Bild, das auf Social Media viral ging: ein kleiner Bub, die Augen zum Himmel gerichtet, zu seinen Füßen der Körper einer Frau, offenbar seine getötete Mutter. Aber ist sie wirklich tot? Das Bild unterscheidet sich schon auf den ersten Blick von der Vielzahl anderer, in der Tat schmerzlicher Bilder aus dem Gazastreifen. Es wirkt inszeniert, und es ist erkennbar, dass viel mit Photoshop gearbeitet wurde. Analysiert man darüber hinaus die Details, lässt sich auch sachlich begründen, dass es sich um ein Fake-Bild handelt. Aber kommt es darauf an? Das Bild soll uns suggerieren: Die, die die Schuld für all das tragen, sind die Juden! Seht, was sie uns antun! Schon ist die erwünschte Wirkung erreicht.

Als Kind habe ich die Frage „Und wer ist schuld?“ alle paar Tage gehört. Sie war ironisch gemeint, liebevoll an mich gerichtet von unserem Nachbarn, der wie ein Großvater zu mir war. „Und wer ist schuld? Der Gerhard!“ Das sagte er gern, wenn es draußen regnete oder wenn er mir etwas Unerhörtes aus der Zeitung vorlas. Er hatte diesen trockenen, immer liebevollen Humor. Aber er war ein alter Nazi. Er und seine Frau – die ich wie Großeltern liebte – waren die einzigen Nazis in meiner Kindheit. Sie waren herzensgute Menschen, aber unverbesserlich in ihrem Weltbild. Wenn ich heute an dieses „Wer hat Schuld?“ denke, dann kann ich mir gut vorstellen, wie ganz anders die Antwort zwanzig, dreißig Jahre vorher noch gelautet haben mochte. Weil es eben so ist.

Ein Running Gag? Wer kennt nicht die Filmkomödie „Er ist wieder da“? Die Szene, in der Hitler als obskurer Wiedergänger ein Fernsehstudio betritt und unvermittelt mit einem Beispiel beginnt: Ein Wagen, in dem er, Goebbels und Göring sitzen, kollidiert auf einer Landstraße mit einem Wagen der SA. „Wer ist schuld?“, fragt Hitler das Publikum, um sogleich mit kräftiger Stimme selbst die Antwort zu geben: „Derrr Jude!“

Schon zu einer Zeit, als man noch nicht darüber lachen konnte, wurde die Irrationalität des Judenhasses mit einem prägenden Vergleich entlarvt, der bis heute Kurt Tucholsky zugeschrieben wird. Einer muss schuld sein – wenn nicht die Radfahrer, dann die Juden. So richtig bekannt wurde das Zitat erst durch den Hollywood-Film „Das Narrenschiff“. „Warum die Juden?“, hält der von Heinz Rühmann gespielte jüdische Kaufmann Löwenthal dagegen. Für einen Filmaugenblick wird die rhetorische Frage zum entwaffnenden Argument. Aber ändert das was?

Schlachtruf der Worte

Logik ist hier bedeutungslos. Der plärrende Hitler erscheint uns wie eine lächerliche Klamaukfigur, und die Inszenierung, mit der das NS-Regime bis in alle Schichten der Bevölkerung hinein funktionierte, eignet sich bestens fürs Kabarett. Aber Millionen Deutscher und Österreicher haben das ernst genommen, todernst. Hört man heute einen islamischen Religionsführer mit inbrünstigem Zorn gegen Israel und die Juden hetzen, ist es dieselbe lächerliche Pose – aber sie ist so beängstigend ernst wie brutal, und sie erreicht Millionen aufgebrachter Menschen, die sofort zu einem neuerlichen Pogrom wie jenem vom 7. Oktober bereit wären. Dem Abschlachten von Menschen geht der Schlachtruf der Worte voraus.


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