Seidl-Film: "Jesus, du weißt"

Ein Gespräch mit Regisseur Ulrich Seidl über Religion, seinen neuen Film "Jesus, du weißt" und die Lage heimischer Regisseure.

Sechs Christen beim Gebet, frontal in die Kamera: Wünsche richten sie zu nächst an Gott. Dass der Film gelingen möge und dem Zuseher den Glauben näher bringen. Im Folgenden werden sie, jeder für sich, zu Jesus sprechen, und von ihren Ängsten erzählen, von ihren Hoffnungen, ihren Nöten, offenbaren tragische Lebensgeschichten. Die eindringlichen Monologe werden nur kurz unterbrochen: von Chören, von starren Einstellungen, die die Protagonisten zu Hause zeigen, bei Alltagstätigkeiten. Ein Satz, der in den Gebeten mehrmals fällt, gibt dem Film seinen Titel: Jesus, du weißt.

Es ist Ulrich Seidls erster Film seit seinem bislang aufwendigsten und aufsehenerregendsten Projekt Hundstage, und der Regisseur zeigt sich im Gespräch mit der "Presse" sehr glücklich darüber: "Das war eine angenehme Situation. Denn Hundstage hatte ja nicht nur eine jahrelange Produktionsphase, sondern auch außerordentlichen Erfolg. Der nächste Film wäre sicher daran gemessen worden. Aber Jesus, du weißt fällt offensichtlich in eine andere Kategorie, ist ein eigentlich fürs TV gedrehter, ,kleinerer' Film. Ich denke, das schaltet diesen Erwartungs-Mechanismus aus. Ich konnte deshalb sehr befreit und mit großer Ruhe arbeiten. Obendrein ist mir das Thema sehr nahe."

Prompt stellt sich die Frage: Wie lautete eigentlich die genaue Vorgabe für ein Projekt wie dieses? Ein Film über Katholiken? Seidl: "Eigentlich kam die Idee nicht vom Fernsehen, sondern vom Produzenten Martin Kammel. Das Thema lautete ,Jesus Christus' - und am Anfang gab es da auch Gerede, dass man dafür etwa Bischof Krenn interviewen könnte. Aber ich stellte gleich klar, dass ich den Film nur nach meinen Vorstellungen und Bedingungen realisieren würde. Das wurde akzeptiert, die Finanzierung stand in wenigen Tagen und ich konnte in größter Freiheit arbeiten."

Zunächst galt es, Personen zu finden, die im Film auftreten wollten: Über Pfarren und kirchliche Institutionen begann eine mehrwöchige Suche. "Beim Casting", so Seidl, "wurden Fragen gestellt wie: ,Wie praktizieren Sie Ihren Glauben? Was ist Jesus für Sie?' Von über 100 Personen bekamen wir Antworten, ich habe diejenigen herausgesucht, die ich kennen lernen wollte. Mit zehn Kandidaten habe ich schließlich gedreht, sechs davon sind jetzt im Film."

Irritierend an Jesus, du weißt ist zunächst einmal die Betrachtersituation: Man wird als Zuseher förmlich "angebetet". War es nicht schwierig, Menschen dazu zu bringen, in eine Kamera zu beten? Oder sahen sie darin eine Chance, das Wort Gottes zu verbreiten, so wie sie es zu Anfang verkünden? "Davon musste ich sie eben überzeugen", meint Seidl, "es war mein schlagkräftigstes Argument an sie, diesen Film zu machen. Es war natürlich trotzdem nicht leicht: Wie bei all meinen Filmen gab es zwar eine lange Vorbereitungsphase, in der ich den Protagonisten erklärte, worauf ich hinauswill. Aber zum einen ist da ein Unterschied zwischen dem, was ich sage, und dem, was sie sich darunter vorstellen; zum anderen herrscht beim Dreh immer eine besondere Situation. Hier beteten die Leute zunächst ,ganz normal', ohne irgendetwas von sich preiszugeben. Da musste ich sie erst überzeugen, dass der Film so keinen Sinn machen wird. Das hat schließlich funktioniert: Sie haben das Kreuz angeschaut und sich in ihre Bet-Situation versetzt. Diejenigen, die das nicht konnten, sind auch nicht im Film."

Das Kreuz ist ein Motiv, das in Jesus, du weißt sehr interessant eingesetzt wird: zum ersten Mal, als eine Gläubige bittet "Gib mir ein Zeichen, Jesus." Dann folgt der Gegenschnitt aufs Kruzifix. Seidl lacht: "Untypisch für mich, nicht? Ich hatte auch andere Lösungen erwogen, etwa einfach Schwarzkader, wie ich sie schon früher öfters verwendet habe. Aber ich fand schließlich, dass dieser stumme Jesus, der sich das ganze Leid der Welt anhören muss, dem Ganzen eine zusätzliche Dimension verleiht."

Wie steht Ulrich Seidl eigentlich zur Religion? "Ich bin zutiefst katholisch geprägt, wurde so erzogen, begann aber früh, vehementen Widerstand zu leisten. Vor allem wegen der autoritären Strukturen - in der Kirche, aber auch in meiner Familie -, die ich verlogen finde: Für die Würde des Individuums bleibt da kein Platz mehr. Aber der urchristliche Gedanke von Solidarität und Gerechtigkeit ist sicher tief in mir verwurzelt, dazu bekenne ich mich auch. Und letztlich ist das Thema Religion in meinen Filmen immer präsent, weil ich damit die Frage nach dem Sinn des Lebens behandeln kann und nach dem Tod. Woher kommen wir? Wohin gehen wir?"

Und wohin geht Ulrich Seidl als nächstes? "Derzeit bereite ich einen Film namens ,Import/Export' vor, eine Parallelgeschichte: Es geht um einen 20-jährigen Arbeitslosen aus Österreich, der als Pornodarsteller im Osten endet, und eine Frau aus der Ukraine, die sich dort als Gelegenheitsprostituierte über Wasser hält, schließlich als Putzfrau hierher kommt, um mehr aus ihrem Leben zu machen. Es ist eine Arbeit über europäische Themen: Arbeitslosigkeit und die Sinnsuche junger Menschen. Menschen, die reisen, um zu suchen."

"Das wird wohl nur als internationale Koproduktion gehen", so Seidl weiter, "das verteuert und verzögert das Projekt natürlich." Aber er ist nicht mehr bereit, Kompromisse einzugehen. "Nach Hundstage wollten zwar alle österreichischen Produzenten mit mir arbeiten, ich bekam sogar ein Angebot von Lars Von Triers Produktionsfirma ,Zentropa', aber es gab Auflagen, die ich nicht mehr gewillt bin zu akzeptieren. Ich habe jahrelang unter größter Eigenausbeutung gearbeitet - bei zwei, drei Jahren pro Film kann man sich vorstellen, was netto für mich übrig bleibt. Mittlerweile sehe ich nicht mehr ein, warum der größte Teil des Geldes bei einem Erfolg vom Produzenten eingesteckt wird. So will ich nicht mehr arbeiten. Das wissen auch alle heimischen Regisseure, aber weil sie nur so wenige Filme machen können, sind sie jedesmal so froh, wenn sie einen machen dürfen, dass sie danach schweigen. Das ist einfach nicht in Ordnung."

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