Gastbeitrag

An Österreichs Schulen Antisemitismus bekämpfen und Demokratie lernen

Der getrennte Religionsunterricht fördert Separation. Der gemeinsame Ethikunterricht kann hingegen universelle Werte vermitteln.

Wie oft, wenn es sozial brenzlig wird, ertönt ein Ruf an die Schule(n). Aktuell soll der aufpoppende Antisemitismus bekämpft werden. Da trifft es sich ja gut, dass es Ethikunterricht nur für jene Kinder gibt, die keinen Religionsunterricht besuchen und die anderen schön separiert in ihren konfessionellen Gruppen auf ihre partikulären „Werte“ eingeschworen werden.

Im Kampf gegen Rassismus und für Demokratie ginge es gerade darum, in gemeinsamen Erfahrungsräumen universelle Werte zu kultivieren – Gleichheit, Freiheit, Wahrhaftigkeit etwa, und Solidarität. Allerdings lässt sich ethisches Handeln kaum durch Unterricht motivieren. Aristoteles war überzeugt: „Für die sittlichen Betätigungsweisen bedeutet das bloße Wissen wenig oder nichts.“ Sittliche Tüchtigkeit werde durch Übung erlangt und gehe verloren, würde sie nicht aktiv im Leben praktiziert. 

Welche Tugenden lohnen sich?

Von Anfang an schwebt das Damoklesschwert der Auslese über den Köpfen der Kinder, sollen sie doch möglichst früh auf separierte Schienen gesetzt werden. Dafür werden sie immer minuziöser vermessen. Schon im Kindergarten beginnt das Monitoring. In der Volksschule werden dann die Weichen gestellt, wird beinhart ausgelesen, und zwar sozial. So erweist sich im Übergang von der Volksschule zu weiterführenden Schulen der sozioökonomische Status der Eltern als einzig signifikanter Vorhersagefaktor für die Schulwahl. Kinder aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien erhalten bei gleicher Kompetenz die schlechteren Noten und treten mit gleichen Noten seltener in eine AHS über.

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Nach der Volksschule geht es auf getrennte Wege in wesentlich ungleiche Lebenslagen mit ungleicher Lebensqualität und ungleicher Lebenszeit. Völlig ungerechtfertigt – Schulnoten von Zehnjährigen spiegeln kaum die aktuelle Leistungsfähigkeit wider, noch viel weniger erlauben sie Prognosen für spätere Leistungsprofile. Eventuell schon prognostizieren lassen sich Geisteshaltungen derart durch schulische Ausleseprozesse geschleuster Bildungsobjekte. Ziffel in Bert Brrechts „Flüchtlingsgesprächen“ bringt es auf den Punkt: „Vortäuschung von Kenntnissen, schnelle Aneignung von Gemeinplätzen, Schmeichelei, Unterwürfigkeit, usw. usw. – vor allem auch Menschenkenntnis, um erfolgreich täuschen zu können. Alles, was nötig ist, um im Leben vorwärtszukommen“, lerne man in der Schule.
Schlaucherl-Kompetenz ist ja nicht zu verachten! Die demokratische Tugend der Wahrhaftigkeit bleibt allerdings auf der Strecke.

Kinder üben die Spielregeln einer Welt ungleicher Möglichkeiten, werden in erster Linie auf Rivalität getrimmt. Die Voraussetzung jeder höheren Moral, eine sympathische Einfühlung in die Perspektiven Anderer, wird durch Separation in verschiedene Schultypen, getrennten Religionsunterricht, Leistungsniveaus, Deutschklassen oder Knock-out-Klassen geradezu unterbunden.

Für systematisch Deklassierte, mit einer acht Jahre kürzeren Lebenserwartung als die der positiv Ausgelesenen, bleibt der Wert von Demokratie und Menschenrechten notgedrungen unplausibel!

Bildungsapartheid hat Einfluss

Bildungsapartheid bedeutet nicht nur ungleichen Zugang zu Kenntnissen, sie beeinflusst massiv das Selbstbild der Sortierten und damit deren Leistungsfähigkeit. Dies legt eine lange Reihe von sozialpsychologischen Studien zum Phänomen der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ nahe. 

So steigerten Schüler, deren Lehrer fälschlich annahmen, sie hätten es mit „Überfliegern“ zu tun, deutlich ihre Intelligenz. Frauen lieferten nur dann schlechtere Mathematikleistungen als Männer, wenn ihnen zuvor diesbezügliche Erwartungen zugespielt worden waren. Schwarze Amerikaner zeigten im Test nur dann schwächere intellektuelle Leistungen als weiße, wenn sie vorher ihre Hautfarbe anzukreuzen hatten. Indische Kinder niederer Kasten schnitten in Labyrinth-Aufgaben schlechter ab, wenn sie vorweg ihre Kaste angaben.

„Demokratie lernen“ würde inklusive Erlebnisräume erfordern. Moralisch urteilen und handeln übt sich am leichtesten in ­sozial, kulturell und auch leistungsbezogen durchmischten Gruppen. Da tauchen Interessenskonflikte auf, da kann geübt werden, diese vernünftig zu regeln. Da lernen Menschen die eigenen wie die Interessen anderer zu verstehen, einander die unterschiedlichsten Gefühle mitzuteilen, divergierende Ansprüche zu argumentieren. Je früher bereits Kinder zum Perspektivenwechsel aufgefordert sind, desto besser entwickeln sich ihre kognitiven Fähigkeiten.

Wie geht gute Schule?

Seit der reformpädagogischen Bewegung in der Ersten Republik, als der gute Ruf der „Wiener Schulreform“ unter Stadtschulratspräsident Otto Glöckel* Wien international zum Mekka in Unterrichtsfragen gemacht hat. 

In Freien Schulen, Kinderrepubliken, selbstverwalteten Sommerlagern und in der Individualpsychologischen Versuchsschule waren Gewaltfreiheit und ein demokratischer Lebensstil die erklärten Erziehungsziele. Förderung von Fantasie und Gestaltungskraft jedes Kindes, Erzie­hung zur Eigenverantwortung, offene Debatten, gemeinsames Entscheiden und Kooperation bildeten den Rahmen einer Pädagogik ohne Selektionsdruck. Das Who’s who der fortschrittlichen Intelligenz des Landes hat sich an diesem erfolgreichen Aufbruch beteiligt, etwa Oskar Kokoschka, Arnold Schönberg, Hans Kelsen, Alfred Adler und Karl Kautsky.

*Otto Glöckel wurde 1934 an seinem Arbeitsplatz von den Austrofaschisten verhaftet.

Eva Novotny ist Bildungswissenschaftlerin, Psychotherapeutin und Organisations­entwicklerin. Publikationen zu den Themen Lernen und Problemlösen auf individueller wie auf Systemebene.
Letzte Buchpublikation: „Ermächtigen. Ein Bildungsbuch.“ (Peter Lang 2018).

E-Mails an: debatte@diepresse.com


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