Die „Wiener Woche“: Wenn die halbe Stadt auf der Piste ist

Nie sind mehr Wiener gleichzeitig gemeinsam auf Urlaub als in den Semesterferien. Die einen freuen sich, bekannte Gesichter zu sehen. Die anderen sind froh, wenn „die Wiener“ wieder weg sind. Von Friederike Leibl, Duygu Özkan, Karin Schuh, Olivia Barth, Dietmar Neuwirth, Madeleine Napetschnig und Wolfgang Böhm

Die Karawane ist angekommen. Spätestens am vergangenen Samstag wurden die Skiquartiere bezogen, der unvermeidliche Stau hinter sich gelassen und die vertrauten Gesichter begrüßt. Es sind Semesterferien, zumindest in Wien, Niederösterreich und auch in Vorarlberg. Und das bedeutet, dass 530.000 Kinder und Jugendliche schulfrei haben. Ein nicht ganz unbeachtlicher Teil davon verbringt die Semesterferien klassisch: nämlich als Skiurlaub mit der Familie im immer gleichen Hotel.

Das hat einerseits mit den eigenen geliebten Gewohnheiten zu tun, aber noch viel mehr mit denen der anderen: Wer als Frischling mit erstmals schulpflichtigen Kindern ahnungslos in einem der klassischen Familienskigebiete buchen will, merkt: Da hätte man früher draufkommen müssen. Jahre früher. Wer es einmal ins „Radl“ geschafft hat, bleibt drin, bucht am Ende des Urlaubs gleich wieder für das nächste Jahr, für die „Wiener Woche“, wie die erste Ferienwoche im Westen genannt wird.

Es gibt wohl keinen anderen Zeitpunkt im Jahr, wo die Konzentration an Besuchern aus dem Osten des Landes so hoch ist. Das freut die Bundesländer einerseits, weil das den Tourismus und somit das Geschäft ankurbelt. Andererseits hat der Wiener immer noch ein schweres Standing in anderen Bundesländern. Spätestens wenn das einzige Auto, das vom Schneepflug mit einer betonharten Schneemauer eingesperrt wurde, das mit einem „W“ auf dem Nummernschild ist, beeilt man sich, auf die „eigentlichen“ Wurzeln hinzuweisen, falls es denn überhaupt zu einem Gespräch mit Einheimischen kommt. Und plötzlich sind die Wiener Kremser, Mödlinger und Perchtoldsdorfer.

Die Extrawürstel der Wiener

Meist bleibt man aber ohnehin unter sich, trifft man doch im Hotel all jene, die auch jedes Jahr kommen. Manche sind Freunde geworden, über andere wird in der Sauna gelästert. Nicht alle sind Paare geblieben. Als man sich kennenlernte, spielten die Kinder quer durchs Hotel gemeinsam Verstecken, nun bringen sie urbanes Teenage-Flair in die Alpenwelt. Selbstbewusstes Auftreten, das nicht immer nur für Freude des Personals sorgt. Denn wenn man eines in der Stadt lernt, dann recht bestimmt auf seine Bedürfnisse zu schauen.

Für die Stammgäste muss alles gleich bleiben: Michael Landlinger, Junior-Chef der Kaiserlodge in Scheffau am Wilden Kaiser in Tirol, ist gewappnet.
Für die Stammgäste muss alles gleich bleiben: Michael Landlinger, Junior-Chef der Kaiserlodge in Scheffau am Wilden Kaiser in Tirol, ist gewappnet. Kristen-images.com / Michael Kristen

Von Sonderwünschen kann auch Günther Dragosics ein Lied singen, aber in seiner Brust schlagen zwei Herzen. Er ist gebürtiger Wiener, ihn hat es aber in das Salzburger Skigebiet Hinterglemm verschlagen. Und zwar nicht nur für die Semesterferien. Er betreibt dort mit seiner Familie das Hotel Alpenoase Sonnhof. Auch er beherbergt viele Wiener Gäste in dieser Woche. „60 bis 70 Prozent unserer Gäste sind nicht zum ersten Mal da. Wir haben auch drei Familien, die schon in vierter Generation kommen“, sagt er. Generell sei man auf den Ansturm der Wiener vorbereitet. Schwierig sei es nur, wenn die Wiener Semesterferien mit dem Fasching zusammenfallen, dann haben nämlich auch die Bayern Ferien und die gehen bekanntlich auch gern Skifahren.

»60 bis 70 Prozent unserer Gäste sind nicht zum ersten Mal da.«

Günther Dragosics

Hotelier

Dragosics mag die Wiener Gäste, was bei seiner Herkunft nicht verwundert. Er findet sie charmant, aber er gesteht durchaus ein, dass es einige Kollegen gebe, die froh sind, wenn diese Woche vorbei ist. Den typischen Wiener Gast erkenne man an den „Extrawürsteln“, die er gern bestellt: „Johannisbeersaft gespritzt, aber mit lauwarmem Leitungswasser“ oder „Ketchup, aber bitte in einer Extraschüssel“. Aber: Der Wiener gebe immerhin ein angemessenes Trinkgeld. Es gebe nämlich auch Gäste, die zwar auch gern Sonderwünsche deponieren, aber kaum Trinkgeld geben. Aus welchem Bundesland die sparsamen Gäste kommen, will Dragosics lieber nicht verraten.

Dass die Gäste derzeit besonders aufs Geld schauen, merke er übrigens nicht. „Es hat im Herbst geheißen, die Leute sparen, aber die, die da sind, machen das so wie immer.“ Saalbach-Hinterglemm sei die nächsten vier Wochen ausgebucht, die Schneelage überraschend gut. Die Leute würden zwar ob der Teuerung jammern, weniger ausgeben würden sie aber nicht.

Eine spannende Dynamik

Szenenwechsel nach Tirol. Auch die beiden Hotels Kaiserlodge und Hotel Kaiser in Scheffau am Wilden Kaiser haben viele Stammgäste. Es sind Familien, die gemeinsam reisen, und Familien, die sich im Laufe der Aufenthalte kennenlernen. Und „zusammenkommen“. Für Barbara Winkler ist die Dynamik unter ihren Gästen spannend zu beobachten. Familien haben sich bei ihr in den beiden Hotels kennengelernt, haben sich angefreundet und sich zumindest für eine Woche familiär verschworen.

Zu Beginn der Semesterferien, gleich nach der Ankunft, erzählt Winkler, „wird erst einmal kundgetan, wie das letzte Jahr verlaufen ist“. Die Abende werden gemeinsam an der Bar verbracht, tagsüber machen sich die Jugendlichen gemeinsam auf zur Piste. Und bevor sie abreisen, buchen sie gemeinsam schon für das kommende Jahr. Manchmal, auch das bekommt Winkler mit, treffen sich die Familien in den Sommerferien. Weil die meisten von ihnen aus dem Osten stammen und deswegen auch nicht so weit weg voneinander wohnen.

Barbara Winkler führt gemeinsam mit ihrem Sohn, Michael Landlinger, die beiden Hotels in Tirol. Für sie bedeuten die Stammgäste aus dem Osten in der Semesterwoche zunächst neue Geschichten – die Kinder sind größer, die Erwachsenen haben auch etwas zu erzählen – und alte Gewohnheiten. Die Hotelbetreiber wissen, welche Vorlieben die Stammgäste haben, ob sie ein extra Kissen benötigen, was die Kinder keinesfalls essen, welcher Tisch bevorzugt wird. Für die Familien, sagt Winkler, sei diese Woche „ein bisschen wie nach Hause kommen: endlich da, endlich Berg, endlich Skifahren“. Wenn sich schon alles um einen herum verändert, in der Kaminstube ist alles so, wie es immer war.


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